«Jeder kann Rhetorik brauchen»

  04.12.2018 Schönried, Event

Anders als in den Jahren zuvor hatte die T&R Oberland AG für seinen alljährlichen Firmenanlass keinen Sportler oder Bewegungsexperten engagiert. Mit Melchior Glatthard holte sie sich einen Experten in Sachen Redekunst in den Konferenzraum des Wellness- & Spa-Hotels Ermitage in Schönried. Der Europameister in der Kategorie «Stehgreifrede» erklärte dem grossen und interessierten Publikum beinahe alles über die Kunst des Redens.

JENNY STERCHI
Und dabei wandte der junge Mann genau das an, was er den Besucherinnen und Besuchern im Laufe des Abends aus seiner «Trickkiste» preisgab. Er hatte sein Ziel, das Publikum für sich zu gewinnen und für die Redekunst zu begeistern, unbestritten erreicht. Mit einem bestens strukturierten Vortrag und vielen Fakten machte er deutlich, das Rhetorik kein «Hexenwerk» ist, sondern viel mehr jedem offensteht. Er sei überzeugt, dass die Kunst des Redens ein Werkzeug ist, von dem jeder Gebrauch machen kann. Auf die Frage, die Glatthard zum Einstieg in den Abend formulierte, was Rhetorik eigentlich sei, bekam er aus dem Publikum eine klare Antwort: «Es Sätzli ganz wunderschö säge». Mit dieser Interaktion zwischen dem Referenten und dem Zuhörer bot er beispielhaft eines der zahlreichen rhetorischen Elemente.

Ziel einer Rede bietet Basis
Die klare Definition des Ziels, welches mit der Rede verfolgt werden soll, stellte Glatthard ins Zentrum des rhetorischen Vorgehens. Nur wer sich über das Ziel seiner Rede im Klaren ist, wird mit einer effektiven sowie effizienten Rede sein Publikum überzeugen können. Nur dann lässt sich ein Zuhörer von einer Rede verzaubern, überzeugen, begeistern.

Das Reden als Wettkampfdisziplin findet vielfach in englischer Sprache statt. In der Schweiz sind solche Wettbewerbe wenig verbreitet. Das «Redenhalten» dürfe nicht mit Stand-up-Comedy oder Poetry Slam verwechselt werden, denn mit einer Rede sollen die Zuhörer vom Inhalt überzeugt werden. Häufig begegne ihm die Auffassung, es liege nicht im Naturel des Schweizers, grosse Reden zu führen.

Wirkung des Redners
Dass 150 Zuhörer der Einladung zum Referat gefolgt waren, lieferte laut Melchior Glatthard den Beweis dafür, dass Reden auch die Schweizer bewegt. Und dass eine erfolgreiche Rede durchaus Bewegung und ganzen Körpereinsatz erfordert, wurde im Laufe des Abends jedem im Saal klar. «Unabhängig vom Inhalt wirkt die Körpersprache des Redners auf das Publikum», ist Glatthard überzeugt. «Die gesamte Haltung von den Füssen bis hinauf zum Kopf beeinflusst die Qualität der Rede.»

Während durchgestreckte Beine und Schaukelbewegungen mit den Füssen das Unwohlsein und allenfalls inhaltliche Unsicherheiten repräsentieren, seien hüftbreit positionierte Füsse und geplante Schritte Zeichen für Überzeugungskraft.

In der Bauchgegend angekommen, lieferte Melchior Glatthard die für viele sympathische Information, dass das von der Gesellschaft zur Norm erklärte «Baucheinziehen» schlecht für die Atemmuskulatur sei. Er forderte das Publikum auf, einige Male tief in den Bauch zu atmen und erklärte an diesem Beispiel, wie beruhigend sich diese Atembewegung auswirkt.

Den Brustkorb dabei aufzurichten, erzeugt zusätzlich Selbstbewusstsein, wobei der Sprung zur Arroganz nur ein kleiner sei. Auch hier war Glatthard, wie so oft an diesem Abend, in der Lage, die Elemente der Körpersprache in allen Facetten zu demonstrieren.

Wohin bloss mit den Händen?
Häufig sind Redner überfordert mit dem Verbleib ihrer Hände während ihres Auftritts. Der «virtual ball» sei die Möglichkeit, die Hände optimal in die Körpersprache zu integrieren. Einen imaginären Ball in den Händen zu bewegen, könne ausserdem den Inhalt der Rede unterstreichen.

Eine entscheidende Grösse sei die Stimme. Diese sei in jedem Fall trainierbar. Es sei erwiesen, dass eine tiefe Stimme eher zu überzeugen vermag. Eine Botschaft, die mit einer sich am Ende sinkenden Stimme ausgesprochen wird, überzeuge den Zuhörer in der Regel.

Auch die Bedeutung einer deutlichen Aussprache, der Mimik und des Augenkontakts sei keinesfalls zu unterschätzen. Für Glatthard selber habe sich der Drei-Personen-Trick als brauchbar erwiesen. Dabei suche er sich jeweils drei Personen im Publikum, die weit verteilt sitzen und ihm wohlgesinnt sind. Während seiner Rede lasse er den Blick zwischen diesen drei Personen schweifen und stelle so einen Kontakt zur gesamten Zuhörerschaft her.

Am Ende fand Marc von Felten, Geschäftsführer bei der T&R Oberland AG, einige dankende Schlussworte, die er, wie er selber sagte, mit neuem Hintergrundwissen weniger entspannt vortragen könne als bei seiner kurzen Begrüssung. Dabei bestand nach Urteil des Redekünstlers Glatthard kein Grund zur Selbstkritik.


WER IST MELCHIOR GLATTHARD?

In Brienz geboren, entdeckte Melchior Glatthard bereits während seiner Schulzeit die Liebe zum Reden. Er entschied sich für ein Jus-Studium, da ihn die brillant sprechenden Anwälte in Filmen faszinierten. Während des Studiums wurde er Mitglied im Rhetorikclub in Bern und konnte so sein Talent verfeinern. Von dort aus führte ihn sein Weg an die Europameisterschaften der Redner. Bereits zweimal liess er in den Kategorien «Stehgreifrede» (Spontanrede) und «Humorvolle Rede» die Konkurrenz hinter sich und siegte. In einer Spontanrede referiert man maximal zwei Minuten über ein Thema, welches einem unmittelbar vor der Präsentation genannt wird. Heute arbeitet er als Anwalt, veranstaltet Rhetorik-Workshops und nutzt seine Stimme als Sprecher. Und sein erklärtes Ziel ist die Teilnahme an der Weltmeisterschaft im Reden.


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