«Usem Läbe» von Hans Matti-Trachsel

  18.01.2019 Familie

Unser Papa, ds Hänsi Matti, wurde am 13. April 1933 als zweitjüngstes Kind im Trom geboren. Zusammen mit seinen fünf Brüdern und zwei Schwestern durchlebte er eine Kindheit, wie sie in den Dreissigerjahren üblich war – Klein und Gross packte auf dem Bauernbetrieb an. Der frühe Tod der Eltern Ernst und Klara Matti liess die Familie eng zusammenwachsen, die älteren Geschwister sorgten für die jüngeren und verhinderten, dass die Familie auseinandergerissen wurde. War die Schulzeit anfänglich noch schön und abwechslungsreich für das kleine Hänsi, so langweilte es ihn mit der Zeit und er konnte kaum erwarten, dass die neun Jahre vorbei waren.

Von Verwandten wurde er dazu ermutigt, eine Ausbildung zu absolvieren. Er fand eine Lehrstelle als Hufschmied in Huttwil. Dort quälte ihn die «Längizyt» und er war so unglücklich, dass er Anfang Sommer die Lehre abbrach und heimkam, um beim Heuen zu helfen. Sein zweiter Versuch, fremdes Brot zu essen, gelang wesentlich besser. Er verbrachte zwei Winter im Jura, um Französisch zu lernen. Bei Familie Piaget fand der Bauernsohn ein liebes Zuhause und war glücklich. Auch wenn es da statt Simmentaler braune Kühe zu hirten gab, fühlte er sich in seinem Element. Dort kam er sogar zum Skifahren. An einem Waadtländer kantonalen Skirennen erreichte er einen dritten Rang, hatte aber nichts von diesem Erfolg, da er als Berner unter einem falschen Namen starten musste.

Zurück im Saanenland diente der junge Bursche als Bauernknecht bei Raaflaubs auf der Wispile. Er genoss die Freizeit auf Bergtouren, spielte im Posaunenchor Gstaad und ging zu Fuss oder mit dem Velo in den Ausgang und auf Brautschau.

An einem Tanzanlass sah er Hanni Trachsel zum ersten Mal, musste sich aber noch gedulden, bis er ihr seine Liebe gestehen konnte. Bald einmal war er im Tannli, in der sonnigen Lauenen, im Elternhaus seiner zukünftigen Frau ein gern gesehener Gast. Nicht zuletzt auch, um mit dem kleinen Bruder von Hanni, mit Viki, ein Jässchen zu klopfen. 1956 gründete er mit seiner grossen Liebe eine Familie und einen bescheidenen Landwirtschaftsbetrieb. Von 1957 bis 1973 wurden dem Ehepaar acht Mädchen geschenkt. Auch wenn unser Papa oft auf den fehlenden Stammhalter angesprochen wurde, gaben uns unsere Eltern nie das Gefühl, dass das nicht richtig sei mit uns jungen Frauen. Wir wurden in Haus und Stallarbeiten gleichermassen eingeführt und lernten zuverlässig arbeiten.

Mit verschiedenen Pachten im Saanenland und im Pays-d’Enhaut wurde die Landwirtschaft verändert und erweitert, bis es möglich war, 1967 das Heimwesen in der Enge käuflich zu erwerben. Damit ging ein grosser Traum in Erfüllung: Wir zügelten ins eigene Zuhause.

Hans war nicht nur mit Leib und Seele Bauer, ebenso gern war er im Wald und führte Holzerarbeiten aus, am liebsten im Akkord mit angestellten Holzern. In den Sechzigerjahren kaufte er sich von einem Tiroler Holzer seine erste Occasion-Motorsäge. Seine Liebe zum Forst brachte es mit sich, dass er als leidenschaftlicher Rösseler im Winter das gerüstete Holz mit dem Trämelschlitten auf die Säge transportierte. Bei all diesen Tätigkeiten entstanden Freundschaften, die weit über seine aktive Zeit hinaus Bestand hatten.

Anfang der Siebzigerjahre bot sich die Gelegenheit, eine Küherei auf dem Stalden zu pachten, und so erfüllte sich ein weiterer Traum von Hans. Mama lernte Käsen und wurde zur tüchtigen Küherin, während Papa mit den Älteren von uns die Heuernte und Weidepflege erledigte. Sein Florett tauschte er gegen einen BMW-Töff ein. Mit ein bis zwei Heuerinnen auf dem Sozius, einem Rucksack voll Esswaren und vielleicht noch einem Wäschesack auf dem Gepäckträger wagte er oft abenteuerliche Fahrten zurück auf den Berg. Wir genossen es, als er nach dem ersten Sommer den Fahrausweis für Autos machte und seinen ersten VW-Käfer anschaffte.

Mit dem Selbstständig- und Erwachsenwerden von uns Kindern gesellten sich die Schwiegersöhne zur Familie. Ihnen allen brachte Papa Wertschätzung entgegen und schloss sie in sein weites Herz. Die Augen des Grossvaters leuchteten jedes Mal, wenn ein Grosskind mehr die Stube belebte, die noch gar nie richtig leer war. Ein Zeichen seiner Kinderliebe blieben bis heute die zwölf farbigen Zahnbürsten in einem Zahnglas, die niemand entsorgen durfte. Als ausgesprochener Familienmensch pflegte er zu sagen: «Ich bin mir das so gewöhnt.»

Trotz seiner strebsamen Art fand Hans immer wieder Zeit, die schönen Seiten des Lebens zu geniessen. Auf Ausflügen und Wanderungen mit der Familie, im Chörli als Sänger und Laienschauspieler oder im Herbst an einigen Reise- und Ferientagen kam seine gesellige Seite zum Ausdruck. Ungerechtigkeiten und Naturkatastrophen berührten ihn sehr. Nach dem Motto «Niemand soll zu wenig haben, aber auch niemand viel zu viel» hätte er manchmal am liebsten selber Ordnung gemacht auf der Welt.

Als es Zeit wurde, den Betrieb in jüngere Hände zu geben, war Hänsi offen, seinen Schwiegersohn Martin mit Christine ans Ruder zu lassen, und genoss es, das Leben etwas gelassener zu nehmen. Zusammen unternahmen unsere Eltern kleinere Reisen, Hans besuchte Schwingfeste oder frönte seinem liebsten Hobby, dem Jassen.

Aufopfernd und liebevoll kümmerte sich Papa um unsere Mama, als sie mit 65 Jahren ernsthaft erkrankte. Tapfer trug er das Auf und Ab der Krebsbehandlungen mit, begleitete, ermutigte und tröstete sein Hanni, bis er sie 2006 endgültig loslassen musste. Hans kämpfte sich durch diese harte Zeit, sodass bei ihm die Lebensfreude wieder aufkam. Er wurde erneut zum treuen Zuhörer der volkstümlichen Sendungen auf Radio BeO. Vermehrt setzte er seinen Hut auf, steckte die Tabakpfeife ein und rückte aus, sei es zum Jassen, Punktierungen und volkstümliche Anlässe zu besuchen oder eine Visite bei einer seiner Töchter zu machen. Die vielfältigen Lebensauffassungen seiner Kinder und Grosskinder führten bis ins Alter zu spannenden Gesprächen mit «Engi-Grosspapa».

Hart kam der Verlust seiner jüngsten Tochter Bethli vor zwei Jahren auf den alternden Vater zu. Wieder musste Hans stark sein. Sein unerschütterlicher Glaube gab ihm die Kraft, auch dieses Ereignis aus Gottes Hand anzunehmen. Anlässlich der Hochzeit einer Grosstochter verschenkte der Bergbauer im Ruhestand letzten Frühling seine letzte Zügeltreichel. Langsam bereitete er sich auf den Abschied von uns vor. Zwar meisterte Papa den Sommer allein im Engihaus mit den vereinten Kräften von uns Töchtern noch gut. Ein Infekt entkräftete ihn im Lauf des Herbstes und sein Lebenswille nahm mehr und mehr ab. Mutig und aufrecht sah er seinem Tod entgegen.

«Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist.» So erging es uns am 24. November 2018, als das Lebenslicht von Hänsi für immer erlosch, obwohl wir wussten, dass es seiner grossen Sehnsucht entsprach.

Lieber Papa, du warst ein mutiger Macher in vielen Lebenssituationen, wir danken dir für deine Liebe, deinen Glauben, deinen Humor, aber auch für deine Gradlinigkeit, die du uns mit auf den Lebensweg gegeben hast.

DYNI GROSSI FAMILIE


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