Der Akku

  25.01.2019 Leserbeitrag

Ein E-Bike braucht zwei Energiequellen: die strampelnden Beine der Fahrer und Fahrerinnen und einen Akku. Der Akku versorgt den E-Motor mit elektrischer Leistung, damit der E-Motor die strampelnden Beine unterstützen kann. Aber der Akku ist kein Kraftwerk, das ununterbrochen elektrische Leistung liefern kann. Er ist nur eine Kraftquelle. Und Quellen haben den Nachteil, dass sie nie schön gleichmässig Energie liefern. Wasserquellen können zum Beispiel bei langer Trockenheit sogar austrocknen und versiegen. Wasserquellen sind auf Regentage angewiesen, an denen sie sich wieder mit neuer Energie füllen können. Das gilt auch für die Akkus der E-Bikes. Sie müssen immer wieder aufgeladen werden, und zwar bevor sie ganz leer sind. Im Gegensatz zu den Wasserquellen haben die Akkus aber von Anfang an nur eine begrenzte Lebensdauer. Diese lässt sich jedoch nicht vorhersagen. Sie ist abhängig von der Art und Dauer der Beanspruchung der Akkus, von der Art und Weise, wie sie aufgeladen und gepflegt werden. Klar ist nur, dass die Reichweite eines vollgeladenen Akkus mit der Zeit abnimmt und immer sehr stark abhängt vom Fahrverhalten (Unterstützungsstufe), vom Gewicht der Fahrerinnen und Fahrer, vom Reifendruck, von der Bodenbeschaffenheit der gefahrenen Strecke und von den Anstiegen und Steigungen, die überwunden werden müssen. Eine Faustregel heisst: «Laden Sie den Akku des E-Bikes so oft es geht wieder auf. Teilladungen des Akkus sind nicht schädlich, sondern sinnvoll. Fahren Sie nie so lange, bis der Akku vollständig leer ist.» Diese Faustregel fürs E-Bike-Fahren klingt ähnlich wie eine uralte Lebensweisheit. Diese Lebensweisheit lautet: «Laden Sie Ihre Lebensbatterie, den inneren Akku, täglich wieder auf. Setzen Sie sich nie so lange dem Arbeitsstress oder den persönlichen Problemen aus, bis Ihr innerer Akku vollständig leer ist.»

Die E-Bikes haben am Lenker ein Display, das anzeigt, wie viel Energie im Akku noch vorhanden ist. Bevor nur noch Strampeln hilft, werden E-Bike-Fahrende also immer sichtbar daran erinnert, wann es Zeit ist, Energie nachzuladen. Im Alltag fehlt ein solches Display, das rechtzeitig daran erinnert, Pausen einzulegen, damit sich die Lebensenergie und die Lebenskräfte wieder erholen und regenerieren können. Dafür gibt es im Alltag sehr viele Anzeichen, die man erkennen kann, wenn man auf den Körper hört und bewusst lebt. Diese Anzeichen erinnern mehr oder weniger deutlich daran, dass man eventuell in Gefahr ist, über die Verhältnisse zu leben. Doch die Anzeichen, dass der innere Akku rot blinkt, sind oft so unscheinbar, dass sie gerne übersehen werden. Und oft merkt man erst im Nachhinein – wenn die Batterie schon leer ist – was diese Anzeichen einem sagen wollten.

Das Gefühl, nie genügend Zeit zu haben. Das Gefühl, am Arbeitsplatz absolut unentbehrlich zu sein. Die Meinung, persönliche Bedürfnisse seien zweitrangig. Regelmässiger Nikotin- oder Alkoholgenuss. Immer wiederkehrende Freudlosigkeit und Lustlosigkeit. Probleme beim Einschlafen und Aufstehen. Andauernde Müdigkeit, Sorgen, Ängste und mangelnde Konzentration. All diese Dinge können zu grossem Energieverlust führen. Sie sind das «Lebensdisplay», sie sind die Anzeichen, dass der innere Akku dringend aufgeladen werden sollte.

Für die Akkus am E-Bike ist es nötig, dass sie mit einem entsprechenden Ladegerät rechtzeitig aufgeladen werden, bevor sie ganz leer sind. Und auch für die Gesundheit und die Lebensfreude ist es nötig, dass der innere Akku regelmässig aufgeladen wird, bevor er ganz leer ist. Für die inneren Akkus von uns Menschen gibt es jedoch keine Ladegeräte, an denen man am Abend den inneren Akku anschliessen und während der Nacht aufladen kann, um dann am Morgen das Bett mit voll geladener Batterie wieder zu verlassen. Dafür gibt es andere Aufladestationen, an denen man gratis und ohne Zusatz von Chemie auftanken kann. Der innere Akku wird zum Beispiel immer dann mit neuer Energie versorgt, wenn man etwas Meditatives oder Spirituelles macht, das den Geist entspannt und beruhigt und die Seele erfrischt. Oder jeder Tag, an dem man ohne digitale Apparate auskommt, ist auch eine Aufladestation für den inneren Akku. Aber zu den wichtigsten Aufladestationen des inneren Akkus gehören natürlich die frische Luft in der freien Natur und die körperliche Bewegung zu Fuss, mit dem Velo oder mit dem E-Bike.

Jeder Mensch hat irgendetwas, das Freude macht, das entspannt und Kraft gibt. Das Problem ist nur, dass man oft gar nicht weiss, was einem gut tut. Und wenn man es weiss, hat man oft Hemmungen, das zu machen, was einem so richtig gut tut. Und oft hat man sogar Hemmungen, zwischendurch einmal einfach nichts zu machen. Aber gerade das behagliche Sein, ohne irgendetwas zu machen, ohne Velo oder E-Bike zu fahren, ist eine wichtige Aufladestation für den inneren Akku.

ROBERT SCHNEITER


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