Am Velo mit E-Motor scheiden sich oft die Geister. Denn für die einen bedeutet Velofahren mit einem E-Bike ein Verrat am Velofahren. Andere finden es dagegen super, dass sie dank der Unterstützung durch einen E-Motor trotz gesundheitlicher oder altersbedingter Einschränkungen noch immer oder wieder neu Velofahren können. Viele andere haben sogar erst dank des E-Motors die Freude am Velofahren entdeckt.

Dass sich am Velo mit E-Motor die Geister scheiden, hat wohl letztlich manchmal auch etwas mit dem Selbstwertgefühl der Nichtmotorisierten zu tun. Denn es gibt kaum stichhaltige Gründe, die gegen das Velofahren mit E-Motor sprechen. Wer den Col du Galibier mit einem Velo ohne die Unterstützung eines E-Motors «bezwungen» hat, darf mächtig stolz sein auf die vollbrachte Leistung. Denn mit 2642 Metern ist er der fünfthöchste Strassenpass der Alpen und fahrerisch wie landschaftlich ein einmaliges Erlebnis. Und diese Leistung bleibt auch dann beachtlich, wenn andere am gleichen Tag den Col du Galibier mit einem E-Bike «bezwungen» haben. Es ist ganz klar, ohne dass man das besonders betonen muss: Die Leistung ohne E-Motor ist grösser und verbraucht viel mehr Kalorien. Aber auch E-Bikefahrer/innen kommen auf solchen Touren an ihre Grenzen. Denn auch mit einem E-Bike kommt man nicht ohne Eigenleistung auf den Col du Galibier. Ohne in die Pedale zu treten, fährt ein E-Bike keinen Meter den Berg hoch. Beide, die mit und die ohne E-Motor, haben oben auf dem Col du Galibier etwas Grossartiges geleistet und haben allen Grund, sich über die vollbrachte Leitung zu freuen und vor allem auch dafür dankbar zu sein. Denn nicht der Stolz über die vollbrachte Leistung, sondern erst die Dankbarkeit dafür, dass man so etwas erleben durfte, verwandelt diese einmalige Velotour in eine kostbare Perle der Erinnerung. Und wenn man bis ins hohe Alter mit einer so goldenen Gesundheit ausgestattet ist, dass man beim Velofahren sogar auf die Unterstützung eines E-motors verzichten kann, hat man erst recht allen Grund, dankbar zu sein. Denn das ist nicht einfach selbstverständlich.

Wer vom Rennvelo aufs E-Bike umsteigt, hat manchmal auch das Gefühl, er oder sie müsse diesen Akt mit stichhaltigen Argumenten rechtfertigen. Und nicht selten werden E-Bike-Fahrer von denen, die noch fest im Sattel eines normalen Velos sitzen, belächelt. Oder der Umstieg aufs E-Bike wird sogar als Schwäche taxiert. Aber gerade beim E-Bike gilt: «Vo nüt chunnt nüt!». Wer E-Bike fährt, muss selber auch in die Pedale treten. Der E-Motor leistet nur eine willkommene Unterstützung – vor allem am Berg, im Gegenwind oder auf langen Strecken. Wer E-Bike fährt, hat sich also entschieden, Hilfe anzunehmen. Und wer beim Velofahren Hilfe annehmen kann, hat es vielleicht leichter, auch dann Hilfe anzunehmen, wenn es im Alltag plötzlich schwieriger wird. Denn viele Menschen haben nicht nur beim Velofahren, sondern auch im Alltag Probleme damit, Hilfe anzunehmen. Sich Unterstützung zu holen, wird oft sogar als Zeichen von Schwäche gesehen. Aber so wie beim Velofahren die Steigungen plötzlich zu anstrengend und die Strecken zu lang werden können, so kann auch das Leben plötzlich etwas komplizierter oder schwerer werden als sonst. Und um solche Zeiten durchzustehen, braucht man manchmal auch Unterstützung von aussen. Es ist zwar nicht immer einfach, um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen, aber es lohnt sich. Probleme können so kleiner werden, und es bleibt einem unter Umständen manches erspart. Oft findet man auch eher eine Lösung. Und man hat weniger Stress und mehr Freude. Sich unterstützen zu lassen und Hilfe anzunehmen sind nie Zeichen von Schwäche – im Gegenteil. Und das gilt auch beim Velofahren. Wer beweglich bleibt dank der Unterstützung eines E-Motors am Velo, hat mehr vom Leben. Denn dank der Unterstützung durch einen E-Motor am Velo kann man die schönen Landschaften auch dann noch geniessen, wenn man im Alltag altersbedingt oder wegen gesundheitlichen Einschränkungen bereits kürzer treten muss.

ROBERT SCHNEITER