Die Geschichte mit den ghusleten Hosen

  22.01.2019 Region

SERIE In unserer Reihe «Aus alter Zeit im Saanenland» erzählen Leser/innen Episoden – Geschichtliches, Erlebtes, Erinnerungen – aus früheren Zeiten.

1952 arbeitete ich im Telegrafenbüro in der Stadt Bern. Eine Einrichtung, die heutzutage nicht mehr existiert. Damals noch wurde der internationale Handel mit Telegrammen abgewickelt. Es war die schnellste Art und gleichzeitig hatte man ein schriftliches Beweisstück in den Händen.

In meinen Freitagen verzog ich mich nach Gstaad, nach Hause, blieb über das Wochenende dort. Kleidete mich im Winter entsprechend der damaligen Mode in Keilhosen zum Skifahren. Später, so gegen fünf Uhr nachmittags, kreuzte man im Charly’s auf. Man setzte sich zu Bekannten, plagierte etwas. Wenn es hochkam, trank man einen Gin Tonic, damals das Modegetränk im Charly’s. Dann gings nach Hause.

Als neue, extravagante Wintermode wurden bei Hermenjat ghüslete Hosen verkauft. Lange Damenhosen mit Aufschlag, dunkelgrüner Wollstoff mit schwarzen, ganz dunkelrot-grünen, etwa 3x3 cm grossen Huseli. Die musste ich haben!

Am folgenden Montag fuhr ich mit der Bahn direkt zum Arbeitsplatz. Wie ein Wiesel rannte ich mit den Telegrammen im Büro hin und her, mit noch etwas Gstaader Geist in der Birre und natürlich stolz auf meine neuen, ghusleten Hosen.

Plötzlich erschien der oberste Chef für seine tägliche Nachmittagsvisite. Er, ein Männli alter Schule, mit Gilet und Krawatte, durch und durch konventionell, humorlos und prinzipientreu, warf sofort einen Blick auf meine neuen Hosen. Er lief rot an, kam auf mich zu mit der Frage, mit was für einem Clownanzug ich hier arbeite, dies sei kein Zirkus! Ich schaute ihn ziemlich erstaunt an, ohne etwas zu sagen. Er steigerte sich mehr und mehr in Töibi, schliesslich wagte ich schüchtern zu sagen, dass ich hier eigentlich mit dem Kopf und nicht mit der Hose arbeiten würde. Daraufhin wurde er puterrot im Gesicht, warf mich zum Tempel raus, ich solle sofort in mein Zimmer, damals in der Hallerstrasse, mich umziehen und in 45 Minuten wieder in normaler Anlegi erscheinen. Damals ein Jüppli plus Pulloverli und auf jeden Fall keineswegs Hosen für ein junges Meitschi, das würde jedem Mann sein Auge beleidigen.

Die ghusleten Hosen, für heutige Begriffe lächerlich brav, durften im Telegraf Bern noch längere Zeit nicht gesehen werden. Wie lange wohl? Ich weiss es nicht, ich verliess diese Institution auch bald darauf.

ROMI CLÉMENÇON, WORBLAUFEN

Wissen auch Sie noch Begebenheiten aus früheren Zeiten? Zögern Sie nicht, greifen Sie zur Feder und schreiben Sie uns: «Anzeiger von Saanen», Anita Moser, Redaktion, Kirchstrasse 6, 3780 Gstaad, oder per Mail: anita.moser@ anzeigervonsaanen.ch


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