Eine unbekannte bedeutende Saanerin: Frieda Hauswirth

  15.01.2019 Kultur

Per Flugblatt fragte ich diesen Sommer in Saanen und Gstaad: «Wer weiss etwas über Frieda Hauswirth?» Wie sich herausstellte, weiss fast niemand etwas. Frieda Hauswirth ist eine praktisch unbekannte, aber einst international berühmte Frau aus Gstaad-Rütti, deren Leben auch heute noch von Bedeutung ist.

März 1991: Das Museum der Landschaft Saanen gibt es noch nicht, es befindet sich erst im Aufbau. Wilfried Raaflaub ist Präsident des Museumsvereins, der sich mit eben dieser Aufgabe beschäftigt, als eines Tages ohne Ankündigung eine Mrs. Ethelda Sassenrath aus Kalifornien mit ihrem Sohn in Saanen ankommt und sich an Raaflaub wendet mit einem unerwarteten Anliegen: Sie sei hier, um den Nachlass von Frieda Hauswirth, einer gebürtigen Saanerin, zurück in ihr Heimattal zu überführen. Frieda Mathilde Hauswirth, geboren 1886 in Gstaad-Rütti, gestorben im März 1974 in der Küstenstadt Davis in Kalifornien. Der Nachlass dieser Frau erweist sich als genauso ungewöhnlich wie sie selbst: Unter anderem finden sich hier eine Sammlung von Bildern und Skizzen, gemalt von Frieda Hauswirth, sowie auch persönliche Exemplare von ihren Büchern – geschrieben hat sie im Verlauf ihres Lebens sieben, alle davon wurden auf Englisch verfasst und erst später auf Deutsch auch in der Schweiz veröffentlicht. Eine Gemeinsamkeit zwischen den Bildern und den Büchern sticht besonders ins Auge: Sie beschäftigen sich eingehend mit Indien – indischer Gesellschaft, indischer Kunst, indischer Politik.

Über drei Kontinente hinweg berühmt
Der «Anzeiger von Saanen» berichtet 1991 von diesem Besuch aus Kalifornien in einem Artikel mit dem Titel «Eine bedeutende Saanerin: Frieda Hauswirth». Doch gleich in den ersten Zeilen wird relativiert und darauf hingewiesen, dass die im Titel erwähnte «… weitgereiste Saanerin …» «… nur mehr für ältere Semester ein Begriff sein wird». Eine Frau, aufgewachsen in einer Bauernfamilie, die im Mai 1910 einen Universitätsabschluss von der prestigiösen Stanford University in Kalifornien verliehen erhielt; die sich so vehement für die indische Unabhängigkeitsbewegung aussprach, dass sie den Engländern als gefährlich auffiel und der britische Geheimdienst begann, sie zu überwachen; die mit ihrem indischen Ehemann knappe zehn Jahre in Indien lebte und dort Mahatma Gandhi nicht nur persönlich kennenlernte, sondern sogar eines der ersten und berühmtesten Bilder von ihm malte; eine Frau, deren Bücher über Indien in Blättern wie der New York Times, dem Guardian oder der Neuen Zürcher Zeitung gelobt wurden, deren Bilder in feinen Salons und Galerien in Paris, San Francisco, Boston, New York, London und Indien ausgestellt wurden. Nur wenige Leute in Saanen wussten damals, im März 1991, noch, wer diese Frau war.

Verblasste Erinnerungen
Heute hat sich daran nicht viel geändert. Der Nachlass von Frieda Hauswirth wurde später aufgeteilt: Ein Teil kam ins Alte Archiv der Gemeinde Saanen, die grösseren Bilder und Ölgemälde blieben im Archiv des Museums der Landschaft Saanen, wo diese wertvollen und spannenden Erinnerungen seit damals quasi unberührt liegen. Die meisten Leute, welche sich heute im Saanenland noch an den Namen Frieda Hauswirth erinnern können, tun dies, weil sie entweder in einer dieser beiden Institutionen tätig sind, oder weil sie sich vage daran erinnern können, dass die Eltern manchmal von dieser unkonventionellen Schriftstellerin sprachen. Viele dieser Eltern hatten Hauswirths erstes und berühmtestes Buch gelesen: «Meine indische Ehe», eine autobiografische Erzählung über Frieda Hauswirths Zeit in Indien zwischen 1920 und 1929 als Ehefrau von Sarangadhar Das, einem Hindu aus dem ostindischen Staat Odisha, den sie einige Jahre zuvor während ihrer Studienzeit in Kalifornien kennengelernt hatte. Andere Eltern hatten vielleicht einem der öffentlichen Auftritte beigewohnt, die Frieda Hauswirth über die Jahre verteilt hielt: 1936 las sie in der Kirche in Saanen aus ihren Büchern vor, 1947 gab sie im Schulhaussaal von Gstaad einen bebilderten Vortrag über ihren einjährigen Roadtrip nach Mexiko, und 1957 sprach sie in der St.-Niklaus-Kapelle in Gstaad zur «Kaschmir-Frage». Über diesen letzten Vortrag wurde im «Anzeiger von Saanen» eingehend berichtet und Martin Müller beschrieb ihn später als «unvergesslich», besonders auch, da Frieda Hauswirth dazumal «in unverfälschtem Saanerdialekt» sprach, «wie er um die Jahrhundertwende bei uns gesprochen wurde, unbeeinflusst von den übrigen Schweizerdialekten, die heute tagtäglich auf uns einströmen».

Familie Hauswirth-Reuteler in Saanen
Frieda Hauswirths Asche wurde auf ihren Wunsch hin im Friedhof von Saanen beigesetzt. Ihr Grab lag nicht beim Rest ihrer Familie, sondern in einer Ecke für sich. Denn ein mutiges, unabhängiges und selbstgestaltetes Leben, wie Frieda Hauswirth es führte – ein Leben, welches eigenwillig gegen als einengend empfundene Traditionen rebelliert und nach höherer Bildung begehrt, Frauenbewegungen über Kontinente hinweg unterstützt und sich gegen kulturelle und rassistische Vorurteile wehrt – dies kann zeitweise auch ein einsames Leben sein. Abgesehen davon, dass Hauswirth den Grossteil ihres Erwachsenenlebens ausserhalb von Saanen lebte, zeigt auch die Familiengeschichte der Hauswirth-Reutelers, wieso der Name Frieda Hauswirth nur mehr den ältesten Saaner Semestern ein Begriff ist. Denn obwohl Frieda Mathilde als neuntes von zehn Kindern in eine grosse Familie geboren wurde, blieb ihr am Ende nur eine einzige Bezugsperson aus der Familie in Saanen: Bruder Arnold Hauswirth, dessen Sohn Armin später ein Gärtnereigeschäft auf dem Familiengelände in der Rütti aufbaute. Die drei Schwestern von Frieda zogen nach der Heirat weg zu den Ehemännern: nach Basel, Bern, Meiringen. Von den sechs Brüdern erreichten nur vier das Erwachsenenalter, und zwei von ihnen starben früh: Armin, Sekundarlehrer in Gstaad, starb mit 24 Jahren, und Dr. Hans Walter fiel mit knapp 30 Jahren einem Mordanschlag in Baku, Aserbaidschan, zum Opfer.

Als Schwester eines Lehrers und eines Geologen war Frieda Hauswirth bestimmt nicht das einzige bildungseifrige Familienmitglied und sie blieb auch nicht die einzige Auswanderin: Ihr drittältester Bruder Hermann verliess das Saanenland 1903 in Richtung Vereinigte Staaten, wo er zusammen mit anderen Auswanderern eine erfolgreiche Milchprodukt-Farm aufbaute. Das Familienfoto der Hauswirths, welches im Alten Archiv der Gemeinde Saanen aufbewahrt wird, scheint das einzige Bild zu sein, welches Frieda (etwa 13-jährig) mit ihren Eltern und Geschwistern zeigt.

Frieda Hauswirth und ihr Werk, ihr Aktivismus, ihr Einfluss in der Schweiz, in den USA und in Indien wurden von der Geschichtsschreibung vernachlässigt und fast vergessen. Aber eine solche Lebensgeschichte und ihr historisches Echo sind nicht nur beeindruckend und spannend, sie sind auch wichtig – für die Geschichte der Schweiz sowie auch für die Geschichte von internationaler anti-kolonialer und feministischer Solidarität. Deswegen und aus vielen weiteren Gründen hat es Frieda Hauswirth verdient, dass man sich an sie erinnert, ihre Geschichte erzählt und ihr Leben für künftige Generationen festgehalten wird. Wer weiss, in wie vielen Saaner Estrichen sich noch eine alte, verstaubte Kopie von einem von Frieda Hauswirths Büchern finden liesse.

CLAIRE LOUISE BLASER


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