«Elevation 1049»: ein inspirierendes Kunstwochenende

  05.02.2019 Kultur

Die «Elevation 1049» brachte vom 1. bis 3. Februar zahlreiche nationale und internationale Künstler, Performer und Gäste nach Gstaad, die sich von den Aktionen inspirieren liessen, Freundschaften pflegten und rege diskutierten. Als Höhepunkt wird nun das verspiegelte Haus von Doug Aitken zwei Jahre lang oberhalb der Gruben zu bewundern sein.

SABINE REBER
Eigenartige Sachen ereigneten sich in den letzten Tagen in und um Gstaad. Da ertönten sphärische Klänge aus dem Flughafen-Hangar. Meditierende Zuschauer mit verbundenen Augen wurden auf Bürostühlen herumgerollt, nachdem sie aus einer Ampulle hochkonzentrierte Vitamine zu sich genommen hatten. Bei einer anderen Performance im Flughafen erklang Gesang aus Dutzenden von kunstvoll arrangierten Mikrofonen, wobei das Publikum in der Mitte am Boden sass und mit seinen bunten Daunenjacken und auffälligen Pelzen und Accessoires selber Teil des Bildes wurde.

In der Lounge des Hotels Alpina dirigierte die Künstlerin Zhana Ivanova am Samstagabend drei Performer mit exaktesten Anweisungen und malte so ohne Leinwand, Pinsel oder Farbe beklemmende Bilder in den Raum. Das Publikum staunte und folgte dem Geschehen mit grosser Konzentration. Aber auch höherer Blödsinn war an der «Elevation 1049» zu sehen. So stopfte die dänische Künstlerin Nina Beier blonde Perücken in Modellautos, und liess diese auf dem Kreisel vor dem Hotel Alpina scheinbar ziellos herumfahren und zusammenprallen. Sinnigerweise nennt sie diese Art von Arbeiten «Confused Objects», verwirrte Objekte, und die spezielle Performance für Gstaad hiess schlicht «Automobile».

Nackte im Wasser und eine brennende Brücke
Im Pool des «Vieux Chalet» am Gstaader Oberbort vergnügte sich am Samstagmorgen ein Dutzend splitternackter Performer, die zum Gaudi des kunstsachverständigen Publikums nicht nur wild herumplantschten und tanzten, sondern auch bukolische Stilleben nachstellten und mit Zitaten aus der Musik- und Literaturgeschichte jonglierten.

Auf dem Eggli brannte am Samstagabend dann lichterloh eine kunstvoll aufgebaute Brücke, von der eigentlich niemand wusste, wohin sie führen sollte. Künstlerin Marianne Vitale nannte das Projekt schlicht «Burned Bridge» und sagte auch nichts weiter dazu. Schön sah es jedenfalls aus, und am Schluss lag nur noch etwas Asche im Schnee. Aber da sassen die zahlreichen Gäste und die vielen Künstler, die während der drei intensiven Tage gegenseitig ihre Projekte besucht hatten, schon längst drinnen im Restaurant. Sie genossen das gesellige Zusammensein bei einem Fondue und diskutierten rege über all die erlebten Produktionen.

Wie das «Mirage»-Haus seinen Platz fand
Der grosse Höhepunkt der drei Kunsttage war natürlich das verspiegelte Haus namens «Mirage Gstaad» des amerikanischen Künstlers Doug Aitken. Er erzählte dem «Anzeiger von Saanen» beim Kaffee im Gstaad Palace, wie er den Sommer über mit Kurator Neville Wakefield in der Gegend um Gstaad wandern ging, auf der Suche nach einem geeigneten Standort. Denn, so Aitken: «Meine Objekte leben erst durch die Umgebung! Man denkt ja immer, ein Kunstwerk sei fertig, wenn es das Studio des Künstlers verlässt. Aber meine Werke beginnen erst dann zu leben, wenn sie draussen der Umgebung ausgesetzt sind.» Lange hätten sie gesucht, erzählte er, und es sei gar nicht so einfach gewesen, einen passenden Ort zu finden: «Einige Locations waren zwar sehr schön, aber zu eng, zu klaustrophobisch, andere waren viel zu weit weg und zu hoch in den Bergen oben.» Schliesslich hätten sie den Standort oberhalb von Gruben gefunden, und er sei sofort fasziniert gewesen: «Ich habe mich gleich in diesen Ort verliebt. Es ist eine einsame Ecke, und doch sieht man die Chalets von gegenüber – das ist wirklich magisch.»

In der Schweiz hergestellt
Und wie ist das Spiegelhaus von Los Angeles nach Gstaad gekommen? Aitken lacht und will eigentlich keine Details preisgeben. Mehrmals während der drei Tage antwortet er auf eine Frage mit drei anderen Fragen. Diesmal will er wissen, was das Wetter mache, was wohl für Schnee aus den Wolken fallen werde, die während unserem Gespräch über dem Oldenhorn aufziehen, und was die Kälte für einen Einfluss auf die Grösse der Schneeflocken habe. Darob vergesse ich erst einmal meine Frage. Später erklärt es mir dann ein Bausachverständiger, der während dem Aufbau ein bisschen zugeschaut hat. Offenbar steht das Haus auf Schraubpfählen. Auf diesen wurde eine Holzkonstruktion als Boden aufgebaut. Darauf kam ein Holzständerbau, der mit verspiegelten Alucobond-Platten verkleidet wurde.

Als ich Doug Aitken dann nochmals frage, wie das Haus gebaut wurde, verrät er immerhin, dass die einzelnen Bestandteile für «Mirage Gstaad» alle in der Schweiz auf Mass hergestellt und stückweise mit dem Lastwagen zum Standort gebracht worden seien.

Ein anderes «Mirage»-Haus steht bereits in der Nähe von Palm Springs in der kalifornischen Wüste. Auch unter Wasser hat Aitken schon mit verspiegelten geometrischen Formen experimentiert. Am Sonntagmorgen zeigte er im bis auf den letzten Platz gefüllten Kino des Hotels Alpina in einem kurzen Film eine Übersicht über seine Arbeiten und diskutierte mit Kurator Neville Wakefield über seine Arbeit.

Die Kunst zu den Menschen bringen
Seit langem beschäftigt sich Doug Aitken mit Landart und damit, die Kunst aus den Museen zu befreien und sie hinaus in die Natur, aber auch in die Städte und zu den Menschen zu tragen. So hat er zum Beispiel ein Projekt gemacht, das in amerikanischen Eisenbahnzügen spielt. Er sagt: «Eigentlich ist jedes Projekt wie eine Reise. Es lebt immer erst durch die Umgebung, durch die Menschen, die mit dem Kunstwerk interagieren.»

Zwei Jahre wird das Spiegelhaus oberhalb von Gstaad stehen. Macht sich der Künstler keine Sorgen, ob es dann verwittert? Er sagt, die Zeit werde das Objekt bearbeiten, und genau das interessiere ihn. «Dieses Werk ist flüchtig, es verändert sich ständig und entwickelt sich weiter.» Und dann macht er den Bezug zur Videokunst, mit der er sich lange beschäftigte: «Ich wollte die Mittelmänner, die Schauspieler, weglassen. Bei Mirage werden die Zuschauer selber zum Inhalt des Bildes.»

Je nach Wetter ist das Spiegelhaus von weitem zu sehen, manchmal aber ist es auch kaum zu finden. Aitken erzählt, wie er, müde vom langen Flug, in Gstaad angekommen und des Nachts als Erstes durch den tiefen Schnee zu seinem Kunstwerk den Berg hinaufgestapft sei. Eiskalt sei es gewesen, und er sei fast gerannt vor Aufregung, das Spiegelhaus zu sehen, «und als wir am Ort ankamen, da war es plötzlich weg! Es war «absolutely amazing», ich konnte mein eigenes Kunstwerk selber nicht sehen! Das war wie eine Fata Morgana, es war komplett verschwunden in der nächtlichen Landschaft.» Das, sagt er, sei einer seiner Lieblingsmomente gewesen, und diese Erinnerung aus Gstaad werde er nie vergessen, «das war absolut grossartig!»

Fragen aus dem Publikum mochte Aitken dann lieber nicht beantworten. Mit einem charmanten Lächeln gab er den Ball zurück ins Plenum: «Jetzt ist es an euch, diskutiert ihr miteinander!» Auch anlässlich des Apéros am Samstag beim Spiegelhaus wollte er selber lieber in den Hintergrund treten, und legte Wert darauf, nicht vor seinem Spiegelhaus zu posieren, während die Gäste eifrig ihre Selfies schossen. Dabei wirkte Aitken fast etwas schüchtern: «Nein, ich möchte wirklich nicht aufs Bild, denn das Haus soll für sich selber sprechen. Hier geht es nicht um mich.» Und er betonte noch einmal, «Mirage Gstaad» solle nun ein Eigenleben entwickeln und all jenen gehören, die das Kunstwerk besuchen und sich darin spiegeln: «Es ist für euch, geht hin und erlebt es für euch selber!»

Video: https://tinyurl.com/yb69cjlj


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