Alle Personen gerettet

  05.02.2019 Turbach

Am vergangenen Freitagabend führte die SAC Rettungsstation Gstaad eine öffentliche Lawinenrettungsübung durch. Decken, Rucksäcke und Menschen mussten unter den Schneemassen gefunden werden.

BLANCA BURRI
Auf der Fahrt in den Turbach schneite es Leintücher. Die Nacht war schwarz und die Strassen schneebedeckt. Rote Fähnli markierten ab Rotengraben den Fussweg zu einem Stall bei der Wintermatte. Rund 20 Personen in Skitourenausrüstung und Stirnlampe fanden sich dort ein. Auffallend viele Männer in gelb-schwarzen Jacken warteten wie alle anderen auf den Einsatzbeschrieb von Rettungschef Ueli Grundisch. Beim genaueren Betrachten entdeckte man den Aufkleber «Alpine Rettung» auf der Brust der Gelbgewandeten. Alle Anwesenden wurden auf André Oehrlis Liste akribisch erfasst. Weshalb er jeden Eintreffenden so genau notierte, war im ersten Augenblick unerklärlich. Als zwei Lawinenhunde über die hohe Holzschwelle sprangen, gab es ein Gewusel. Man merkte, dass sich die Vierbeiner auf die Übung freuten. Sie begrüssten die Anwesenden mit heftigem Schwanzwedeln. Ihrerseits wurden sie ebenso freudig begrüsst und von vielen flattiert.

«Eine ganze Gruppe von neun Schneeschuhgängern ist beim Abstieg von einer Lawine verschüttet worden», informierte Ueli Grundisch. Jemand habe den Vorfall zufälligerweise beobachtet und die Rettung alarmiert. Nun gehe es darum, mit verschiedenen Massnahmen möglichst schnell alle Opfer zu orten und auszugraben. Sofort teilte Ueli Grundisch die Anwesenden in verschiedene Gruppen ein. Die Einen schlossen sich der Sondiermannschaft an, die anderen dem Suchtrupp mit den Lawinenverschüttetensuchgeräten (LVS-Geräte), die Hundeführer machten sich mit den vierbeinigen Spezialisten ebenfalls auf die Suche nach Verschütteten.

«Die Sondierstange fasst ihr bitte nur mit Handschuhen an», forderte Ruedi Steffen die drei Interessierten in seiner Suchgruppe auf, die sich allesamt noch wenig mit dem Thema alpine Rettung auseinandergesetzt hatten. «Nur kalte Stangen können ihren Dienst tun. Sobald sie erwärmen, friert Schnee an ihnen fest und man kann sie fast nicht mehr durch den kompakten Schnee stossen», erklärte er. Die vier Suchenden stellten sich nebeneinander und legten sich den rechten Arm auf die Schulter, um den Abstand zueinander zu definieren. Als alle richtig ausgerichtet waren, kommandierte Steffen: «Jetzt setzen wir die Sondierstange rechts vom rechten Fuss. Stich. Wieder herausziehen. Die Sondierstange links vom linken Fuss setzen. Stich. Wieder herausziehen. Nun etwa 50 Zentimeter weiter vorne vor den rechten Fuss positionieren, Schritt und Stich.» Das alles ist leichter gesagt, als getan. Die Sondierstange musste durch kompakte Schneemassen in die Tiefe gestossen werden. Ein Gefühl für die Materie musste entwickelt werden. Einmal fühlt es sich an, als ob die Sondierstange den Boden berührt hatte, aber sie stiess weniger tief als die der Kollegen. Ruedi Steffen half und rammte sie noch tiefer in die Schneemasse. «Das war nur eine harte Schneeschicht», informierte er. «Wenn sie auf einen Skischuh gestossen wäre, würde es hohl klingen. Ein Rucksack oder auch ein Mensch fühlt sich federnd an», führte er weiter aus. Der Trupp suchte weiter. Jetzt klebten alle vier Stange am Grund fest. «Der Boden ist nicht gefroren, deshalb klebt die eiskalte Stange im ‹Pfudel› fest», so Steffen. Wahrscheinlich gibt es noch tausend solcher Tücken und einzig vieles Üben bringt den wahren Sondiermeister hervor, geht es der Schreibenden durch den Kopf. Nach langem Suchen stiess der Sondiertrupp schliesslich auf etwas ungewöhnliches. Sofort begann ein kräftiger Mann mit der Lawinenschaufel zu graben und barg einen Rucksack.

Mit vielen Tücken kämpften auch die Leute mit den LSV-Geräten. Sie hatten ihre Geräte auf Suchmodus umgestellt und orteten die Verschütteten im künstlichen Lawinenkegel. Handystrahlen und Weiteres kann die Geräte beeinflussen und so lief manch einer im Kreis, ohne dem Verschütteten wirklich näher zu kommen. Den Neulingen erklärten die Spezialisten der «Alpinen Rettung» geduldig, wie die Geräte funktionieren und auf was sie bei der Suche achten müssen. Glücklicherweise war das grosszügige Gelände ausgeleuchtet, sodass man sich gut orientieren konnte. Gemeinsam gelang es der Sondiertruppe, den LSV-Spezialisten und den Hundeführern alle vergrabenen Gegenstände und Menschen zu retten. Dank der genau geführten Liste von André Oehrli war gewährleistet, dass alle vom Einsatz zurückgekommen waren. So erklärte sich auch, weshalb er genau wissen wollte, wer bei welchem Team angschlossen war. Für die Übung schien dies etwas übertrieben, doch genau diese Details müssen geübt sein, damit sie im Ernstfall klappen, wenn es um Leben und Tod geht.

Für die Besprechung der Übung fanden sich alle im Restaurant Sunnestübli ein. «Eigentlich ist der Lawinenkegel in den ersten paar Minuten für die Suche durch die Lawinenhunde gesperrt», sagte der Rettungschef gegenüber dieser Zeitung. Die Hunde seien sehr schnell und präzis. Erst wenn sie etwas andeuteten oder nichts fänden, komme der Mensch zum Einsatz. «Heute aber wollten wir die ausgebildeten Hunde einer Stresssituation aussetzen, bei der sie auf einem Lawinenkegel suchen mussten, auf dem sich viele Menschen befanden», führte er weiter aus. Das haben die Hunde hervorragend gemeistert. Sie liessen sich vom Durcheinander nicht ablenken, sondern gingen ihrer Arbeit konzentriert nach und fanden, wie Grundisch andeutete, die vergrabenen Sachen viel schneller als die Menschen mit den Geräten.

Mit der öffentlichen Übung zeigte der SAC Nähe zur Bevölkerung und zu interessierten Personen. Er kann damit Goodwill für seine Arbeit schaffen und vielleicht sogar Nachwuchs generieren. Neben dem Rettungsteam waren in der Tat einige Interessierte, die von dieser seltenen Erfahrung profitieren konnten. Ein paar von ihnen hatten sogar zum ersten Mal ein LSV-Gerät in den Händen oder liessen sich erstmals in eine Höhle vergraben, um später vom Suchtrupp gefunden zu werden – ein emotionales Erlebnis.

Video: https://tinyurl.com/y9tmsxfq


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