Die grüne Lunge des Planeten droht zu ersticken

  22.02.2019 Leserbeitrag

Es eilt. Bei der Klimaerhitzung ist der Faktor Zeit entscheidend, und es ist ungewiss, ob wir diesen Wettlauf gewinnen. «Ich will, dass ihr handelt, als wenn euer Haus brennt, denn das tut es. Ich will nicht, dass ihr Hoffnung habt. Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre», sagte die 16-jährige schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg im Januar am Weltwirtschaftsforum in Davos. Vor allem bei jungen Menschen scheint das Klimabewusstsein langsam zu erwachen, wie auch die Klimastreiks und Klimademonstrationen der vergangenen Wochen zeigen.

Während die einen ihren Beitrag zur Klimarettung mit grossem Engagement und ehrgeizigen Innovationen leisten, torpedieren andere systematisch positive Bestrebungen. Das positive Beispiel zuerst: Zwei junge ETH-Ingenieure haben mit viel Herzblut ein Unternehmen mit mittlerweile über 60 Mitarbeitenden aufgebaut, welches das Treibhausgas CO2 (Kohlendioxid) aus der Luft filtern kann. Das neutralisierte CO2 kann man wiederverwenden, etwa als Kohlensäure in Getränken. Oder man kann CO2 ganz aus dem Verkehr ziehen und in geeigneten Gesteinsformationen tief im Erdinnern gefahrlos endlagern. Die in Oerlikon domizilierte Firma Climeworks ist weltweit führend und entsprechend erfolgreich. Das erste kommerzielle Projekt dieser Art steht seit 2017 im zürcherischen Hinwil. Dort saugen 18 Ventilatoren die Luft durch ein raffiniertes Filtersystem und entfernen so 900 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr.

Dieses beachtliche Projekt verweist aber auch auf die gewaltigen Dimensionen des Klimaproblems. Climeworks hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 ein Prozent der globalen Emissionen aus der Luft zu filtern – das entspricht jährlich rund 300 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Um allein dieses bescheidene Ziel zu erreichen, wären rund 250 000 Anlagen wie jene in Hinwil notwendig. Der Weltklimarat rechnet allerdings in einem im Herbst 2018 veröffentlichten Klimabericht mit 100 bis 1000 Milliarden Tonnen CO2, die aus der Atmosphäre entfernt werden müssten – je nachdem, wie schnell der Treibhausgas-Ausstoss sinkt. Die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der Firma Climeworks stösst grundsätzlich auch bei der Umweltorganisation Greenpeace auf Sympathien. Greenpeace warnt aber vor Illusionen und einer Gefahr: Wer allzu stark auf solche Lösungen setze, liefere der Politik Ausreden, um so die notwendige radikale Reduktion der Treibhausgase weiter hinauszuzögern. Greenpeace fordert deshalb – neben der Vermeidung von Treibhausgasen – vor allem eine starke Aufforstung. So könnte der Atmosphäre ebenfalls in erheblichem Mass Kohlendioxid entzogen werden.

Und damit sind wir beim negativen Beispiel. Statt Aufforstung im grossen Stil geschieht das Gegenteil: Der Amazonas-Regenwald – er beherbergt den grössten Kohlendioxid-Speicher der Erde, das grösste Waldgebiet und die umfangreichsten Süsswasserreserven des Planeten – wird systematisch zerstört. Brasiliens neuer rechtsradikaler Präsident Jair Bolsonaro legt nun definitiv die Axt an den Regenwald. Bolsonaro will Schutzgebiete auflösen, industrielle Grossprojekte fördern, der Rinderzüchter-Lobby Tür und Tor öffnen und generell den Umweltschutz schwächen. Mit anderen Worten: Der grünen Lunge des Planeten geht die Luft aus, der Amazonas-Regenwald als globaler Klimaschützer Nummer eins kämpft ums Überleben.

Man mag vom technokratischen Ansatz des CO2-Absaugens halten, was man will: Beim Wettlauf mit der Zeit in Sachen Klimaschutz haben wir nur dann eine Chance, wenn alle Mittel eingesetzt werden, ob kleine persönliche Beiträge, wirkungsvolle politische Steuerung, technische Innovationen – oder eben auch technische Utopien. Nur eines geht nicht: diesen anspruchsvollen Wettlauf zu unterlaufen, wie es zum Beispiel Bolsonaro tut.

JÜRG MÜLLER
[email protected]


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