Was ist eine Familie?

  08.02.2019 Vorschau

Am kommenden Montag, 11. Februar zeigt das Filmpodium Saanenland um 20.30 Uhr im Ciné-Théatre Gstaad den Film «Shoplifters» des japanischen Regisseurs Hirokazu Kore-eda (2018).

Von Hirokazu Kore-eda hat das Filmpodium schon mehrere Filme gezeigt und alle blieben in eindrücklicher Erinnerung: «Nobody knows», in dem eine Mutter ihre vier Kinder verlässt und sich diese ein neues Leben organisieren müssen. «Like Father like Son», in dem zwei Familien feststellen, dass ihre Kinder bei der Geburt verwechselt worden sind, und «Our little Sister», in dem drei Schwestern bei der Beerdigung ihres Vaters eine vierte Schwester entdecken und diese bei sich aufnehmen. Auch im neuesten Film von Kore-eda, mit dem er 2018 die Goldene Palme von Cannes gewonnen hat, steht eine Familie im Mittelpunkt.

Die Familie, das ist der (falsche) Vater Osamu, der mit seiner Frau und der Grossmutter sowie deren Enkelin in ärmlichen Verhältnissen zusammenwohnt. Osamu ist Bauarbeiter, seine Frau arbeitet in einer Wäscherei, die Grossmutter lebt von einer Rente und die Enkelin arbeitet in einer Art Peepshow für einsame Menschen. Dazu gehört auch Shota, der verwahrlost auf der Strasse gelebt hat und von der Familie aufgenommen wird, genauso wie Yuri, die von ihren Eltern misshandelt und ausgeschlossen worden ist und ebenfalls von Osamu «adoptiert» wird. Die Familie lebt in armen Verhältnissen am untersten Rand der Gesellschaft und hält sich mit Ladendiebstählen – «shoplifting» – über Wasser, ist jedoch glücklich und in liebevoller Zuneigung einander verbunden.

Kore-eda zeichnet auf witzige und poetische Art das Porträt einer Familie am Rand der japanischen Gesellschaft und beleuchtet nicht nur kritisch die sozialen Verhältnisse in Japan, sondern spricht auch Tabuthemen wie Kinderarmut und Kindsmisshandlung an. Für diese Gesellschaftskritik wurde er in seiner Heimat heftig angegriffen, möchte Japan doch das Bild einer Gesellschaft des Zusammenlebens und der gegenseitigen Unterstützung pflegen – gerade auch vor dem Hintergrund des boomenden Tourismus und im Hinblick auf die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio.

Neben dieser Gesellschaftskritik ist «Shoplifters» wie die früheren Filme aber vor allem eine Reflexion über das Wesen der Familie. Der Regisseur entwirrt das rätselhafte Geflecht von Zuneigung und Abhängigkeit, das die Familie zusammenhält. Nach und nach kommen Geheimnisse zum Vorschein, die zeigen, wie nahe – in einem Land wie Japan, in dem das Geschäft mit Mietfamilien für einsame Menschen floriert – Gefühle und Geschäft sind und wie jede Beziehung angesichts von existentieller Bedrohung zerbrechen kann. Die Figuren mögen kriminell sein und die Familie fällt auseinander, die selbst gewählten Familienbande bleiben jedoch in jedem einzelnen Familienmitglied bestehen.

Dass Familienbande auch ohne Blutsbande entstehen können und dass Familie da ist, wo Liebe herrscht, sind keine grundlegend neuen Erkenntnisse. Wie Kore-eda sie jedoch immer wieder in filmische Poesie verwandelt, ist ungewöhnlich und berührend.

PD


Filmpodium Saanenland – der spezielle Film, jeden zweiten Montag im Monat im Ciné-Theater Gstaad. Werden Sie Mitglied, um keinen Film zu verpassen! Nicht-Mitglieder sind ebenfalls herzlich willkommen und bezahlen den Eintritt an der Kinokasse.


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