Zersiedelungsinitiative schlägt keine hohen Wellen

  08.02.2019 Saanenland

Am kommenden Sonntag stimmt das Schweizer Stimmvolk über die Zersiedelungsinitiative ab. Die Initianten wollen mit der Initiative Kulturland erhalten, aus Sicht der Gegner schadet die Initiative der Landwirtschaft und dem Tourismus.

Eingereicht wurde die Initiative von den Jungen Grünen. Für eine regionale Nahrungsmittelproduktion müsse das Kulturland erhalten und vor der weiteren Zersiedelung geschützt werden, argumentieren die Initianten. Die Initiative will die Gesamtfläche der Bauzonen in der Schweiz auf unbefristete Zeit auf dem heutigen Stand einfrieren. Neue Bauzonen sollen nur noch geschaffen werden dürfen, wenn andernorts «eine mindestens gleich grosse Fläche von vergleichbarem landwirtschaftlichem Erstragswert wieder aus der Bauzone ausgeschieden wird», wie es in der Abstimmungsbroschüre heisst. Auch sollen Landwirtschaftsbauten nur noch bewilligt werden, wenn sie «einen direkten Bezug zur Bewirtschaftung des Bodens haben», wenn sie zum Beispiel der Produktion von Freilandgemüse dienen oder der Haltung von Tieren, die mit eigenem Futter aufgezogen werden.

«Initiative schadet der Landwirtschaft»
Parlament und Bundesrat empfehlen die Initiative zur Ablehnung. Sie schade der Landwirtschaft, Bauten wie Gewächshäuser oder Geflügelhallen dürften grösstenteils nicht mehr auf Landwirtschaftsland erstellt werden, wird argumentiert. Die bäuerlichen Bauherrschaften müssten in Bauzonen ausweichen, wo der Boden viel teurer sei. Zum Schutz von Natur und Landwirtschaft sei es wichtig, die vorhandenen Siedlungsflächen besser zu nutzen und Bauzonen festzulegen. Bund, Kantone und Gemeinden seien längst auf diesem Weg, die Initiative verkenne dies und erschwere es mit ihrem starren Bauzonen-Stopp, die Schweiz als Wohn- und Arbeitsort attraktiv zu machen.

Der Schweizerische Bäuerinnenund Landfrauenverband (SBLV) befürwortet im Prinzip einen strikten Schutz des landwirtschaftlichen Kulturlandes, lehnt die Initiative jedoch ab. Der Verfassungstext gehe zu weit und verhindere einen vernünftige Weiterentwicklung und Innovation der Landwirtschaft, argumentiert der Verband.

Von einem Kollateralschaden in der Landwirtschaft und Tourismus schreibt die Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete (SAB). Mit den restriktiven Regelungen zu Bauten in der Landwirtschaftszone wirke sich die Initiative negativ auf die Entwicklungsperspektiven der Landwirtschaft aus. Das ausdrückliche Verbot von Anlagen für die innere Aufstockung wie beispielsweise Gewächshäuser oder Geflügelmasthallen schränke die Produktionsmöglichkeiten der einheimischen Landwirtschaft im Vergleich zur heutigen Situation deutlich ein. Die Initiative gefährde zudem die Weiterentwicklung des touristischen Angebots, da nichtlandwirtschaftliche Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen nur noch bewilligt werden dürften, wenn ein öffentliches Interesse nachgewiesen werden könne. «Bei einer Annahme der Initiative dürften keine SAC-Hütten, Bergrestaurants oder Seilbahnen mehr gebaut werden», so der SAB.

«Initiative fördert die Zersiedelung»
Abgelehnt wird die Initiative auch von hotelleriesuisse. Die Initiative schade dem Tourismus und den Berggebieten. Das Einfrieren der Bauzonen ohne jegliche zeitliche Beschränkung würde dazu führen, dass in einigen Gebieten gar nicht mehr, in anderen jedoch umso mehr gebaut werden könnte, schreibt die Verbandsleitung. Damit drohe in peripheren Lagen ein unerwünschter Bauboom und eine Verstärkung der Zersiedelung. Gebiete mit wirtschaftlicher Entwicklung würden gelähmt. Speziell betroffen wäre auch das Berggebiet. «Die Entwicklung in wirtschaftsstarken Berggemeinden würde blockiert, die Zersiedelung im peripheren Berggebiet unerwünscht verstärkt.» In einigen Regionen würde das Einfrieren der Bauzonen zu einer gravierenden Bauverknappung führen, die Folge wäre eine Verteuerung der Baulandpreise und der Wohn- und Gewerbe-Immobilien. Seien in bestimmten Gebieten keine baulichen Entwicklungen mehr möglich und drohten hohe Preissteigerungen und könnten touristische Projekte nicht mehr oder nur noch stark erschwert realisiert werden. Dies wäre einer gesunden Entwicklung der Tourismus- und Beherbergungsbranche stark abträglich, schreibt hotelleriesuisse.

Die Ja-Parole gefasst haben unter anderen die Grünen, die SP und die EVP, dazu einige Organisationen und Verbände wie der VCS, die Kleinbauernvereinigung, Pro Natura oder der WWF. Die Reserven im bestehenden Siedlungsgebiet sowie in den noch nicht überbauten Bauzonen seien so gross, dass sogar beim höchsten Bevölkerungsszenario des Bundes mehr als genug Wohnraum zur Verfügung stehe, ohne im Prinzip ein einziges Hochhaus in der Schweiz bauen zu müssen, schreibt die SP Schweiz. Steigende Mietpreise seien deshalb nicht zu befürchten. Die Zersiedelungsinitiative bremse das Wohnraumangebot und die wirtschaftliche Entwicklung keineswegs, möchte die Entwicklung aber nach innen lenken, um nicht noch mehr Grünfläche zu opfern.

Die Landwirtschaft verliere mit jedem überbauten Quadratmeter Boden ein Stück ihrer wichtigsten Ressource, schreibt die EVP. Überbauung bedeute immer eine Versiegelung des Bodens. Dies zerstöre dessen Struktur, den Wasser- und Sauerstofftransport sowie den Lebensraum von Bodenorganismen. «Das schöne Landschaftsbild ist ein wichtiger Faktor für den Tourismus, weshalb sich die Schweiz nicht in eine Betonwüste verwandeln soll.»

Kein grosses Thema in der Region
Obwohl eine Annahme der Zersiedelungsinitiative Folgen hätte für unsere Region, wirft sie – wie eine (nicht repräsentative) Umfrage bei relevanten Entscheidungsträgern zeigt – anders als beispielsweise die Zweitwohnungsinitiative oder die Hornkuhinitiative in unserer Region keine hohen Wellen. Die Devise geht Richtung Abwarten und sich dann damit befassen, wenn die Initiative angenommen würde und das Parlament die Gesetzesbestimmungen konkretisiert. Möglicherweise wirft die Initiative auch deshalb keine hohen Wellen, weil ihr gemäss neusten Umfragen nur wenig Chancen eingeräumt werden.

PD/ANITA MOSER


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