Der Velocomputer

  08.03.2019 Leserbeitrag

Mehr als 2000 Jahre vor der Erfindung des Velocomputers schrieb der griechische Physiker und Mathematiker Archimedes: «Miss alles, was sich messen lässt, und mach alles messbar, was sich nicht messen lässt.» Das war ganz sicher keine Anspielung auf den Velocomputer. Denn es dauerte sehr lange, bis die modernen Velocomputer diese Forderung erfüllen konnten. Doch heute kann ein guter Velocomputer mehr als nur die Geschwindigkeit messen und die gefahrenen Kilometer festhalten. Die neueren Velocomputer können auch die Höchstgeschwindigkeit, die Durchschnittsgeschwindigkeit, die Fahrzeit, die Tages- und Jahreskilometer, den Kalorienverbrauch, die Höhenmeter, die Uhrzeit, die Temperatur, die Trittfrequenz und die Herzfrequenz anzeigen. Zudem sind die neueren Velocomputer meistens auch mit GPS ausgerüstet, sodass man auf unbekannten Touren immer weiss, wo man ist, und wann es Zeit ist, umzukehren, um rechtzeitig daheim zu sein.

Sportler, die ihre Leistung steigern möchten, ergänzen das uralte Zitat von Archimedes mit der Aussage des Computerherstellers Michael Dell: «Alles, was man messen kann, lässt sich verbessern.» Und die Leistung lässt sich nur verbessern, wenn man sie kennt. Sportler, die immer besser werden wollen, müssen darum genau wissen, wo sie «stehen». Und wer die Leistung steigern will, muss wissen, welche Leistungen bisher vollbracht worden sind. Um das zu erfahren, ist heute ein Velocomputer unentbehrlich. Denn: «Wer nicht mehr will, als er kann, bleibt unter seinem Können.» (Herbert Marcuse)

Doch die Velocomputer, die für Sportler und Sportlerinnen unverzichtbar sind, können für Genussfahrer/innen zur grossen Versuchung werden. Ein als Spazierfahrt geplanter Ausflug kann mit diesem Messgerät plötzlich zu einem Velorennen ausarten. Denn der Velocomputer überwacht alles. Jederzeit kann man auf ihm alles Mögliche und Unmögliche ablesen. Und das, was man sieht, spornt oft an, noch ein bisschen energischer in die Pedale zu treten und bei jeder neuen Tour noch ein bisschen besser zu werden.

Velocomputer bieten auch die Möglichkeit, die Leistungen mit anderen Velofahrern zu vergleichen. Während des Fachsimpelns über das Velofahren sagt vielleicht der eine zum andern Anfang Juli: «Seit April habe ich bereits mehr als 2000 Trainingskilometer zurückgelegt. Und wieviel hast du?» Der andere hat erst 1000 Trainingskilometer auf dem Zähler und glaubt daher, seinen Trainingsrückstand rechtfertigen zu müssen: «Ich habe erst 1000 Kilometer, aber ich bin nicht Single wie du. Ich muss zwischendurch auch mal mit der Familie eine Wanderung machen.» Anstelle einer solchen Rechtfertigung würde Albert Einstein wohl sagen: «Nicht alles, was zählt, ist zählbar, und nicht alles, was zählbar ist, zählt.»

Velocomputer sind immer beides: Für leistungsbewusste Sportler sind sie wichtige Trainings- und Kontrollgeräte, und für Genussfahrer/innen können sie zu unliebsamen Ruhestörern und Hetzern werden. Wer eine Velotour durch die Schönheiten und Wunder der Natur geniessen will, sollte darum frei sein von Leistungsdruck, und den Velocomputer – wenn einer am Velo montiert ist – mit einem Smiley-Bildchen abdecken. Denn die Anzahl der gefahrenen Kilometer und die Durchschnittsgeschwindigkeit auf einer Tour sagen nichts aus über das, was man unterwegs gesehen, bestaunt und erlebt hat. Die Anzahl der Trainingskilometer am Ende einer Velosaison bestätigen einem, dass man etwas geleistet hat. Und wenn man mehr geleistet hat als im vorangegangenen Jahr, empfindet man ganz sicher eine gewisse Freude und Zufriedenheit. Doch, mit oder ohne Computer am Velo: Letztlich hat nur das, was man auf den Touren körperlich, geistig und seelisch erlebt hat, einen bleibenden Erinnerungswert bis ins hohe Alter.

ROBERT SCHNEITER


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