«Eine Marke wie Gstaad müsste sich auf dem internationalen Markt deutlich besser verkaufen»

  30.04.2019 Interview

Seit Oktober 2017 war Sébastien Epiney Tourismusdirektor im Saanenland. Ende April verlässt er die Region aus privaten Gründen. Im Interview zieht er Bilanz und spricht über Herausforderungen für das Saanenland.

ANITA MOSER

Sébastien Epiney, wie schwierig ist der Job als Tourismusdirektor?
Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. Es kommt auf viele Faktoren an: auf das touristische Angebot, die Rentabilität der Leistungsträger, die Haltung der Partner usw. In Bergregionen ist dieser Job auf jeden Fall viel exponierter als in Städten, da der Tourismus hier die wichtigste Branche ist. Ich persönlich übe diesen Job seit 17 Jahren aus, also scheint er für mich machbar zu sein …

Kann man eine Destination Gstaad-Saanenland als Tourismusdirektor führen?
Ja, klar, könnte man. Aufgrund der hohen Qualität des Angebots wäre dies hier nicht so schwierig. In vielen Bergregionen sind die Infrastrukturen entweder unvollständig oder veraltet, und es fehlen öfters die Ressourcen, um diese Mängel zu korrigieren. Das Saanenland ist diesbezüglich privilegiert. Allerdings sind die Strukturen hier komplex, sodass die eigene Entscheidungsbefugnis überall an ihre Grenzen stösst. Heute wird die Destination weder von GST noch von der Gemeinde oder sonst einer Institution geführt. Die Gemeinde Saanen verteilt aber sehr grosszügig Gelder – an die BDG, an Gstaad Marketing, an die Events, an touristische Infrastrukturen usw. Die anderen Gemeinden beteiligen sich finanziell, ihren Mitteln entsprechend, auch sehr stark.

Verstehe ich richtig, Sie sind der Meinung, die Gemeinden sollten mehr Einfluss haben?
Ja, denn die Gemeinden tragen letztendlich die Verantwortung für das Territorium, für die Weiterentwicklung. In Nendaz beispielsweise gibt es eine AG, in der alle wichtigsten Leistungsträger vertreten sind. Der Tourismusverband und die Gemeinden halten 51 Prozent der Aktien, obwohl die Bergbahnen im Vergleich zu hier viel stärker sind. Die Gemeinde spielt dort in der AG eine führende Rolle und das finde ich absolut richtig.

Ist man als Tourismusdirektor hin- und hergerissen zwischen den Interessen?
Eigentlich nicht, ich habe schon in Nendaz immer das Allgemeinwohl in den Vordergrund gestellt. Und das habe ich auch in meinem neuen Wirkungsbereich in den Portes du Soleil vor. Allerdings sind dort die Voraussetzungen, mit der Organisation wirksam zu agieren, optimal: Da gibt es nur eine Gesellschaft, die für den Tourismus, das Standortmarketing und die Volkswirtschaftsförderung zuständig ist. Dort werde ich wie in der Vergangenheit mehr Verantwortung tragen und mehr Leistungsdruck haben. Als ehemaliger Spitzensportler brauche ich das.

Wie sieht Ihre Bilanz aus nach 19 Monaten als GST-Direktor?
Die Zeit war leider zu kurz, um Grosses zu erreichen. Ich hätte früher nach Gstaad kommen sollen/müssen, um etwas zu bewegen. Die Destinationsstrategie inklusive Organisation hätte ich sehr gerne mitgeprägt.

Welche Ziele haben Sie erreicht, welche nicht?
Die Beziehungen zwischen den Partnern konnten wir verbessern, insbesondere mit den Gemeinden und mit der BDG. Zudem konnten wir erfolgsversprechende Kooperationsverträge mit Lenk Simmental Tourismus und mit dem Pays-d’Enhaut unterzeichnen. Generell hat das Beziehungsmanagement sehr viel meiner Zeit beansprucht, da die Vertrauensbasis zwischen wichtigen Partnern fehlte. Einige Ziele, die ich mir selbst steckte, konnte ich aber nicht erreichen.

Zum Beispiel?
Dass die BDG und Glacier 3000 wenig kooperieren, erachte ich auch als einen persönlichen Misserfolg. Oder dass wir trotz der Stärke der Marke Gstaad so wenig Nachfrage aus dem Ausland generieren. 65 Prozent der Hotellerie-Logiernächte stammen aus der Schweiz. Eine Marke wie Gstaad müsste sich auf dem internationalen Markt deutlich besser verkaufen.

Vor welchen Herausforderungen steht das Saanenland aus Ihrer Sicht?
Die Destination verfügt über ein vielfältiges touristisches Angebot auf höchster Qualität und ist im Vergleich zu den meisten Bergdestinationen besser aufgestellt. Allerdings ist die Vermarktung dieses einzigartigen Produkts ausserhalb der Nachbarkantone noch stark verbesserungsfähig. Dass man hier nur mit grossen Schwierigkeiten gute Arbeitskräfte findet, und das in fast allen Branchen, ist auch bedenklich: Wie kann diese einmalige Qualität erhalten bleiben, wenn man zukünftig die «besten Leute» nicht mehr findet?

Wo sehen Sie die Gründe?
Über die Gründe kann man nur spekulieren. Möglich, dass es an der Reputation von Gstaad als Luxusort liegt. Einige schreckt es vielleicht ab. Mit ein Grund mag sein, dass es in der Nähe keine Stadt gibt. Auch ist es für manche schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, entsprechende Arbeitsstellen und Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder zu finden, wenn beide Eltern arbeitstätig sind. Die hohen Miet- und Immobilienpreise könnten ebenfalls ein Grund sein, was auch die Abwanderung von jungen Leuten aus der Region zur Folge hat. Denn auch das ist ein Problem.

Gibt es weitere Herausforderungen?
Weitere Herausforderungen sehe ich beim Entertainment, inklusive Après-Ski, das in Gstaad zurzeit nicht konkurrenzfähig ist. Obwohl Gstaad über ein toptouristisches Angebot verfügt, ist die Destination sechs Monate im Jahr fast leer. Da muss man dringend die Nachfrage aktivieren. Eminent wichtig – für die Bevölkerung wie für Gäste – ist auch eine funktionierende Gesundheitsversorgung.

Wer sind die starken Persönlichkeiten im Saanenland?
Das Wohl der Destination ist sehr abhängig von Marcel Bach. Dass eine touristische Destination mit Ausstrahlung wie Gstaad von den Verdiensten einer Einzelperson so stark abhängig ist, hätte ich nicht gedacht. Dank seinem Engagement und seinem Netzwerk ist viel Neues entstanden oder gerettet worden. Es drängt sich die Frage auf, was passiert, wenn Marcel Bach sich irgendwann zurückzieht.

Welches war für Sie die schönste Begebenheit?
Die steht noch bevor: Ich werde mit so einigen Menschen vom Saanenland in Kontakt bleiben!

Was ist das Peinlichste, das Ihnen passiert ist?
Hier denke ich nicht an ein spezifisches Ereignis. Die Tatsache, dass wir so wenig von den internationalen Netzwerken von unseren Partnern und exklusiven Gästen nutzen, hat aber schon etwas Peinliches. Auch ich hätte da mehr Netzwerkpflege betreiben können.

Möchten Sie jemandem speziell Danke sagen …?
Ja, den Freiwilligen, zum Beispiel den Dorforganisations-Vorstandsmitgliedern und lokalen Eventorganisatoren, die ohne Entlöhnung und mit teilweise wenig Wertschätzung so viel leisten. Man kann ihnen nicht genug danken. Und auch den Gemeinden für alle Gelder, die sie in den Tourismus investieren.

… oder sich entschuldigen?
Bei den extrem netten Einheimischen, die mich so herzlich aufgenommen haben und die jetzt auch entsprechend Verständnis für meinen Weggang zeigen.

Was werden Sie am meisten vermissen?
Die vielen Zügleten durch die Promenade.

Sie verlassen das Saanenland aus privaten Gründen. Wohin führt Sie Ihr beruflicher Weg?
Ab dem 1. Mai werde ich als Volkswirtschafts- und Tourismusdirektor der Région Dents du Midi AG arbeiten. Diese vor kurzem gegründete Aktiengesellschaft kümmert sich um die volkswirtschaftlichen und touristischen Belange dieser Region. Sie ist auch zuständig für die Vermarktung der Portes du Soleil auf Schweizer Boden. Bestimmt eine spannende Herausforderung, da die Portes du Soleil über eines der weltweit grössten Skigebiete verfügen und auch im Biking europaweit führend sind.


NACHFOLGE AUFGEGLEIST

Mit Andreas Zoppas hat auch einer der zwei Vizedirektoren demissioniert. Mit ihm verliert Gstaad Saanenland Tourismus sozusagen den «lokalen Anker». Seine Demisson habe nichts mit dem Abgang von Sébastien Epiney zu tun. «Wir haben uns nicht abgesprochen. Es lief parallel, ohne dass wir es voneinander gewusst haben», sagt Andreas Zoppas auf Anfrage. Nach achteinhalb Jahren bei GST sei es Zeit für einen Wechsel, begründet er. Und auf die Frage, ob ihn der Posten des Tourismusdirektors nicht gereizt habe, kommt ein klares Nein. «Sonst hätte ich mich schon vor eineinhalb Jahren beworben», erklärt er. Die gleichzeitige Demisson von zwei Kaderleuten an der Spitze von GST sieht er für seinen ehemaligen Arbeitgeber zwar einerseits als Herausforderung, andererseits aber eher als Chance.

Andreas Zoppas arbeitet seit Mitte April bei der Gemeinde Saanen im Bereich öffentliche Sicherheit. Er freue sich über die neue Herausforderung. «Es ist etwas ganz anderes, als ich bisher gemacht habe.»

Nachfolger von Sébastien Epiney ist Flurin Riedi. Der 37-Jährige wird sein Amt als Geschäftsführer von Gstaad Saanenland Tourismus spätestens Anfang Juli antreten (wir haben berichtet). Bis zum Stellenantritt von Flurin Riedi nimmt die bisherige Vizedirektorin Andrea Riggenbach die Geschäftsführung GST übergangsmässig wahr.

ANITA MOSER


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