Türkei und Slowakei: zwei starke Voten für die Demokratie

  26.04.2019 Leserbeitrag

Die Slowakei und die Türkei sind kaum vergleichbar. Und trotzdem haben beide vor einigen Wochen für eine ähnliche Überraschung gesorgt: In beiden Staaten musste die nationalistisch, konservativ und rechtspopulistisch orientierte Elite des Landes eine Wahlschlappe hinnehmen. In der Slowakei wurde mit Zuzana Caputova eine Staatspräsidentin gewählt, die alles verkörpert, was osteuropäischen Autokraten zutiefst widerstrebt: Sie steht für eine multikulturelle Gesellschaft, ist liberal, Feministin, Proeuropäerin, Umweltanwältin, Anti-Korruptions-Aktivistin und politische Quereinsteigerin. Sie hat der Smer erfolgreich die Stirn geboten, einer dem Namen nach sozialdemokratischen Partei, die aber in den meisten Punkten dem rechtspopulistischen Mainstream Osteuropas nacheifert.

Auch das islamisch-konservativ-autokratische Regime in der Türkei musste Ende März eine Wahlschlappe hinnehmen. Es handelte sich zwar «nur» um Kommunalwahlen, doch Präsident Erdogan stilisierte die Wahlen zu einer Vertrauensfrage für seine Regierung – und diese hat er verloren. Zwar bleibt seine Partei samt Koalitionspartnerin stärkste politische Kraft im Land, doch büsste sie nicht nur die Hauptstadt Ankara und die Wirtschaftsmetropole Istanbul ein, sondern auch andere urbane Zentren. Die Niederlage bleibt, auch wenn Erdogan die Resultate teilweise anficht, Nachzählungen verlangt oder gar eine Wahlwiederholung anstrebt.

Erdogan konnte diese Schlappe trotz massiver Repression nicht verhindern; ein ermutigendes Zeichen für die türkischen Demokratie. Denn seit dem gescheiterten Militärputsch vom Juli 2016 hat der Präsident rund 180 Presseorgane, Fernseh- und Radiostationen geschlossen und eine hohe Zahl von Medienschaffenden hinter Schloss und Riegel gesetzt. Gemäss der Organisation «Reporter ohne Grenzen» arbeiten die verbliebenen Redaktionen unter ständiger Angst, kritische Berichterstattung wagen nur noch wenige Journalistinnen und Journalisten. Ein typischer Vorfall zeigt, wie unverfroren die Staatsmacht bei den Medien durchgreift, wenn es unangenehm wird: Als sich in der Wahlnacht abzeichnete, dass auch in Istanbul die Opposition auf dem Vormarsch ist, stellte das Staatsfernsehen die Publikation von Wahlresultaten für rund zwölf Stunden kurzerhand ein.

Dass Politiker bei Niederlagen die Nerven verlieren und sofort die Medien angreifen, ist ein bekanntes Phänomen und konnte jüngst auch wieder in der Schweiz beobachtet werden. Nach der Wahlniederlage der SVP im Kanton Zürich von Ende März forderte der Präsident der SVP Schweiz, Nationalrat Albert Rösti, man müsse nun eine Halbierung der Rundfunkgebühren ins Auge fassen, weil die SRG eine «völlig unangebrachte und unverhältnismässige Klimakampagne» geführt habe, was «uns stark geschadet» hat. Und was der Partei «schadet», muss weg. Das Verhalten gegenüber unabhängigen Medien ist immer ein recht zuverlässiger Gradmesser für das Demokratieverständnis von Politikern.

Antidemokratische Umtriebe und Gefahren für die Pressefreiheit lauern überall. Die Wahl der neuen slowakischen Präsidentin Zuzana Caputova ist auch deshalb bedeutungsvoll, weil es indirekt ein Votum für freie Medien ist. Denn der kometenhafte Aufstieg der zuvor kaum bekannten Caputova ist ohne den Auftragsmord am Journalisten Jan Kuciak und seiner Partnerin im vergangenen Jahr nicht zu verstehen. Kuciak recherchierte über die Verbindungen der Mafia mit Wirtschaft und Politik und bezahlte dafür mit seinem Leben. Diese Tat und ihre Hintergründe versetzte das Land in einen – wie sich jetzt zeigt: heilsamen – Schock.

JÜRG MÜLLER
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