Was bedeutet der indische Markt für das Saanenland?

  26.04.2019 Tourismus

Immer mehr Inder und Inderinnen zieht es ins Saanenland. Grund dafür sind zahlreiche Bollywood-Filmdrehs in der Region. Vorgestern besuchte der indische Botschafter das Saanenland und besichtigte unter anderem die neue Brückenbeschriftung und Infografik in Saanen.

SARA TRAILOVIC
Über 200 Szenen bekannter Bollywood-Filme spielen im Saanenland, die bekannteste davon auf der Dorfbrücke in Saanen. «Ich wurde schon ein wenig nostalgisch, als ich auf der Brücke stand», sagte George Sibi gegenüber dem «Anzeiger von Saanen». Die Region habe ihm sehr gefallen, er werde mit seiner Ehefrau wiederkommen, schwärmte der indische Botschafter in der Schweiz. Niclas Baumer, Präsident der Dorforganisation Saanen, erinnerte sich bei einem Gespräch in Saanen daran, wie er als Kind mit grossen Augen die ersten indischen Filmteams hierzulande beobachtet hatte. Seither hat sich die Bollywood-Industrie und die indische Gesellschaft stark weiterentwickelt. Thomas Schetty, Markets and Sales Manager der Destination Gstaad, sprach beim Treffen über das touristische Angebot für Inder/innen im Saanenland.

Neue Filmtafeln und Plakat in Saanen
«Anfang dieses Jahres haben wir in Zusammenarbeit mit Andreas Zoppas von Gstaad Saanenland Tourismus ein Infoplakat am Bahnhof in Saanen platziert», sagte Niclas Baumer. Als Grundlage habe man den bereits bestehenden Dorfplan für Gäste verwendet, um unnötige Verwirrung zu vermeiden. Auf dem neuen Plakat in der Glasvitrine sind die bekannten Drehorte in Saanen markiert, begleitet von einem kurzen Infotext. «Die Grafik gibt nicht zu viel Preis, sodass genügend Gründe für das Buchen einer umfangreiche Bollywood-Tour von Guides-Gstaad bleiben», fügte Thomas Schetty an.

Seit dem 28. März schmücken zwei grosse Tafeln die Dorfbrücke beim Bahnhof in Saanen. Diese stellt den beliebtesten Drehort im Dorf dar, wo in den 90er-Jahren die romantische Abschiedszene des Klassikers «Dilwale Dulhania Le Jayenge» – auf Deutsch «Wer zuerst kommt, kriegt die Braut» – gedreht wurde. «DDLJ» spielt als erster Bollywood-Film grösstenteils in der Schweiz und füllt noch heute tagtäglich die Kinos in Mumbai.

«Die hier gedrehten Bollywood-Filme sind für die indische Bevölkerung von grosser Bedeutung. Die drei Grafiken sollen für die Inder/innen auch ein Zeichen dafür sein, dass sie hier willkommen sind und man an sie denkt», so der Präsident der Dorforganisation Saanen.

Der indische Markt steht an 12. Stelle
Der Grossteil der indischen Touristen kann sich mehrtägige Aufenthalte in der Destination nicht leisten, weiss Thomas Schetty. «Sie besuchen unsere Region als Tagestouristen von Interlaken, Bern oder Montreux aus und reisen dann in Richtung Luzern oder Les Diablerets weiter.» Das zeige sich auch in den Geschäftszahlen: Bis jetzt machen indische Gäste nur ein Prozent der Gesamtlogiernächte der Destination Gstaad aus. Schetty fügte zu diesem Punkt an, dass die Hotellerie der Destination Gstaad die grossen Reisegruppen momentan nicht bewältigen könnte. «Vor Kurzem hat der GST die Hotelleriebetriebe befragt, welche Märkte für sie besonders von Bedeutung sind. Dabei kam heraus, dass der indische Markt erst an zwölfter Stelle der Prioritätenliste steht», informierte Thomas Schetty. Demzufolge werde in der Destination Gstaad momentan nicht weiter in die Vermarktung von Indien investiert. «Dass die Destination Gstaad ihren Schwerpunkt in der Märktebearbeitung und im Produktmanagement auf ihre Kernmärkte setzt, ist aus gesamttouristischer Sicht sicher richtig – hierzu gehört Indien nunmal nicht. Wir müssen unsere Produkte bestmöglich den Bedürfnissen dieser Gäste entsprechend weiterentwickeln, sprich primär für Schweizer, Europäer und Nordamerikaner, da die Mittel begrenzt sind. Sicher begrüssen wir aber sehr, wenn Produkte wie die Bollywood-Touren das Gstaad-Erlebnis für spezifische Zielgruppen massgeblich bereichern.»

Schetty sprach auch über die allgemeine Lage des indischen Tourismus: «Nur ein Prozent der Bevölkerung kann sich das Reisen überhaupt leisten, davon zwei Drittel in grossen Reisegruppen, die im Eiltempo durch ganz Europa geschleust werden.» Allerdings wachse die Mittelschicht stetig, mittlerweile gebe es sogar indische Chaletbesitzer/innen. Thomas Schetty erwähnte eine weitere positive Entwicklung für das Saanenland: «Die klassische Reisezeit der Inder/innen dauert von Mai bis Juni, doch junge, urbane Gäste schätzen das Saanenland vermehrt als Wintersportziel.»

Bollywood-Touren werden beliebter
Seit zwei Jahren bietet Guides-Gstaad, ein Ableger des GST, auf Anfrage eintägige Bollywood-Rundgänge an. Dabei werden die Gäste zu Drehorten wie dem Flugplatz in Saanen, dem Stausee in Rossinière, der Promenade Gstaad oder auch dem Lauenensee geführt. Dabei erfahren sie von den Leiter/innen spannende Hintergrundinformationen. Im vergangenen Jahr haben 485 Personen eine solche Tour absolviert, fast 100 mehr als 2017.

Auch das Restaurant Mango in Gstaad, ein Betrieb von Ruci Swiss Ice Cream, wird ab dem kommenden Mai Bollywood-Touren organisieren. Sathya Narayanan-Schwander, Geschäftsinhaber von Ruci Swiss Ice Cream, sagte zum «Anzeiger von Saanen»: «Es ist aufwendig, sich als Tagestourist innert kurzer Zeit zu orientieren und auf eigene Faust zu den bekannten Drehorten zu gelangen. Die indischen Restaurantbesucher/innen kommen mit hohen Erwartungen in die Region und möchten möglichst viel davon sehen.» Aus dieser Nachfrage sei dann die Idee entstanden, selbst Touren anzubieten. «Im Vergleich zu den Rundgängen von Guides-Gstaad decken wir Drehorte aus allen Sparten der indischen Filmindustrie ab, Bollywood ist nur ein Teil davon. «Die hier gedrehten Szenen sind für Inder/innen legendär und wir wollen die Magie der Drehorte aufzeigen», betonte Sathya Narayanan-Schwander. Das Angebot von GST und seines Restaurants ergänze sich perfekt. «Wir bieten flexible Rundgänge für Tagestouristen und Kleingruppen, Guides-Gstaad hingegen ist für grössere Reisegruppen eingerichtet, die schon im Voraus buchen.»

Zusammenarbeit mit dem Glacier 3000
Die allererste Bollywood-Produktion in Farbe, «Sangam» von 1964, wurde zum Teil auf dem Glacier 3000 gedreht. Bernhard Tschannen, Geschäftsführer von Glacier 3000, teilte dem «Anzeiger von Saanen» auf Anfrage mit: «Wir haben seit 12 Jahren eigene Vertreter in Indien, seither ist das Gruppengeschäft um das 15-fache gewachsen.» Bis zu 30’000 Inder/innen jährlich besuchen das Gletschergebiet inzwischen. Und das Geschäft wächst weiter, auch im Saanenland. Thomas Schetty schätzt die Zusammenarbeit mit dem benachbarten Gebiet: «Viele Touristen verbinden den Besuch des Glacier 3000 mit einem Zwischenhalt in der Destination Gstaad.» Im Vergleich zum Geschäftsjahr 2016/17 nahm die Anzahl Logiernächte von indischen Touristen 2017/18 um 21 Prozent zu.

Einen aktuellen Aufschwung haben die beiden Regionen dem Botschafter von Schweiz Tourismus, Ranveer Singh, zu verdanken. Der indische Filmstar besuchte im vergangenen Sommer zahlreiche Schweizer Tourismus-Hotspots, darunter auch die Destination Gstaad und den Glacier 3000. In einem Video posiert der Star auf dem Peak Walk und vor dem ihm gewidmeten Zug der MOB, auf welchem er selbst abgedruckt ist.

Kulinarische Herausforderung
Früher stellte das hiesige Essen eine Herausforderung für die indischen Gäste dar, da sie die fremden Gerichte grundsätzlich schlecht vertrugen. Damals chauffierte Tritten-Carreisen aus Zweisimmen die indischen Filmteams zu den Drehorten in der ganzen Schweiz. Damit das Filmteam nicht mit Magenproblemen kämpfen musste, führten die Cars immer einen Anhänger mit, der als Kochstation diente. Tritten-Carreisen sorgte so für besonderen Komfort der Inder/innen. Bis heute fördert das Unternehmen die gute Beziehung zwischen der Schweiz und Indien. Auch George Sibi betonte gegenüber dem «Anzeiger von Saanen»: «Die Verbindung zwischen Indien und der Schweiz ist dank der Filmdrehs besonders stark.» Thomas Schetty sieht das kulinarische Problem in der Destination Gstaad heute als gelöst: «Mit dem Restaurant Mango haben wir ein authentisches Angebot für Tagestouristen, und viele Hotels haben mittlerweile indisches Küchenpersonal angestellt.» Auch hätten sich die reisenden Inder/innen mittlerweile besser an europäische Gerichte gewöhnt.

Den Link zum Video von Ranveer Singhs Reise durch die Schweiz finden Sie auf unserer Facebook-Seite.

 


BOLLYWOOD IM SAANENLAND

Der Name Bollywood setzt sich aus Bombay, der indischen Filmhauptstadt und Hollywood zusammen. Seit den 70er-Jahren stellt die Bollywood-Industrie in Sachen Produktivität die amerikanische Konkurrenz in den Schatten. Die Schweiz begann bereits vor über 50 Jahren mit der indischen Kinematografie zusammenzuarbeiten. Infolge des Kashmir-Konflikts wurde das Filmen im Himalaya-Gebirge zu gefährlich und bekannte Regisseure wie Raj Kapoor suchten nach alternativen Drehorten. Mit ihren schneebedeckten Gipfeln und grünen Tälern passte die Schweiz perfekt zum romantischen Gusto der Inder/innen. Kapoor drehte 1964 den ersten farbigen Hindi-Spielfilm, unter anderem mit Aufnahmen auf dem Glacier 3000. 1970 verbrachte der indische Regisseur Yash Chopra seine Flitterwochen in der Schweiz – auch er verfiel ihrem Charme. Ab 1980 entstanden unter seiner Regie zahlreiche Szenen im Saanenland. Er wirkte auch bei der Entstehung von «Dilwale Dulhania Le Jayenge» mit, dem erfolgreichsten Bollywood-Streifen aller Zeiten. In jüngerer Zeit wurden für den 2008 erschienenen Film «Bachna Ae Haseeno
– Liebe auf Umwegen» Szenen vor dem Early Beck und der Kapelle in Gstaad gedreht.


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