«Uns soll es in der nächsten Generation nicht mehr brauchen»

  12.07.2019 Schönried

Damian Stähli aus Schönried ist einer von 60 Jugendlichen mit dem Titel «Global Changemaker 2019». Er will die psychische Gesundheit von Jugendlichen als Thema in den Schulunterricht bringen.

SARA TRAILOVIC

Was macht Sie zu einem Global Changemaker, einem «Weltverbesserer»?
Ich habe mich mit meinem Aufklärungsprojekt zur psychischen Gesundheit von Jugendlichen für den Titel qualifiziert. Es geht aber bei der Organisation Global Changemakers vielmehr darum, Teil eines Netzwerkes von jungen Menschen zu werden, die etwas in der Welt verändern wollen. Durch die Zusammenarbeit können wir voneinander lernen und uns noch effizienter engagieren.

Was wollen Sie verändern?
Ich will, dass die kommende Generation offen über psychische Gesundheit und Krankheit sprechen kann. Das Thema soll analog zur Drogenprävention oder Sexualkunde Platz im Schweizer Unterricht finden. Ich kenne viele Menschen, die zwar krank sind, dies aber niemals zugeben würden aus Angst vor negativen Reaktionen. Die meisten Jugendlichen wissen zu wenig über psychische Störungen und ziehen falsche Schlüsse, weil es ein Tabuthema in der Gesellschaft ist. Darunter leiden Betroffene und es kommt manchmal sogar zu gesellschaftlicher Benachteiligung.

Sind Sie selbst ein Betroffener?
Ja, auch Giada und ich haben eine Krankheitsgeschichte. Als ich mit 15 erkrankte, dachte ich, dass ich der einzige Mensch sei, der so was hat. Ich habe mich nicht einmal getraut, die Medikamente in der lokalen Apotheke abzuholen, aus Angst, die Leute würden mich gleich abstempeln. Hier im Saanenland kennt ja jeder jeden … Der Weg an die Öffentlichkeit viel mir zu Beginn sehr schwer. Ich habe mich damals stark selbst stigmatisiert. Nach einigem Zögern ging ich in therapeutische Behandlung. Seither geht es mir viel besser. Die Krankheit wird immer ein Teil von mir sein, aber sie beeinträchtigt mich nicht mehr.

Sie sprechen die Stigmatisierung an. Können Sie dieses Phänomen erklären?
Ein Stigma entsteht, wenn wir von einem Fakt oder Verhalten auf den Gesamtcharakter schliessen. Psychisch Kranke haben oft mit sozialer Ausgrenzung, Mobbing, aber auch Benachteiligung in der Arbeitswelt zu tun. Das alles gehört zur Stigmatisierung. Dabei passiert es häufig, dass der Betroffene sich selbst durch diese Brille sieht und das negative Bild bestärkt – ein Teufelskreis. Ich will, dass die jungen Menschen lernen: Viele sind von psychischen Problemen betroffen, es gehört zum Leben und man kann sich wie bei körperlichen Krankheiten Hilfe holen.

Dazu gründen Sie einen Verein.
Genau genommen eine Nichtregierungsorganisation wie es zum Beispiel Green Peace oder das Rote Kreuz sind. Ich arbeite mit der Tessinerin Giada Crivelli zusammen. Sie hat meine Vision sofort unterstützt, als wir uns vor etwa zwei Jahren bei einem Workshop zu genau diesem Thema getroffen haben. Im letzten Herbst haben wir uns dann definitiv entschlossen, einen Verein aufzubauen, der Referenten an Schulen vermitteln soll. Wir stellen uns vor, dass Betroffene den Schülern und Schülerinnen von ihrer Krankheit und vor allem dem Weg daraus erzählen. Was kann ich machen, wenn es mir oder Mitschülern nicht gut geht? So muss es in gewissen Fällen vielleicht gar nie zur Krankheit kommen, es ist also auch Präventionsarbeit.

Sie und Frau Crivelli wollen selbst an die Schulen gehen?
Am Anfang bestimmt, wir können schliesslich von unserem persönlichen Heilungsprozess erzählen. Mit der Zeit wollen wir aber auch Workshops anbieten, bei denen sich andere Betroffene zu Referenten ausbilden lassen können. Dabei ist es wichtig, dass sich diese Leute auf dem Weg zur Besserung befinden oder geheilt sind, so können sie aus einer hoffnungsvollen Perspektive sprechen. Trotz psychischen Erkrankungen können Betroffene Grossartiges in ihrem Leben erreichen und erfolgreich sein.

Das Thema kann heikel sein. Wäre es nicht verantwortungsvoller, Fachpersonen in die Klassen zu schicken?
Wir wollen nicht therapieren, dafür sind klar Psychologinnen und Psychiater zuständig. Es geht uns darum, eine Hemmschwelle abzubauen, über heikle Themen wie Selbstverletzung oder Suizid zu sprechen und vor allem die Möglichkeiten aufzuzeigen, die es bei einer Erkrankung gibt. Es gibt so viele Angebote, die man in einem schwierigen Moment oftmals nicht sieht. Wenn wichtige Organisationen wie das Sorgentelefon 147 einmal pro forma erwähnt werden, nimmt man das mit 15 nicht wirklich ernst. Verbindet man Informationen jedoch mit persönlichen Geschichten, hinterlässt das einen nachhaltigen Eindruck. Ich erinnere mich daran, wie ein ehemals Drogensüchtiger in meine Klasse kam und über sein Leben gesprochen hat. Das war der Grund dafür, dass ich bis heute die Finger von Drogen gelassen habe. Unser Projekt soll jedoch ein positives Gefühl vermitteln. Wir wollen Schüler ermutigen, sich in schweren Zeiten Hilfe zu holen.

Morgen startet der «Global Youth Summit» im Aargau. Was ist das genau?
Ein Lager, bei dem sich alle diesjährigen «Global Changemakers» treffen. Dabei geht es vor allem um Networking, also darum, Kontakte zu knüpfen und Ideen auszutauschen. Ich weiss zum Beispiel, dass eine Teilnehmerin in Malaysia ein Projekt aufbaut, das unserem extrem ähnlich ist. Ausserdem werden Module zu Präsentationstechnik, Geldbeschaffung und Medienarbeit angeboten. Man muss sich schon vermarkten können, wenn man mit einer Idee erfolgreich sein will. Giada hat vor zwei Jahren schon an dieser Woche teilgenommen und mich zur Anmeldung ermutigt. Nun bin auch ich dabei, ich freue mich sehr.

Eine Vereinsgründung ist keine leichte Sache.
Das sind wir uns bewusst. Beim Budgetieren habe ich schon gemerkt: das wird nicht einfach. Zum Glück konnten wir schon einige Geldgeber mobilisieren. Überraschenderweise unterstützt uns ein sehr bedeutender Psychiater. Wir hätten niemals gedacht, dass unsere Idee so viel Anklang findet. Sogar in der Politik und Verwaltung, zum Beispiel beim Thuner Stadtrat Raphael Lanz.

Sie selbst waren drei Jahre lang Co-Präsident der Jungfreisinnigen Berner Oberland.
Ich habe die Partei nach langem Stillstand wieder mitaufgebaut. Dieses Jahr bin ich aber aus dem Vorstand zurückgetreten. Ich möchte meine Zeit auf wenige Projekte konzentrieren und dort dafür Vollgas geben. Die Politik bleibt für mich aber sicher weiterhin wichtig. Mit Michelle Schweizer hatte ich in meinem letzten Jahr bei der Jungfreisinnigen eine fantastische Co-Präsidentin. Das hat es mir erleichtert, mein «Baby» aus den Händen zu geben. Michelle wird die Partei weiterbringen.

Ihre Organisation wird ZETA Movement heissen. Gibt es eine Erklärung für diesen Namen?
«Zeta» ist die italienische Bezeichnung für den Buchstaben Z. Das ganze Wort sowie der erste Buchstabe stellt das Ende der psychischen Krankheit als Anfang einer Bewegung, einem Movement, dar. Ein weiterer Aspekt ist, dass unsere Generation Z die letzte sein soll, die mit psychischem Stigma zu kämpfen hat. Uns, das ZETA Movement, soll es in der nächsten Generation A nicht mehr brauchen.

www.global-changemakers.net


ZUR PERSON

Damian Stähli ist 23 Jahre alt und in Schönried aufgewachsen. Vergangene Woche durfte er das Diplom für seine abgeschlossene Kaufmännische Lehre entgegennehmen, die er bei der Gemeindeverwaltung Saanen absolviert hat. Jetzt arbeitet er zusammen mit Giada Crivelli an der Gründung des Vereins ZETA Movement. Dadurch will Stähli sich für die Offenheit und Akzeptanz gegenüber psychischen Erkrankungen einsetzen. Ausserdem engagiert er sich als Medienverantwortlicher bei den Trash Heros in Bern. Die Gruppe trifft sich regelmässig für Clean-Up-Rundgänge in der Bundeshauptstadt.


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