Der Amateur

  19.07.2019 Gstaad

Er ist eine lebende Legende und wird in einem Atemzug mit Rod Laver genannt. Vor den Swiss Open Gstaad, die er fünfmal gewinnen konnte, spricht Roy Emerson (82) über seine Liebe zum Saanenland, über Roger Federer und über den Umstand, dass ihm von mancher Seite nicht die Ehre zuteil wird, die ihm eigentlich gebührt.

Sein starker Händedruck lässt erahnen, mit welcher Kraft dieser Mann damals in Wimbledon seinen charakteristischen Rückhand-Slice unerreichbar flach entlang der Linie retournierte. Roy Emerson ist 28-facher Grand-Slam-Champion, zwölf Siege hat er im Einzel, 16 im Doppel errungen. Eine Marke, die im Herrentennis bis heute unerreicht ist. Emerson ist zweifelsfrei einer der grössten Tennispieler aller Zeiten, kann Rekorde vorweisen, bei denen einem beim blossen Zuhören schwindlig wird. Und trotzdem steht er im Schatten seines insgesamt noch etwas erfolgreicheren Rivalen und guten Freundes Rod Laver. Wer ist dieser Mann, der als einziger Spieler der Geschichte alle Grand-Slam-Turniere sowohl im Einzel als auch im Doppel gewinnen konnte? Der zwei Jahre lang die Nummer eins der Welt war und mit Tennis trotzdem nie reich geworden ist?

«Can we have two bottles of San Pellegrino, please?» Ich treffe Roy Emerson an der Lobbybar des Gstaad Palace. Es ist der bisher heisseste Tag des Jahres. Der eisgekühlte Sprudel und die leichte Brise, die von der Empfangshalle her durch die offene Tür der Hotelterrasse weht, kommen da gerade recht.

Emerson ist eben von einem Picknick auf dem Gstaader Hausberg Eggli zurückgekehrt. Den Ausflug hat er für die Teilnehmenden der Roy Emerson Tennis Weeks organisiert. Er legt viel Wert auf Zusammenhalt und Kameradschaft. Nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz. Er sorgt für eine lockere Stimmung innerhalb seines Tenniscamps, das alljährlich im Sommer auf den Sandplätzen des Palace Hotels stattfindet. «Am ersten Abend stehen alle ganz steif und scheu in der Ecke, jeder hält sich an seinem Champagner-Glas fest. Am Ende der Woche legen sich dieselben Leute singend und schunkelnd die Arme über die Schultern», erzählt Andrea Scherz, Besitzer und General Manager des Hotels. Der 50-Jährige kennt Roy, seitdem er ein kleiner Junge war. Emerson ist seit Anfang der 1960er-Jahre Stammgast. Die Teilnehmenden des Camps würden Roy Emerson einfach lieben, erzählt der Hotelier, er sei sehr nahbar, wie ein grosser Onkel, und er kenne die Hotelangestellten alle beim Namen. Im Unterschied zu anderen prominenten Gästen des Palace ist Roy Emerson immer auf dem Boden geblieben.

Emerson hat die Tennis Weeks vor über 40 Jahren ins Leben gerufen. «Ich wusste ja nicht, was ich nach meinem Rücktritt von der Tour sonst hätte tun sollen», sagt er. Hierbei kann er nicht nur sein spielerisches Talent, sondern auch sein soziales Geschick einbringen. «Roy kann sehr gut mit Menschen umgehen», erzählt Scherz. Als eine seiner wichtigsten Aufgaben betrachte der sensible Emerson daher das «pairing»: Jeden Mittag gehe er auf sein Zimmer und lote wohlbesonnen aus, wer im Doppel am besten mit wem zusammenspielen könnte. «Roy ist sehr darauf bedacht, dass die Paarungen nicht nur vom Niveau, sondern auch vom Charakter her passen.»

«Solange er kann, wird Roy auf dem Tennisplatz stehen», sagt Jacques Hermenjat, ehemaliger Turnierdirektor der Swiss Open Gstaad und früher selber Tennislehrer im Palace. Emerson bewege sich natürlich nicht mehr so gut wie früher, doch wenn er den Ball erreiche, dann treffe er ihn noch immer sehr gut.

Hermenjat ist langjähriger Weggefährte Emersons und beschreibt seinen besten Freund als gutmütig, bescheiden und immer zuverlässig. Aber auch als einen, mit dem man sehr viel Spass haben könne. «Wir machten früher alles zusammen», erzählt er. In den 1970er-Jahren sei Emerson immer sehr aktiv gewesen, nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz. «Er hat gerne getanzt und im ‹GreenGo› ausgelassen gefeiert. Roy war an den Feiern immer ein guter Unterhalter.» Jene wilden Nächte im exklusiven Club des Hotels kennt der heutige Hotelbesitzer Scherz von Erzählungen seines Vaters. «Als Kind war für mich Roy Emerson immer gleich Party.» Später sei «Emmo», wie ihn seine Freunde nennen, jedoch seriöser geworden und mittlerweile morgens der Erste auf dem Platz. Die Tennis Weeks führe er höchst professionell und mit einem unerschütterlichen, perfekten Einsatz durch. «Roy ist eine Maschine», sagt er.

Verliebt in Gstaad hat sich Roy Emerson auf den ersten Blick. «Tolles Essen, frische Luft und ein wunderbares Landschaftsbild. Gstaad hat einfach Klasse. Aber nicht diese lächerliche Sorte von Klasse. Hier kann dich nichts aus der Ruhe bringen.» Wenn er damals auf dem Centre-Court in Gstaad einen einfachen Ball verschlagen habe, habe er einfach kurz über die Köpfe der Zuschauer hin zu den Bergen geschaut und sich gleich wieder entspannt. Mit seinen fünf Turniersiegen führt er die Siegerliste der Swiss Open an, vor klingenden Namen wie Laver, Newcombe, Nastase, Vilas, Edberg oder Federer. Einfach alle seien damals hierher gekommen, schwärmt Emerson, und hätten sich in der entspannten Atmosphäre des Saanenlandes von den Strapazen von Wimbledon erholt.

Der heutige Turnierdirektor Jean-François Collet wünschte, er könnte heute mit solchen Topspielern rechnen. Doch zeitgleich mit den Swiss Open Gstaad finden zwei andere ATP-Turniere statt. «Dies erhöht die Schwierigkeit, Topspieler zu finden», sagt er. Viele Spieler wechseln heute nach der Rasensaison direkt auf Hartbelag. Die Verantwortlichen der US Open Series haben diese Entwicklung mit ihrer Preisgeldpolitik noch zusätzlich verstärkt. Als Vorbereitung auf das Grand-Slam-Turnier in New York werden alle Events davor auf ähnlichen Belägen wie in Flushing Meadows ausgetragen. Der beste Spieler dieser nordamerikanischen Hartplatzsaison erhält bei einem Sieg am US-Open zusätzlich zum Preisgeld einen Bonus von einer Million US-Dollars.

Aber zurück zu Roy Emerson. Und zurück zu der Frage, warum dem Australier, der im Grand-Slam-Einzel-Ranking vor Ikonen wie Laver, Agassi, Borg, Connors, Rosewall, McEnroe oder Newcombe steht, nicht die Ehre zuteil wird, die ihm gebührt.

Tatsache ist: Während Rod Laver 1963 beschloss, auf die Profitour zu wechseln, entschied sich Emerson, weiterhin als Amateur zu spielen. Dies hatte zur Folge, dass Letzterer in den folgenden Jahren zum dominierenden Spieler an den Grand-Slam-Turnieren avancierte, während die dem Duft des Geldes folgenden Laver, Rosewall und andere aufgrund ihres Profistatus nicht mehr zu den Majors zugelassen waren.

Ich frage Emerson, ob es ihn verdriesse, dass seine zahlreichen Grand-Slam-Siege auf der Amateurtour aufgrund des Ausschlusses der Profis heute zu wenig gewürdigt würden. «Das ärgert mich überhaupt nicht», sagt er, das sei einfach die Meinung einiger Personen, und das sei okay. Allzu viele Spieler hätte es auf der Pro-Tour ja gar nicht gegeben, vielleicht ein halbes Dutzend. Und die Spieler auf der Amateurtour seien ja schon auch sehr stark gewesen. «Ich bin nicht der Meinung, dass es zu dieser Zeit einfach war, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen.» Statt auf die Profitour zu wechseln, blieb er lieber bei seiner Frau Joy und dem Baby, versuchte mehr Majors zu gewinnen und wollte weiterhin Teil des Davis-Cup-Teams sein. Profispieler waren damals auch von diesem Wettbewerb ausgeschlossen. Diese Erfahrungen möchte der 82-Jährige heute nicht missen. Vor allem die Siegesserie im Davis Cup – neun Teilnahmen in Folge, acht Siege – bedeutet ihm viel. Welchen Stellenwert dieser Wettbewerb sowie Roy Emerson damals hatten, beweist ein Artikel in der New York Times vom 8. Dezember 1964, der nach Emersons Ablehnung eines Profi-Vertragsangebotes über 85’000 US-Dollars titelte, die Chancen der USA, den Davis-Cup-Pokal zurück nach Nordamerika zu holen, wären durch diesen Entscheid bedauerlicherweise arg gesunken.

«Die Popularität des Davis Cup war riesig. Für sein Land zu spielen, bedeutete damals sehr viel», schwärmt Emerson. Hier zeigt sich auch der Patriot Roy Emerson: «Der Druck, für dein Land zu spielen, ist viel höher, als derjenige, an einem normalen Turnier anzutreten», sagt er. «Game Australia» sei etwas ganz anderes als «Game Emerson». Die Verantwortung eines ganzen Landes laste auf den Schultern. Emerson beklagt, dass der Davis Cup immer mehr an Stellenwert verliere. Er findet, Topspieler wie Federer müssten ihr Land in diesem Wettbewerb unterstützen.

«Apropos Federer», unterbreche ich Emerson, der in einem Anflug von Wehmut seine gute Laune zu verlieren droht, «wie lange, glauben Sie, kann Federer noch auf diesem Toplevel bleiben?» Er spiele einfach immer noch unglaublich, meint er, und sei ein grossartiger Botschafter für diesen Sport. Aber Emerson ist nicht nur Fan, er ist auch Coach und hat einen Ratschlag für den Maestro: «Er sollte noch mehr ans Netz kommen und die Punkte abkürzen.» Ein Tipp, den er nicht müde wird zu wiederholen. Jacques Hermenjat erinnert sich, dass Emerson Federer diesen Ratschlag bereits 2003 ans Herz gelegt habe, als der damals frisch gebackene Wimbledonsieger am Gstaader Turnier für seine ausserordentliche Leistung geehrt wurde. Wie man später an seiner Spielweise sah, hat Federer diesen Ratschlag offensichtlich befolgt.

Nun jährt sich Emersons letzter Triumph an den Swiss Open Gstaad also zum fünfzigsten Mal. Die Chancen der Topgesetzten am diesjährigen Turnier kann Emerson nicht einschätzen. Zu unbekannt sind ihre Namen. Schade, wenn an einem Ort wie Gstaad, der mit Glanz und Gloria Berühmtheit erlangte, plötzlich die Stars ausbleiben.

Der Australier wird auch dieses Jahr wieder in der nach ihm benannten Roy-Emerson-Arena Platz nehmen. «Es war eine riesige Ehre», sagt Emerson über den Moment, als Jacques Hermenjat ihn damals über die Idee der Umbenennung des Stadions in Kenntnis setzte. Hermenjat schmunzelt und sagt, sie sei halt nicht ganz so gross wie die Rod-Laver-Arena in Melbourne.» Fuchsen wird Roy Emerson dieser Umstand wohl wenig.

DIETER BOLLER, GSTAAD


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