Gesundheitsversorgung: Es gibt noch verschiedene Knacknüsse

  02.07.2019 Region

Die Gesundheitsversorgung in der Region soll durch ein integriertes Gesundheitsnetzwerk mit einem Gesundheitscampus in Zweisimmen und einem Gesundheitszentrum in Saanen sichergestellt werden. Vor zehn Tagen trafen sich die zuständigen Arbeitsgruppen in Zweisimmen zum vierten Workshop. Konkrete Resultate sollen im Oktober präsentiert werden.

ANITA MOSER
Über 70 Personen, davon zahlreiche aus der Region, sind in den Aufbau der künftigen Gesundheitsversorgung im Saanenland-Obersimmental involviert. Am vorletzten Samstag trafen sich die Mitglieder der fünf Arbeitsgruppen zum zweiten Workshop in diesem Jahr. «Die Stimmung und die Debatten waren sehr gut», betont Projektleiter Stefan Stefaniak im Gespräch. Definitive Ergebnisse liegen jedoch noch nicht vor. «Wir haben eine Kernpunktepräsentation gemacht und versucht zusammenzufassen, wo die Probleme liegen. Und wir haben wesentliche ungelöste Herausfoderungen», so Stefaniak. Aber dank den Zwischenergebnissen der Arbeitsgruppen könne man diese nun konkret angehen.

Campus mit Spital in Zweisimmen und Gesundheitszentrum in Saanen
Die Ausgangslage ist nach wie vor dieselbe, favorisiert wird das Modell D4 mit einem Gesundheitscampus in Zweisimmen, einem Gesundheitszentrum in Saanen sowie einer entsprechenden Einbindung der Rettungsdienste. Der Gesundheitscampus beinhaltet einen 24-h-Spitalnotfall, Operationssaal und auch stationäre Betten, dazu Arztpraxen, Physio, Ergo, Apotheke, Spitex, Alterswohnen, Maternité Alpine u.a.m. Das Gesundheitszentrum in Saanen umfasst eine 24-h-Anlaufstelle, Arztpraxen, Triage sowie Rettungsdienst.

Knacknuss Finanzierung
Es gebe drei wesentliche Knacknüsse, zieht Projektleiter Stefaniak Bilanz. Eine ist die Finanzierung. Die zuständige Arbeitsgruppe schätzt die möglichen Investitionskosten auf 67 Millionen Franken. Allein der Campusneubau in Zweisimmen – er basiert nach wie vor auf dem Projekt Dr. House – wird auf 42 Millionen Franken veranschlagt, das Gesundheitszentrum in Saanen (z.B. Sanierung altes Spital) auf 18 Millionen Franken. Und gemäss der Spitalbetreiberin STS AG ist mit einem jährlichen Defizit von 6 Millionen Franken zu rechnen.

Bei der Finanzierung dieses Betrages sei man einen Schritt weiter, so Stefaniak. Im Prinzip habe man sich auf eine Drittelung der Kosten geeinigt. «2,5 Millionen des Betriebsdefizites übernimmt die Spital STS, und der Kanton hat signalisiert, dass über den neuen Rahmenkredit für Gesundheitsausgaben ebenfalls zwei Millionen beantragt werden könnten. Und zwei Millionen würde die Region – die sieben Gemeinden gemäss einem Verteilschlüssel – zusammenbringen.» Das sei eine gute Nachricht – eigentlich.

Knacknuss unternehmerisches Risiko
Es gebe einen Haken bei der ganzen Planung, räumt Stefaniak ein. «Wir planen nicht für 2020, sondern für 2025 bis 2050.» Bis dahin sei jedoch mit vielen Veränderungen zu rechnen. Zum Beispiel sei die Finanzierung des Defizits nicht bis 2050 gesichert. «Der Rahmenkredit muss alle vier Jahre vom Kantonsparlament gesprochen werden.» Zudem müsse man sich fragen, was passiere, wenn das Betriebsdefizit nicht sechs Millionen Franken betrage, sondern eines Tages sieben, acht oder sogar zehn Millionen Franken. Das könne durchaus eintreffen. «Zum Beispiel, wenn sich die Fallzahlen schlecht entwickeln oder wenn man aufgrund der Entwicklung der Spitallisten oder Qualitätsindikatoren bestimmte Leistungen nicht mehr erbringen kann.» Weder der Kanton noch die Spital STS AG würden wohl die höheren Kosten übernehmen können.

«Nach den heutigen Überlegungen liegt das unternehmerische Restrisiko langfristig bei der Region», so Stefaniak. Und diese sei mit den zwei Millionen nach eigenen Aussagen an der Grenze. «Bei einem Gesamtbeitrag von über zwei Millionen Franken werden die ersten Gemeinden aussteigen. Das heisst: Die Region kann das unternehmerische Risiko über 25 Jahre nicht alleine tragen.»

Wie man die Finanzierung löse, hänge natürlich auch von der Eigentümerstrategie ab – ob man das Gebäude selber finanziere, ob man Miete bezahle oder einen Investor habe. «Das ist eine Risikoabschätzung und diesbezüglich ist man sich noch nicht einig», so Stefaniak. «Darüber muss man jetzt in den Gemeinden diskutieren, davon hängt die Planung ab.»

Knacknuss Trägerschaft
Noch nicht definiert ist die Form der Trägerschaft: Verein, Genossenschaft, GmbH, Stiftung, AG oder Sitzgemeinde. «Welche Form man wählt, hängt auch davon ab, welche Rolle die Gemeinden spielen wollen, so Stefaniak. Aufgrund der getroffenen Abklärungen favorisiert die zuständige Arbeitsgruppe eine AG.

Konkrete Resultate bis 15. Oktober
«Es gibt noch viel zu tun, es liegen noch vier intensive Monate vor uns», so der Projektleiter. Denn konkrete Ergebnisse sollen in knapp vier Monaten vorliegen. «Der Termin am 15. Oktober ist gesetzt, die Simmental Arena ist reserviert», so Projektleiter Stefaniak. «Wir stellen der Bevölkerung vor, wie weit wir gekommen sind, wie wir uns die künftige Gesundheitsversorgung vorstellen, welche Ziele wir erreicht oder allenfalls nicht erreicht haben und was die nächsten Schritte sind.»

Bis zur Umsetzung 2024/25 wird die Gesundheitsversorgung in der Region inklusive Spitalbetrieb ähnlich wie bisher weiterlaufen. «Die Spital STS hat zwei Millionen Franken in das Gebäude investiert, es gibt keinen Grund zur direkten Sorge, was das Spital angeht», betont Stefaniak. Bis Oktober will man mit der Netzwerkgründung vorankommen. Insbesondere auch für das Saanenland sei es jetzt der richtige Zeitpunkt, die Pensionierungswelle der niedergelassenen Ärzte beginne in vier bis fünf Jahren. «Wir müssen insbesondere mit den niedergelassenen Ärzten schauen und das Campus-Konzept weiterplanen, sonst steht der Neubau 2024 nicht.»

Noch nicht am Ziel
Toni von Grünigen, Gemeindepräsident von Saanen, sagt auf Anfrage: «Man ist auf dem Weg ein Stück weiter, aber noch nicht am Ziel. Der Campus steht noch nicht. Derzeit ist man an der Erarbeitung der Bedürfnisse und den Möglichkeiten, das auch zu finanzieren. Die Finanzen sind ein grosses Thema: Die zukünftige Entwicklung des Gesundheitswesens, Fallpauschalen, Spitalliste, aber auch das Patientenverhalten usw. haben einen grossen Einfluss. Und diese Entwicklung ist sehr schwer einzuschätzen und in Zahlen wiederzugeben.» Und auf die Frage nach dem Verteiler, um das Defizit von den sechs Millionen Franken jährlich zu decken, sagt er: «Wir haben uns auf Verteiler nach Einwohnerzahl und Logiernächten geeinigt. Die Steuerkraft würde nicht miteinbezogen.» Er gehe davon aus, dass die heutige Situation noch bis 2025 Bestand habe. «Bis dahin müssen wir ein tragbares Projekt für die Gesundheitsversorgung in der Region realisieren.» Wie zuversichtlich oder skeptisch ist er? «Wenn man nicht daran glauben würde, müsste man aufhören, soviel Zeit aufzuwenden. Es gibt sehr viele Personen – auch aus dem Saanenland – die mitarbeiten und sich engagieren. Das macht nur Sinn, solange man daran glaubt.»

«Es geht nur gemeinsam»
«Die Thematik ist sehr anspruchsvoll», betont Nationalrat Erich von Siebenthal. «Aber wir sind es unseren Nachkommen schuldig, dass wir es schaffen, in der Region auch in Zukunft eine angemessene Gesundheitsversorgung anzubieten. Und das geht nur gemeinsam.» In der Verantwortung stehe auch der Kanton. «Er hat die Pflicht, die Grundversorgung in den Regionen aufrechtzuerhalten. Folglich kann er nicht einfach das unternehmerische Risiko auf die Region abschieben», sagt er dezidiert. Ein gewisses Risiko könne die Region übernehmen – «aber dies hat seine Grenzen». Er sei in der Sache auch auf Bundesebene aktiv, damit man sich dort ebenfalls der Verantwortung bewusst werde. «Wichtig ist, dass die Höhe der Kosten nochmals überprüft werden», so von Siebenthal. Und ein wichtiger Punkt für die Vertrauensbildung sei die Zusammensetzung des Verwaltungsrates. «Nach der langen Zeit der Unsicherheit erwartet die Bevölkerung, dass jetzt Nägel mit Köpfen gemacht werden. Darum soll sie sehen, wer hinter dem Projekt steht.»

Infos unter www.gesundheit-simme-saane.ch


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