Ohne ihren Einsatz geht nichts

  16.07.2019 Gstaad

Jedes Jahr unterstützen über 500 Freiwillige die Gstaad Major Series, viele davon über Jahre hinweg. Ohne sie wäre der Erfolg des Turniers niemals möglich gewesen. Jolanda Birrer ist seit 20 Jahren als Helferin mit dabei und erzählt von ihren Erfahrungen in Gstaad.

SARA TRAILOVIC
Am Donnerstagabend der Turnierwoche haben sich die langjährigen Helfer und OK-Mitglieder ahnungslos zu einem Barbecue im VIP-Zelt zusammengefunden. Irgendwann zwischen Hauptspeise und Dessert ehrte Turnierdirektor Ruedi Kunz alle Freiwilligen, die mehr als 18 Jahre lang eine ihrer Ferienwochen ins Gstaader Beachvolleyball-Spektakel investiert hatten. Unter ihnen war auch Jolanda Birrer. Neben den OK-Mitgliedern Köbi Kölliker (Interview in der Ausgabe vom 5. Juli), Claude Monnier und Martin Romang ist sie die Einzige, die dem Turnier seit dessen Anbeginn erhalten geblieben ist. Ich traf Jolanda Birrer am Abend vor Turnierbeginn, als die LED-Banner noch nicht leuchteten und die «Kuederpesches» sehr wahrscheinlich daran waren, Schlaf für die kommenden Tage vorzuholen.

Arbeit am Center-Court
Jolanda Birrer war direkt von einem Einsatz als Schiedsrichterin am Indoor Volleyballfestival in Arizona nach Gstaad gereist. «Ich habe in den letzten 20 Jahren meine Ferien immer auf das Beach-Turnier abgestimmt», erzählt mir die 49-Jährige, währenddem wir vom Bahnhof in Richtung Hauptfeld laufen. «Was mich immer wieder motivierte, war die Dankbarkeit der Kinder, Athleten und Eltern.» Nach drei Jahren als Scorerin (Schreiberin) wechselte sie für die folgenden 15 Jahre in einen sehr dynamischen Bereich. Während des Grossteils dieser Zeit waren sie und Cornelia Boss für den Center-Court verantwortlich. Dazu gehörten verschiedene Aufgaben wie die Betreuung der Ballkinder, die Kontrolle über den Zustand des Sandfelds und Netzes oder die Unterstützung der Schiedsrichter/ innen. «Connie und ich hatten eine eigene Handschrift. Wir hatten es gerne perfekt und ordentlich», erinnert sich Birrer mit ein wenig Wehmut in der Stimme. «Alle helfenden Kinder sind zeitig bereit für ihren Einsatz, keine Abfälle liegen ums Feld, der Sand weist keine Löcher auf und niemand steht vor der Werbung», antwortet sie auf die Frage, was denn ordentlich beim Beach bedeute. «Wenn man eine eigene Linie hat, gibt es immer Leute, denen das nicht gefällt.» Trotzdem habe sie viel positives Feedback erhalten. «Es kamen immer wieder Leute, um mir dafür zu danken, dass ich mich mit so viel Fürsorge und Gewissenhaftigkeit um die Kinder kümmerte.» Die Luzernerin scheint mit harter und zugleich feinfühliger Hand zu leiten. «Ich konnte auch zu sehr schüchternen Kindern einen Draht aufbauen und habe vielen – insbesondere Einheimischen – beim Aufwachsen zusehen können.»

Die Geschichte der «Hundshütte»
Mittlerweile sitzen wir auf der überdachten Zuschauertribüne und blicken auf den bereiten Center-Court. Ein paar Dutzend Ball Kids tollen mit endloser Energie im Sand umher und diverse OK-Mitglieder mustern die Anlage mit einem letzten kritischen Blick. 15 Jahre lang hat Jolanda Birrer hauptsächlich die Ballkinder für das Hauptfeld betreut. «In den ersten Jahren des Turniers wurden einige Taschen der Kinder entwendet, das konnte ich nicht verantworten», erzählt die Schiedsrichterin. Eine Kammer musste her, in der die jungen Helfer ihre Wertsachen deponieren konnten. Die Konstrukteure setzten ihre Bitte im folgenden Jahr in Realität um; allerdings mit minimalistischen Massen. Damit die Rucksäcke der Kinder nicht nass wurden, wurden Holzpalette verlegt, was die Deckenhöhe zusätzlich verringerte. «Ich musste immer auf allen Vieren in die Kammer kriechen.» Seither trage der Abstellraum den inoffiziellen Namen «Hundshütte». Plötzlich steht Birrer auf: «Entschuldigung, ich muss diese Leute rasch begrüssen.» Sie steigt die Tribüne hinunter und tauscht einige herzliche Worte mit einer Gruppe von Court-Managern aus, dann setzt sie sich wieder zu mir hin und erzählt weiter: «Die ‹Hundshütte› hat sich immer irgendwie ergeben. Manchmal war sie grösser, dann wieder kleiner.» Auch dieses Jahr hat sich die Kammer wieder in die Tribünenkonstruktion eingefügt – wo genau bleibt an dieser Stelle natürlich geheim.

Seit 20 Jahren mit dabei
Jolanda Birrer erinnert sich noch genau an ihren ersten und liebsten Einsatz in Gstaad, zu dem sie ziemlich zufällig gekommen ist. Als sie im Jahr 2000 an den Volley Masters in Montreux zu Besuch war, hielt ihr eine Kollegin den Flyer von der ersten Beachvolleyball World Tour in Gstaad unter die Nase: «Das wäre doch etwas für dich.» Und so arbeitete Birrer am ersten hiesigen Turnier als Scorerin. Im Gegensatz zu heute, wo sich Helfende aus der ganzen Schweiz um die Plätze an den Major Series reissen, gab es damals noch Personalmangel. «Ich musste schreiben, ‹täfele› und gleichzeitig die Nummer des Aufschlagspielers anzeigen.» Trotzdem sei ihr das (schneereiche!) Turnier in bester Erinnerung geblieben. «Damals konnten wir noch beides: festen und schaffen», lacht die heute 49-Jährige. «Wir gingen wohl nie vor zwei Uhr ins Bett, aber am nächsten Tag haben wir unsere Sache trotzdem gut gemacht.»

Birrer blickt bei unserem Gespräch etwas nostalgisch auf frühere Jahre des Turniers zurück. Wie es eben sei mit erfolgreichen Anlässen, würden diese immer grösser. «Und ich bin auch älter geworden, die Arbeit am Feldrand ist sehr anspruchsvoll.» Vor zwei Jahren wechselte sie ihre Position und liess sich in den Statistikbereich – dem Life-Scoring – einteilen. «Jetzt ist es an der nächsten Generation, sich um die Ordnung am Center-Court zu kümmern.» Als Zuschauerin werde sie dem Turnier aber noch lange erhalten bleiben.

Wir machen uns auf den Weg zum Sportzentrum, wo Jolanda Birrer ihr Helfertenue abholen will. Entlang der Promenade kommen wir kaum voran, in fast jedem Restaurant sitzen Leute, denen Birrer freudig die Hand schüttelt und die sie nicht selten mit einem Spruch zum Lachen bringt. Allem Anschein nach hat das Gstaader Turnier eine eigene, interregionale Familie geschaffen. Zu mir meint sie: «Das Beach in Gstaad hat mir auch Kontakte in die weite Welt eröffnet. Anfang Jahr war ich in Australien und habe eine Schiedsrichterin besucht, die ich an der Olympiade in London 2012 kennengelernt hatte.»

Ehre, wem Ehre gebührt
Das Barbecue vom letzten Donnerstag neigte sich dem Ende zu, als auf einem Flachbildschirm plötzlich Beachvolleyball-Spieler und -Spielerinnen ihre Gratulations- und Dankesworte zum 20-jährigen Gstaader Sporthighlight aussprachen. Statements wie «das coolste Turnier der Welt» und «ich hoffe auf weitere 20 Jahre» tönten durch das Zelt und zauberten vielen ein Lächeln ins Gesicht – oder gar Tränen in die Augenwinkel.

«Der jüngste Helfer hat Jahrgang 2010, der älteste 1939 und bastelt mit den jungen Gästen im Kids Corner» listete Ruedi Kunz einige Fakten zu den über 500 Menschen auf, die auch dieses Jahr wieder in Gstaad mithalfen. «Der Kleinste ist 120 Zentimeter gross, der Grösste 196. Nebst Schweizer/innen sind auch Leute aus Holland, Deutschland, Polen und Spanien vertreten.» Dann überreichte Kunz allen Helfenden und OK-Mitgliedern, die seit mehr als 18 Jahren mit von der Partie sind, eine prächtige Kuhglocke, bevor ihm selbst ein Ständchen gesungen wurde.

Geehrt wurden: Köbi Kölliker, Claude Monnier und Martin Romang (20 Jahre OK), Jolanda Birrer (20 Jahre Helferin), Adi Wicky (19 Jahre OK), Käthi Matti (19 Jahre Helferin) und Roland Kaiser (18 Jahre Helfer)


ZUR PERSON

Jolanda Birrer hilft seit 20 Jahren beim Beachvolleyball-Turnier in Gstaad mit. Die 49-Jährige ist in einer sportlichen Familie in Langnau bei Reiden aufgewachsen. Mit 20 Jahren hatte sie einen schweren Unfall, wodurch ihr rechter Arm teilweise gelähmt ist. Sie spielt dennoch bis heute Volleyball und arbeitet hauptberuflich als Büro angestellte einer Fachhochschule. Ausserdem ist sie als Volleyball-Schiedsrichterin auf Regionalniveau A tätig. Durch ihren Einsatz in Gstaad konnte sie internationale Kontakte knüpfen und an den Olympischen Spielen in London und Rio de Janeiro mithelfen.


Wie haben Sie sich das Hollinger Glöcklein verdient?

«Das Hollinger Glöcklein wird seit Jahren an der allabendlichen OK-Sitzung der Person übergeben, der im Verlauf der letzten 24 Stunden etwas Peinliches oder Komisches passiert ist. Wer das Hollinger Glöcklein hat, muss am folgenden Tag aufmerksam seine OK-Mitglieder beobachten, um zu gewährleisten, dass es einen würdigen Nachfolger findet.»

Quelle: Buch «20 Jahre Beachvolleyballturnier, Gstaader beachgeschichten 2000–2019» von Mägi Kunz

 


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