Sein Lied ging um die Welt

  09.07.2019 Kultur, Lauenen

In Zusammenarbeit zwischen dem «Literarischen Herbst Gstaad» und dem Hotel Alpenland in Lauenen fand am Donnerstagabend eine öffentliche Lesung mit Bestsellerautor Lukas Hartmann statt. Am von Liliane Studer moderierten Abend las er aus seinem neuen Roman «Der Sänger». Er gab Einblicke in das Leben der Hauptfigur, des jüdischen Startenors Joseph Schmidt, und die Entstehungsgeschichte des Buches.

MARTIN GURTNER-DUPERREX
«Ein Lied geht um die Welt ...» Kein Wunder, dass es im Hintergrund der Schallplattenaufnahme leise rauschte und knackte, denn sie ist fast 90 Jahre alt. Mit diesem Schlager – er hatte den Sänger Joseph Schmidt 1933 weltberühmt gemacht – wurde das Publikum am Leseabend von Bestsellerautor Lukas Hartmann im Hotel Alpenland in Lauenen eingestimmt. Seine Stimme war gemäss Hartmann hell, voller Sehnsucht und Schmerz, welche die Frauenherzen reihenweise eroberte. Er muss es wissen, denn sein neuer historischer Roman «Der Sänger» zeichnet das Leben und das tragische Ende des grossen Tenors nach.

Schlechte Voraussetzungen
Moderatorin Liliane Studer vom «Literarischen Herbst Gstaad» sagte einführend, dass es zu jener Zeit keine gute Voraussetzung gewesen sei, ein Jude zu sein. «Er wurde als Sohn deutschsprachiger orthodoxer Juden in der ukrainischen Bukowina geboren. Sein Vater sah es gar nicht gern, dass sein begabter Sohn sang, seine Mutter aber förderte ihn», so Lukas Hartmann zur Kindheit Schmidts. Dank einiger Mäzene habe er in Berlin Gesang studieren können und sei dank der Sonntagssendungen des Rundfunks und Schallplattenaufnahmen in kurzer Zeit berühmt geworden. Seine Karriere wurde aber durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland abrupt beendet und er flüchtete über Frankreich schliesslich in die Schweiz. Hier setzt der Roman ein. Mit seiner ruhigen, festen Stimme las Lukas Hartmann vor, wie Joseph Schmidt, schon krank, unter beschwerlichen Umständen über Frankreich illegal und mittellos in die Schweiz und das Internierungslager Girenbad bei Hinwil gelangte.

Kein Engel
Die Stimme Schmidts habe ihn stark berührt, als er sie zum ersten Mal hörte, sagte Lukas Hartmann im Gespräch mit Liliane Studer. Da habe er begonnen, seine Lebensdaten zusammenzutragen, Archive sowie Fachleute zu konsultieren und eine Reise in die Heimatstadt des Künstlers, Czernowitz, unternommen. Das Zusammentragen der Unterlagen zum Buch hätten mit Pausen anderthalb Jahre gedauert, die Vorbereitung jedoch länger. «Aber wenn ich beginne zu schreiben, ist die Vorarbeit hinter mir, dann greife ich selten zu den Unterlagen.» Und: «Ich muss die Figur, über die ich schreibe, mögen – auch wenn sie mir Mühe macht.» Schmidt sei kein Engel gewesen, habe zahlreiche Liebesaffären gehabt und sein eigenes Kind im Stich gelassen, Geld verschwendet ... «Trotzdem mag ich ihn. Ich kann mich gut in ihn einfühlen, in seine Schwächen, seinen tiefen Fall.»

Ein grosser Fehler
Joseph Schmidt vertraute darauf, dass er in der Schweiz als bekannter Künstler eine Bleibe finden würde. Das war ein grosser Fehler. Die Schweiz wies zu jener Zeit jüdische Flüchtlinge konsequent an der Grenze zurück.

Im von einem antisemitischen Kommandanten militärisch geführten Lager Girenbad verschlechterte sich seine Gesundheit unter den schwierigen Umständen schnell. Um die 330 Juden waren dort eingepfercht, das Essen war schlecht, geschlafen wurde mit wenig Stroh auf dem kalten Boden, so die schonungslosen Worte Hartmanns. Er unterstrich aber auch, dass es in der Nachbarschaft Menschen gab, die Schmidt erkannten und ihm wohlgesinnt waren. Auch im Lager kümmerten sich jüdische Mitinsassen um ihn.

Von der Politik eingeholt
«Joseph Schmidt wollte den Menschen mit seiner Stimme Freude bereiten, er war kein politischer Flüchtling», so Hartmann. Mit Radiorundfunk und Schallplattenaufnahmen habe er die idealen Medien gefunden, um seine Stimme international bekannt zu machen. Schmidt wäre mit seinen 1,54 Metern zu klein gewesen, um als Opernheld auf der Bühne zu stehen. «Er foutierte sich um die Politik, aber sie hat ihn eingeholt», sagte Lukas Hartmann nüchtern. Er habe, wie viele andere auch, nicht wahrhaben wollen, dass ihm das Wasser bis zum Hals stand. Er bezahlte es mit dem Leben: Ohne medizinische Hilfe und Pflege finden zu können, starb der begnadete Sänger nur 38-jährig am 16. November 1942 an einem Herzversagen.

Die nächste Lesung im Hotel Alpenland findet am 26. September 2019 statt. Christine Brand liest aus ihrem Kriminalroman «Blind». Der Literarische Herbst Gstaad 2019 findet vom 12. bis 15. September statt. www.alpenland.ch • www.literarischerherbst.ch


LUKAS HARTMANN

Lukas Hartmann wurde 1944 in Bern geboren. Er besuchte das Lehrerseminar in Bern und arbeitete danach als Lehrer und Redakteur bei Radio DRS. Später studierte er Psychologie, unternahm Reisen durch Indien, Südamerika sowie Afrika und hielt sich im Istituto svizzero in Rom auf. Er war vielfältig tätig als Lehrer für Journalismus, Leiter von Schreibwerkstätten und Medienberater. Er schreibt Romane und Kinderbücher, wofür er mit zahlreichen Literaturpreisen im deutschsprachigen Raum ausgezeichnet worden ist. Er lebt im Spiegel bei Bern und ist mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga verheiratet.


WER WAR JOSEPH SCHMIDT?

1904 als Sohn von deutschsprachigen Juden geboren, wuchs er in Czernowitz in der ukrainischen Bukowina auf, das damals zur österreich-ungarischen Monarchie, danach zu Rumänien und ab 1940 zur Sowjetunion gehörte. Bereits als Kind sang er als Kantor in der Synagoge seiner Heimatstadt und studierte ab 1925 Gesang in Berlin. In den frühen Dreissigerjahren wurde er aufgrund seiner Schallplattenaufnahmen und Rundfunksendungen ein gefeierter Tenor. Nach der Machtergreifung der Nazis flüchtete er 1933 zunächst nach Wien, danach nach Palästina. 1937 feierte er in der New Yorker Carnegie Hall nochmals einen grossen Triumph, bevor er 1940 in der noch unbesetzten Zone von Frankreich von der nazifreundlichen Vichy-Regierung zwangsinterniert wurde. 1942 gelang ihm auf illegalem Weg die strapaziöse Flucht in die Schweiz, wo er im Flüchtlingslager Girenbad bei Hinwil interniert wurde und starb.


Fünf Fragen an Lukas Hartmann

MARTIN GURTNER-DUPERREX

Lukas Hartmann, kommen Sie neben dem Schreiben noch zum Lesen?
Ja sicher, das wäre sonst kein Leben! Ich lese 30 bis 40 Seiten pro Tag.

Was für Bücher lesen Sie?
Das ist saisonbedingt. Ich lese Bücher von Kollegen und Kolleginnen aus der Schweiz und Deutschland. Ich lese aber auch, was mich aus der Zeitung anspricht. Ich lese viel, um zu recherchieren. Drei meiner Bücher hören um das Jahr 1942 auf: das aktuelle, das nächste und das übernächste ebenfalls. Es wird eine Trilogie 1942 werden, daher lese ich sehr viel über jene Zeitepoche.

Welches Buch lesen Sie gerade?
Jetzt lese ich zur Entspannung etwas ganz anderes. Da ich ein halbes Jahr nach England gehe, wofür ich ein Stipendium erhalten habe, lese ich auf Englisch wieder einmal «Sherlock Holmes». Ich werde Meiringen besuchen, wo er ja beim Wasserfall ums Leben gekommen ist. Ich finde diese Geschichten phantastisch und lerne viel Englisch dabei.

Welches ist Ihr Lieblingsbuch?
Das frage ich mich auch immer wieder neu … vielleicht doch «Der grüne Heinrich» von Gottfried Keller. Ich muss ihn wieder einmal lesen – eventuell täusche ich mich, aber das war vor etwa 30 bis 40 Jahren so.

Was empfehlen Sie unseren Lesern und Leserinnen als Ferienlektüre?
(Zögert lange) Das ist eine schwierige Frage, die ich nicht beantworten kann. Da müsste ich aus mindestens zehn Büchern auswählen … Und die eigenen Bücher kann ich ja nicht vorschlagen (lacht).


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