«Gstaad ist ein unbeschriebenes Blatt»

  02.08.2019 Interview

Bereits morgen beginnt die Swiss O Week (SOW), ein Anlass, der 3000 Orientierungsläufer ins Saanenland bringt. OK-Präsident Marcel Schiess sagt, dass Gstaad aus OL-Sicht ein unbeschriebenes Blatt und deshalb besonders interessant ist.

BLANCA BURRI

Marcel Schiess, wann haben Sie sich mit dem Orientierungslauffieber angesteckt?
Ich bin im bündnerischen Ilanz aufgewachsen. Mein Lehrer sagte 1976 zu einer Handvoll Jungen meiner Klasse: «Ihr seid gut in Geometrie, ich habe da etwas für euch.» Kurzerhand nahm er uns mit zu einem OL-Traing im benachbarten Flims. Dort hat es mir den Ärmel reingenommen.

Wir haben gehört, dass ein neues OK am Ruder ist. Weshalb?
Das ehemalige OK war während zehn Jahren aktiv und hat bereits 2016 vor der SOW im Oberengadin angekündigt, dass es etwas kürzer treten möchte. Der Vizepräsident ist uns aber erhalten geblieben. Er gibt uns wertvolles Knowhow und Tipps weiter. Zusätzlich konnten wir perfekte Dossiers übernehmen, damit ist die Kontinuität gesichert.

Ist ein OL-Anlass mit 3000 Läufern gängig?
Ich habe mein Leben lang gerne und oft OL-Anlässe organisiert. Die SOW spielt aber in einer anderen Liga, alles ist viel komplexer und grösser. Ich freue mich sehr darauf, wir sind bereit.

Weshalb haben Sie Gstaad als OL-Destination ausgesucht?
Gstaad ist, was OL angeht, ein unbeschriebenes Blatt. Für jeden OL-Läufer ist es von besonderem Reiz, eine neue Gegend zu erkunden. Durch einen persönlichen Kontakt empfing uns der ehemaligen Tourismusdirektor Martin Bachofner. Er begrüsste uns mit offenen Armen. Die Destination verfügt zudem über die nötige Kapazität.

Welche besonderen Herausforderungen bringt der Austragungsort Gstaad mit sich?
Die SOW hat bisher an höher gelegenen Orten wie Zermatt stattgefunden. Dort gab es meist Alpkorporationen und somit einige wenige Ansprechpartner für eine grosse Fläche. Im Saanenland begrüssten wir 350 Landbesitzer, mit denen wir einzelne Verträge abschlossen. Wir wussten von diesem Aufwand und wollten ihn bestreiten. Bei einigen Etappen führen die Routen durch bewirtschaftete und beweidete Wiesen, das Durchgangsrecht wollten wir deshalb geregelt haben. Wir haben es auch mit Mutterkuhherden und anderen neuen Begebenheiten zu tun.

Welche Massnahmen werden beim Queren von Mutterkuhherden umgesetzt?
Wir konnten verschiedene Lösungen finden: Zum Teil wird die Weidefläche auf der Karte als Sperrgebiet ausgewiesen. Manchmal wird das Vieh am Renntag etwas enger eingezäunt.

Wie verliefen die Verhandlungen mit den Landwirten allgemein?
Bereits 2016 haben wir sie im Landhaus in Saanen zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Da sich die meisten Landwirte bewusst sind, wie eng der Tourismus und die Landwirtschaft verknüpft sind, sind wir auf viel Verständnis gestossen. Bis auf ganz wenige haben wir mit allen eine Lösung gefunden. Selten mussten Sperrgebiete ausscheiden, weil wir die Durchgangsrechte nicht erhielten.

Die Läufer an der SOW starten in 50 Kategorien. Weshalb sind sie so breitgefächert?
Orientierungslauf ist ein Familiensport. Das heisst, dass wir für alle Altersgruppen verschiedene Kategorien mit unterschiedlich langen und unterschiedlich schwierigen Bahnen brauchen. Das ist reglementarisch geregelt und deshalb bei jeder OL-Veranstaltung so, egal ob 500 oder 3000 Läufer starten. Hier in Gstaad bieten wir zudem sogenannte Ferien- und Challengekategorien an. Somit können Kurzentschlossene zum Plausch starten.

Wenn 3000 Läufer starten, braucht man die Karte nicht lesen können, man kann einfach jemandem folgen …
(lacht) Wie im Langlauf starten die Sportler im Intervall alle zwei bis vier Minuten. Dass man in einem ähnlichen Tempo läuft wie die unmittelbar Vor- und Nachstartenden ist unwahrscheinlich. Zudem gibt es nicht einen richtigen oder falschen Weg zu den Posten, jeder geht seinen eigenen Weg.

Welchen Stellenwert hat die SOW bei den Sportlern?
Die SOW ist ein Sommerferien-Anlass und hat darum auch beträchtliche Konkurrenz im Ausland. Trotzdem haben sich bereits 2750 Leute angemeldet. Das heisst, wir haben die aktive Schweizer OL-Szene erreicht, plus zusätzlich etwa 1000 Gäste aus dem Ausland. Mit den spontanen Startenden werden wir auch an unser Ziel von 3000 Läufern herankommen.

Auch neben dem Sport wird einiges geboten. In Saanen ist zum Beispiel ein Discoabend geplant. Erzählen Sie mehr.
Die Disco findet im Jugend- und Freizeitzentrum Oeyetli am Dienstagabend statt. Das ist ideal, weil am Mittwoch Ruhetag ist. Die Disco ist seit jeher fester Bestandteil der SOW und wird in Saanen in Zusammenarbeit mit der Jugendarbeit organisiert. In der Regel tanzen dort die jüngeren Generationen.

Was können Sie über den Irrgarten sagen, der am Mittwoch auf dem Gletscher aufgebaut ist?
Während wir Gstaad rekognoszierten, hat es uns auch auf den Glacier 3000 gezogen. Das hochalpine Gelände ist spektakulär, für eine SOW-Etappe aber zu monoton. Wir wollten es unseren Teilnehmenden aber nicht vorenthalten. Deshalb können sie am Ruhetag auf den Gletscher fahren und dort einen temporären Irrgarten durchlaufen. Wir bereiten ihn mit Absperrband vor. Wie bei jedem OL muss im Irrgarten eine OL-Bahn auf Zeit abgelaufen werden. Natürlich gibt es noch weitere spannende Angebote wie eine Lesung mit dem ehemaligen OL-Läufer Walter Däpp, Autor und langjähriger Journalist beim «Bund», im Gstaad Palace oder einen ökumenischen Gottesdienst in der St.-Niklaus-Kapelle mit Pfarrer Alfred Müller, der selbst aktiver OL-Läufer ist.

Die SOW bringt 3000 Läufer in die Region. Wo werden sie übernachten?
Vor allem in Hotels, in Lagerhäusern, in Ferienhäusern und auf Campingplätzen der Region. Wir haben auch einen eigenen temporären Campingplatz beim Hotel Alphorn in Gstaad.

Die SOW dauert eine Woche. Was wird der Region bleiben?
Wir sind Vagabunden und wählen immer wieder neue Austragungsorte, deshalb wird die SOW 2021 in Arosa stattfinden (lacht). Immerhin bleiben der Region 30’000 Übernachtungen dieser Austragung, was die Jahresstatistik aus Erfahrung positiv beeinflussen wird. Zudem haben wir zwölf OL-Karten erstellt. Sie werden für kleinere Events wie Trainingslager oder OL-Rennen wiederum eingesetzt, das zieht nachhaltig sportaffine Menschen ins Saanenland. Und nicht zuletzt gibt es nun für die Schulhäuser der Region Ausbildungskarten, welche die Schulen künftig nutzen können.


SPITZENSPORTLER IN GSTAAD

Etliche Kadermitglieder der Schweizer Elite gehen an der Swiss O Week 2019 an den Start der ersten Etappen, obwohl am 13. August die OL-Weltmeisterschaften in Sarpsborg (Norwegen) beginnen, der sportliche Saisonhöhepunkt für die Schweizer Eliteathletinnen und -athleten.

Das Damenrennen der Swiss O Week 2019 wird bei den Damen geprägt sein vom Duell zwischen der jungen Garde – vertreten durch Simona Aebersold (ol.biel.seeland), Paula Gross (OL Zimmerberg), Sina Tommer (OLG Welsikon), Martina Ruch (OLG Skandia) sowie Anna Haataja (Finnland) – und der 23-fachen Weltmeisterin Simone Niggli (ol norska). Auch nach ihrem Rückzug 2013 aus dem Schweizer OL-Kader gehört die in Münsingen wohnhafte Simone Niggli dank ihrer Routine – zudem arbeitet sie heute als Assistenztrainerin des Schweizer Damenkaders – zu den Anwärterinnen auf den Gesamtsieg an der SOW 2019. Aber auch die jungen Frauen haben alle das Potenzial für einen Platz auf dem Podest. Dies gilt besonders an der ersten Etappe im Sprint durch die Parkanlagen der Fünf-Sterne-Hotels über dem Dorf, mit dem OL-technisch spannenden Abschluss im Ortskern von Gstaad, wo schnelle Beine unabdingbar sind. Nur an der Sprintetappe werden die Ende 2018 zurückgetretene Sprintweltmeisterin Judith Wyder (OLG Thun) und die dem aktuellen Nationalkader angehörende Läuferin Sabine Hauswirth (ol norska) starten. Sie werden um den Tagessieg mitreden wollen.

Im Herrenrennen richtet sich der Fokus auf die Kaderathleten Jonas Egger (OLV Hindelbank), Florian Schneider (ol norska), Remo Ruch (OLG Skandia), Christoph Meier (OLV Baselland) und Timon Schweizer (OLV Baselland). Ihre härteste Konkurrenz kommt aus Skandinavien, aus der Gruppe um die beiden Norweger Ivar Lundanes und Eirik Breivik und den Schweden Simon Schuster. Der SOW-Gesamtsieger der Elitekategorie dürfte aus diesem Kreis stammen. Einzig nur die Sprintetappe der Elite wird der Kaderläufer Joey Hadorn (ol norska) bestreiten, dabei zählt er zu den Siegesanwärtern.

PD


ZUR PERSON

Marcel Schiess ist 56-jährig. Er wohnt in Köniz. Der Elektroingenieur ETH ist in der Telekommunikation tätig. Er bezeichnet sich als perfekten Breitensportler und Hobby-OL-Läufer. Früh hat er sich zum Technischen Delegierten weitergebildet und wechselte somit renntechnisch vom Sportler zum Funktionär. Seit 38 Jahren organisiert er grössere und kleinere OLs. Von 1997 bis 2012 war er im internationalen OL-Verband (International Orienteering Federation) tätig und von 2007 bis 2014 Präsident des Schweizerischen OL-Verbands Swiss Orienteering.


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