Das irritierende Katzbuckeln vor autoritären Herrschern

  30.08.2019 Leserbeitrag

Hongkong und Moskau blicken auf einen heissen Sommer zurück. In beiden Mega-Citys fanden – und finden teilweise immer noch – spektakuläre Demonstrationen mit häufig brutalen Polizeieinsätzen statt. Die Gründe sind völlig unterschiedlich. In Hongkong, ständig bedroht von der chinesischen Armee, ging es ursprünglich um ein Gesetz, das es ermöglicht hätte, Bürgerinnen und Bürger für Gerichtsprozesse nach Festlandchina zu schicken. Dagegen wehrten sich immer mehr Leute, das Gesetz wurde schliesslich auf Eis gelegt. Doch das genügte den Demonstrierenden nicht mehr: Sie wollen mehr Mitbestimmung. Zwar besitzen die Menschen in der Sonderverwaltungszone Hongkong gewisse freiheitliche Grundrechte, nicht aber echte demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten. Die Regierung wird von Peking eingesetzt, das Parlament ist keine wirkliche Volksvertretung, denn sie wird ebenfalls wesentlich von der Volksrepublik kontrolliert.

In Moskau gingen die Menschen auf die Strasse, um gegen den Ausschluss von Oppositionskandidierenden bei den Wahlen ins Parlament der Hauptstadt zu protestieren. Nicht Putin stand ursprünglich im Fadenkreuz der Demonstrierenden – und doch reagierte der Kreml äusserst nervös und hetzte gleich die unzimperlich agierende Nationalgarde auf die Menschen. Dies und die massive Verhaftungswelle zeigen, wie unsicher sich der Kremlchef mittlerweile innenpolitisch fühlt. Die schlechte Wirtschaftslage, die sinkenden Reallöhne, die massive Erhöhung des Rentenalters und weitere Einschnitte im Sozialsystem schüren die Missstimmung gegenüber «Väterchen» Putin. Die Bevölkerung schluckte bisher Putins Autoritarismus und die mangelhaften demokratischen Rechte, solange die soziale Sicherheit einigermassen funktionierte.

Es ist bemerkenswert, wie stark gerade jetzt in westlichen Demokratien die Bewunderung für autoritäre Herrscher steigt. Zulauf erhalten ausgerechnet jene rechtsnationalistischen Parteien Europas, die vor Putin und anderen Autokraten katzbuckeln, gleichzeitig aber nicht genug vor der «Brüsseler Diktatur» warnen können und dauernd vorgeben, die nationalstaatliche Souveränität zu verteidigen. Die Nähe der deutschen AfD zu Russland ist notorisch. Der Parteivorsitzende Alexander Gauland pflegt gute Beziehungen zu kremlnahen Kreisen. AfD-Politiker reisen auch gerne auf die von Russland annektierte Krim zum «Yalta International Economic Forum». Der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache wiederum wollte wesentliche Elemente und Werte der Republik Österreich faktisch an eine vermeintliche russische Investorin verschachern, was ihn im Mai dieses Jahres um Amt und Würden brachte, dies als Folge des berühmtberüchtigten Ibiza-Videos. Marine Le Pen, die Chefin des französischen Rassemblement National, lobte Putin wiederholt als starken Führer und pries sein christlich-nationales Gesellschaftsmodell. Eine obskure Moskauer Bank griff ihr und der klammen Partei vor einigen Jahren gar mit einem substanziellen Kredit unter die Arme. Auch Italiens Polit-Hasardeur Nummer eins, der Lega-Politiker Matteo Salvini, zelebriert seine Nähe zu Moskau geradezu penetrant. Ganz im Geiste von Putins Autoritarismus verlangte er für sich «alle Vollmachten» und liess die Regierung platzen. Diesen Sommer ging die italienische Justiz gar dem Verdacht auf dubiose Geldflüsse nach, die von russischen Quellen in die Parteikasse der Lega gespült worden sein sollen.

Es ist ein zutiefst irritierendes Bild: In Hongkong und Moskau versuchen Menschen unter grossem persönlichem Risiko ihren autoritären Herrschern ein bisschen mehr Demokratie abzutrotzen
– und in westlichen Demokratien laufen die Wählerinnen und Wähler vermehrt jenen Figuren und Parteien hinterher, die ausgerechnet diese autoritären Führer bewundern.

JÜRG MÜLLER
[email protected]


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