Ein Konzert wie ein Gedicht

  06.08.2019 Kultur

Die Matinée der japanischen Pianistin Miyako Arishima baute auf Vielgestaltigkeit und endete mit einem gefühlsakrobatischen Finale aus der polnischen Avantgarde.

SARA TRAILOVIC
Nur wenige schaffen es, innerhalb von sechzig Minuten den musikalischen Fächer so weit aufzuspannen, ohne dabei hektisch oder unpräzsise zu werden – die Japanerin Miyako Arishima gehört dazu. Sie bewies am Samstagmorgen in der Kapelle Gstaad ihr nuanciertes Können an Werken von polnischen und japanischen Komponisten. Bei der Matinée des Jeunes Etoiles III begeisterte sie das Publikum mit Mut zur klanglichen Lücke genauso wie mit beeindruckenden Crescendos und schnellen Tonfolgen.

Polnische Vielfalt
Arishima startete behutsam in das erste Stück ihres Landsmanns Toru Takemitsu, welcher sich vorwiegend als Autodidakt der Wiener und französischen Schule widmete, bevor er sich avantgardistischen Techniken zuwandte. Die Pianistin schöpfte das Klangpotenzial der einzelnen Töne geduldig aus, denen im Stück «Rain Tree Sketch» viel Zeit und Raum gelassen wird.

Im Werk von Karol Szymanowski hingegen steigerte sich die unstete Melodie der Obertöne in einem Crescendo, das von einer tief hallenden Grundstimme getragen wurde.

Eine wiederum ganz andere Facette offenbarte Miyako Arishima bei ihren Interpretationen von Frédéric Chopin. Auf ein zart flatterndes Stück des polnisch-französischen Komponisten folgten zwei ebenfalls festlich anmutende Werke mit kraftvollen Höhepunkten, welche Arishima auch theatralisch inszenierte.

Nach diesem aufbrausenden Festspiel schlug die japanische Pianistin wieder die spätimpressionistischen Töne Szymanowskis an. Geduldig liess sie die horizontalen Melodien durch die gut besetzte Kapelle in Gstaad fliessen. Das unaufdringliche Ende des Stücks bereitete dem Finale der Matinée fruchtbaren Boden.

Launenhaftes Finale
Die Präludien-Suite von Kazimierz Serocki, einem Pionier der polnischen Avantgarde, verdichtete die ganze Variantenbreite der vorangegangenen Stücke zu einem launenhaften Schlussbouquet. Belebt, ergriffen, ungestüm, zart, flink, eigenwillig, stürmisch – so heissen die sieben Sequenzen des Werks übersetzt aus dem Italienischen. Damit wird klar, wie breit gefächert die Rhythmen und Gefühlen waren, welche Arishima während elf Minuten gekonnt differenzierte und gleichzeitig miteinander verwebte.

Die Pianistin verstand es, das Recital wie ein Gedicht vorzutragen: jeder Vers unentbehrbar, jede Strophe in sich abgeschlossen und doch gipfelnd in einem gemeinsamen Sinn.


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