Grosse Musik kurz vor Kriegsbeginn 1939

  13.08.2019 Kultur

Das Kammerorchester Basel spielte letzten Sonntagabend in der Kirche Saanen Werke von Benjamin Britten, Wolfgang Amadeus Mozart und Béla Bartók. Solist war der diesjährige Festival-Artist in Residence Bertrand Chamayou.

ÇETIN KÖKSAL
Eröffnet wurde das Konzert mit dem Ende August 1939 uraufgeführten Stück «Young Apollo» für Klavier, Streichquartett und Streichorchester op. 16. Dabei sass sein Schöpfer, Benjamin Britten, selber am Flügel. 80 Jahre später war es hier der französische Pianist Bertrand Chamayou, der seinem Instrument sehr kräftige Töne zu entlocken vermochte. Zusammen mit dem Basler Kammerorchester wählte er eine dominante Interpretationsweise, obwohl ab und an eine gewisse Ironie durchschien. Das Zusammenspiel ohne Dirigent war gerade auch wegen der ungewöhnlichen Besetzung von Streichquartett und Streichorchester plus Klavier eine sichtliche Herausforderung. Im darauffolgenden, späten Klavierkonzert Nr. 23 in A-Dur KV 488 von Mozart glänzte Bertrand Chamayou mit seinem sehr brillanten, präzisen und dennoch auch perlenden Spiel. Er differenzierte fein aus, ohne je auch nur im Geringsten ins Pathetische abzugleiten. Sein kräftiger Anschlag in Verbindung mit einem guten Gefühl für die Tempi und den Spannungsbogen hinterliessen einen insgesamt sehr – man verzeihe den unzeitgemässen Ausdruck – maskulinen Eindruck seines Klavierspiels. Kritiker könnten vielleicht monieren, dass gewisse Feinheiten noch besser ausgearbeitet werden könnten, was der Interpretation etwas mehr Zauber verleihen würde. Jene kamen dann ganz bestimmt bei der Zugabe auf ihre Kosten. Der langsame Satz aus einer Haydn-Sonate war womöglich der solistische Höhepunkt des Abends. Chamayou gestaltete ihn so fein differenziert, dass die berührende Verbindung das Publikum für einen kleinen Moment die Zeit vergessen liess.

Divertimenti von Mozart und Bartók
Den Höhepunkt des Konzertabends erreichte das Kammerorchester Basel mit dem Mozart-Divertimento Nr. 2 in B-Dur KV 137. Obwohl es gerade auch in den Dialogen des zweiten Satzes von Mozarts Klavierkonzert Nr. 23 sehr schöne Bläsersoli zu hören gab, wirkte das Kammerorchester im Divertimento gelöst, sicher und harmonierte unter der Leitung seines Konzertmeisters. Lebendigkeit, ein feines Gespür für Details und eine sicht- und hörbare Spielfreude zeichnen diesen Klangkörper aus. Das ungefähr 170 Jahre später komponierte Divertimento für Streichorchester Sz. 113 von Béla Bartók verlangte von den Orchestermusikern noch einmal eine ansehnliche Portion Durchhaltevermögen und Konzentration, denn es gibt für jedermann fast immer etwas zu spielen. Das von Bartók im Saaner Chalet des Auftraggebers Paul Sacher vor fast auf den Monat genau 80 Jahren komponierte Stück lässt besonders im Allegro assai die bevorstehenden Kriegsgräuel erahnen. Dem Kammerorchester Basel, das ebenfalls von Paul Sacher gegründet worden war, gelangen diese bedrohlichen Klangausdrücke so gut, dass der empfindsame Zuhörer erschaudern musste. Ob dies dem ehemals aus Amateuren bestehenden Orchester der Gründerjahre auch so gelungen war? Leider weilt wohl niemand mehr unter uns, der an der Uraufführung vom 11. Juni 1940 in Basel dabei war und diese Frage beantworten könnte – die Zeit schreitet unerbittlich voran.


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