Handlungsbedarf bei der Zweitwohnungsgesetzgebung?

  27.08.2019 Schweiz

Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB), der Schweizer Tourismus-Verband (STV) und der Hauseigentümer Verband Schweiz (HEV-Schweiz) haben Bilanz gezogen. Knapp vier Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzgebung zeige sich, dass die Initiative deutliche Spuren hinterlassen habe und längst noch nicht alle Fragen abschliessend geklärt seien. Es sei deshalb nötig, Fehlkonstruktionen in der Gesetzgebung zu korrigieren und weitere flankierende Massnahmen zu ergreifen, so das Fazit.

Die Annahme der Zweitwohnungsinitiative und deren Umsetzung haben in den betroffenen Kantonen und Gemeinden für heftige Diskussionen gesorgt. Vier Jahre nach Inkrafttreten der Zweitwohnungsgesetzgebung muss der Bund eine Evaluation der Wirkungen dieser Gesetzgebung vornehmen. Der Bericht muss somit im Jahr 2020 vorliegen. «Mit der Tagung leisten die SAB, der STV und der HEV Schweiz einen Beitrag zu dieser Evaluation», schreiben sie in einer gemeinsamen Medienmitteilung.

Neubautätigkeit gebremst
Die Neubautätigkeit in Tourismusgemeinden sei seit 2016 deutlich zurückgegangen und ist nur noch etwa halb so hoch wie in der Zeit vor der Annahme der Initiative. Die Preise für Zweitwohnungen hätten sich gemäss den Angaben der Wüest Partner AG in den Tourismusgemeinden sehr unterschiedlich entwickelt. «Während in einem Teil der Gemeinden ein Rückgang des Preisniveaus um bis zu 20 Prozent verzeichnet werden musste (z.B. Bergün Filisur), sind die Preise in anderen Gemeinden um bis fast 50 Prozent gestiegen (z.B. Vitznau).» Der Bau von Zweitwohnungen habe sich – wie vor der Annahme der Zweitwohnungsinitiative befürchtet – teilweise in Gemeinden verlagert, die noch nicht einen Anteil von 20 Prozent an Zweitwohnungen hätten. «Die Diskussion in der Tagung zeigte wiederholt, dass die direkten Wirkungen der Zweitwohnungsgesetzgebung nur sehr schwer zu messen sind, weil sie stark von anderen Faktoren übersteuert werden.» Dazu gehörten u.a. der Generationenwechsel bei den Zweitwohnungsbesitzern und das revidierte Raumplanungsgesetz.

Trend zu Kurzurlauben
Das gleiche Bild zeige sich bei der touristischen Entwicklung. Das Kundenverhalten der Gäste habe sich unabhängig von der Zweitwohnungsinitiative verändert. Der Trend nach immer häufigeren Kurzurlauben nehme stetig zu. «Das Modell der klassischen Zweitwohnungen war damit schon vor Annahme der Zweitwohnungsinitiative ein Auslaufmodell.» Der Trend zu Kurzurlauben stelle aber auch die Hotellerie vor Herausforderungen. Für Eric Bianco, Chef der Dienststelle für Wirtschaft, Tourismus und Innovation des Kantons Wallis sei deshalb klar, dass es vor allem Massnahmen zur Förderung der Hotellerie brauche. «Dazu gehören u.a. eine Unterstützung bei der Nachfolgeregelung, die Förderung von Renovationen bestehender Betriebe und die Förderung von Kooperationen», heisst es weiter.

Einbruch in der Bauwirtschaft teilweise kompensiert
Die Annahme der Zweitwohnungsinitiative habe zu einem Einbruch in der Bauwirtschaft geführt. Dieser sei sichtbar in den Arbeitslosenzahlen im Baugewerbe, welche beispielsweise im Kanton Wallis seit 2012 um einen Drittel höher sei als noch im Jahr 2011. Der Einbruch im Baugewerbe habe in den meisten Bergkantonen teilweise kompensiert werden können durch andere Bauvorhaben, wie z.B. im Strassenbau oder im Wallis durch die Rhonekorrektion. Das Arbeitsvolumen habe sich aber klar von den Berggemeinden in die Talgemeinden verlagert.

Potenziale nutzen
Die Umsetzung der Zweitwohnungsgesetzgebung habe den Weg geöffnet für die Nutzung neuer Potenziale. «So wurde z.B. im Gesetz bewusst die Möglichkeit geschaffen, schützenswerte oder ortsbildprägende Bauten wie alte Ställe in Ortskernen zu Zweitwohnungen umzunutzen und sie so vor dem Zerfall zu retten.» Dies schaffe neue Möglichkeiten für die Bauwirtschaft und belebe die Ortskerne. Leider hätten sich die Umsetzung dieser Bestimmung in einigen Kantonen verzögert.

In den Gemeinden brauche es einen verstärkten Dialog mit den Zweitwohnungsbesitzern. Heinrich Summermatter, Präsident der Allianz Zweitwohnungsbesitzer Schweiz, schätzt, dass die Zweitwohnungsbesitzer 30 bis 80 Prozent der Gemeindesteuern in den Tourismusgemeinden entrichten. «Die Zweitheimischen sollten aktiv in die Entwicklung der Gemeinden einbezogen werden.» Summermatter schwebt ein neues Label «Top Zweitwohnungsdestination» vor für jene Gemeinden, die sich besonders für diesen Dialog zwischen Einheimischen und Zweitwohnungsbesitzern hervortun.

Erheblicher Aufwand für die Kantone und Gemeinden
Die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative sei für die Kantone und Gemeinden mit einem erheblichen administrativen Aufwand verbunden. «Insbesondere in den ersten Jahren gab es zahlreiche offene Fragen, die mit Planungshilfen und Leitfäden geklärt werden mussten.» Wie Martin Künzi, Regierungsstatthalter von Interlaken-Oberhasli an der Tagung ausführte, ist die quartalsweise Nachführung des Gebäude- und Wohnungsregisters für die Gemeinden bis heute aufwendig. Dazu kämen die Grundbucheinträge und die Kontrolle der Nutzungen. Die Gemeinden seien zudem mit zahlreichen Fragen der Eigentümer konfrontiert, die nicht selten vor Gericht behandelt werden müssten. «Die komplexe Zweitwohnungsgesetzgebung ist für Nichtexperten nur schwer nachvollziehbar», so die Erkenntnis.

Fehlkonstruktionen in der Gesetzgebung korrigieren
«Bereits zum Zeitpunkt der Erarbeitung der Zweitwohnungsgesetzgebung war klar, dass nicht alle Fragen abschliessend geklärt werden konnten und dass sich die Gesetzgebung auf Grund der Erfahrungen in der Praxis weiterentwickeln müsse», schreiben die Verbände. Dieser Handlungsbedarf habe sich auch an der Tagung bestätigt. Die Bestimmung, wonach nicht mehr rentable Hotels nur zu 50 Prozent in Zweitwohnungen umgewandelt werden können, sei nicht praktikabel. «Der vollständige Marktaustritt und damit der Strukturwandel müssen ermöglicht werden.» Das forderte auch Christophe Hans von Hotellerie Suisse an der Tagung. Ebenso seien die Bestimmungen für neurechtliche Erstwohnungen viel zu restriktiv. Das Gesetz sieht vor, dass neurechtliche Erstwohnungen nicht zu Zweitwohnungen umgenutzt werden dürfen. In Ausnahmefällen kann während zweier Jahre die Nutzungsauflage sistiert werden. «Dies wirkt abschreckend für potenzielle Neuzuzüger, auf welche die Bergdörfer dringend angewiesen sind. Diese Bestimmung muss deshalb angepasst werden», so die Schlussfolgerung.

PD/ANITA MOSER


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