Saaner Nationalfeiertag mit «unserem» Mann in Brüssel

  06.08.2019 Saanen, Tradition

Der Nationalfeiertag wurde traditionsgemäss auf dem Sanonaplatz in Saanen gebührend begangen. Festredner Urs Bucher, Chef der Schweizerischen Mission bei der EU in Brüssel, erinnerte das zahlreiche einheimische Publikum und die Gäste daran, dass Werte wandelbar und die Weltoffenheit die Basis für Innovation sind.

MARTIN GURTNER-DUPERREX
«Es ist mir bewusst, dass man hier bei der Suche nach einem 1.-August-Redner nicht als Erstes an unseren Mann in Brüssel denkt», meinte ein schmunzelnder Urs Bucher, seines Zeichens Chef der Schweizerischen Mission bei der EU zu Beginn seiner Ansprache an der Feier in Saanen. Bei seinen Willkommensworten hatte der Präsident der Dorforganisation Saanen, Niclas Baumer, die Zuhörenden schon mal vorgewarnt: Die bilateralen Verträge, Personenfreizügigkeit, Brexit sind nicht gerade einfache Themen hierzulande. Gerade deshalb fühlte sich Botschafter Bucher – er hat seinen seinen Zweitwohnsitz in Lauenen – geehrt, in Saanen die Ansprache zum 1. August halten zu dürfen: «Die Anfrage hat mich nicht nur unheimlich gefreut, sie hat mich auch irgendwie berührt.» Es sei eben der Ausdruck einer typisch «saanenländischen» Geisteshaltung: «Ich würde diese als wertetreu und weltoffen bezeichnen.» Diese zwei Begriffe waren denn auch der Mittelpunkt seiner Rede.

Werte im Wandel
Freiheit, Sicherheit, Solidarität und Selbstbestimmung seien laut einer Umfrage typisch schweizerische Werte für unsere Landsleute, meinte der Botschafter. Dazu gehörten aber auch Gewohnheiten wie Abfalltrennung, Sonntagsrasenmähverbot, öffentlicher Verkehr oder die 40-Tonnen-Limite. «Werte unterliegen einem steten Wandel», alte und neue Werte ständen im Wettbewerb, und das sei gut so. «Eine lebendige Gesellschaft diskutiert das Spannungsverhältnis zwischen den überlieferten Werten und den Bedürfnissen einer sich wandelnden Gesellschaft», unterstrich Urs Bucher. Wir würden uns so einem Ideenwettbewerb stellen, der uns zum innovativsten Land der Welt mache. Wir verstünden uns als Aktivbürger und -bürgerinnen, die sich mit dem gemeinsam geschaffenen Gemeinwesen identifizieren. «Das ist eine der grössten Stärken der Schweiz überhaupt.»

Sicher wie in einem kleinen Paradies
Das Saanenland sei wie ein kleines Laboratorium für das Urschweizerische, so der Festredner weiter. «Man fühlt sich hier so sicher wie in einem kleinen Paradies.» Man sei vor über 60 Jahren dank weitsichtigem Querdenken zum Schluss gekommen, dass diese Schönheit geschützt werden müsse. Das Zusammenspiel von Natur, Landwirtschaft, Architektur, Gewerbe und Tourismus machten den Reiz des Saanenlandes aus. «Saanen hat sich geradezu neu erfunden», schwärmte Bucher, althergebrachte Schönheit sei neu entdeckt und sichtbar, erlebbar gemacht worden. Möglich sei dies durch das Engagement der einheimischen Unternehmer und die aktive Bevölkerung geworden, aber auch dank der Unterstützung von Gästen aus aller Welt, die Respekt dafür zollten, dass Wertetreue kein Widerspruch zu Innovation, sondern die Basis dafür bedeute.

Weltoffenheit und die EU
Die Tatsache, dass man sich als Gast hier in den Geschäften, in den Restaurants und sogar mit den Sennen auf den Alpen in verschiedenen Sprachen unterhalten könne, genüge nicht als Beweis der Weltoffenheit, mahnte der Botschafter … selbstverständlich auf Französisch. «Man muss den Meinungen und Werten anderer Personen Respekt zollen, auch wenn sie nicht den unsrigen entsprechen.» Damit müssten wir gleich jenseits unserer Grenzen beginnen, bei Europa, unserem einzigen Nachbarn. Augenzwinkernd gab er aber gleich zu verstehen, dass er diese Rede nicht dazu missbrauchen wolle, um die Zuhörerschaft von der Wichtigkeit des europapolitischen Geschäfts zu überzeugen. Trotzdem liess er keinen Zweifel daran, dass unser Austausch mit Europa in allen Bereichen von überragender Bedeutung ist und wir unsern Nachbarn zuallererst verstehen müssen. Und das Handeln der internationalen Organisationen und der EU betreffe die Schweiz mit ihrer global vernetzten Wirtschaft sehr direkt, und zwar unabhängig davon, ob wir in diesen Gremien mit am Tisch sitzen oder nicht. Es sei aber ein Trugschluss, unsere Souveränität durch Abschottung verteidigen zu wollen, warnte Urs Bucher. «Das clevere Managen von Abhängigkeiten aller Art ( … ) ist Ausdruck intelligent genutzter Souveränität», schloss «unser» Mann in Brüssel. Und in dieser Disziplin sei die Schweiz Weltspitze!

Würdige Feier
Am Anschluss an die vom Publikum mit langem Applaus belohnte Rede wurde traditionsgemäss zuerst andächtig dem Bernermarsch gelauscht und darauffolgend aus vollen Kehlen die Schweizer Nationalhymne gesungen. Der diesjährige Geburtstag der Schweiz wurde im Beisein von zahlreichen Einheimischen, der lokalen Politprominenz sowie von Gästen würdig gefeiert und vom jungen Schwyzerörgelitrio «Luzwoudä» aus der Innerschweiz mit lüpfiger Ländlermusik umrahmt. Bei Einbruch der Dunkelheit machte sich der Umzug mit Gross und Klein auf den Weg zum kleinen Rundgang durchs Dorf, um die offizielle Feier im Fackelschein abzurunden. Just ein paar Regentropfen sorgten dabei für eine angenehme Erfrischung …


Fünf Fragen an Botschafter Urs Bucher

Herr Botschafter, wie sind Sie und Ihre Familie mit dem Saanenland verbunden?
In den zwanzig Jahren, in denen wir einen Grossteil unserer Ferien im Saanenland verbringen, haben wir einen wunderbaren Freundes- und Bekanntenkreis hier aufgebaut. Wir haben das Glück, an einem der reizvollsten Flecken beim Lauenensee gemeinsam mit einem einheimischen Freund ein typisches Chalet zu bewohnen. Seit wir im Ausland leben, ist das unser Schweizer Zuhause.

Wie feiern Sie den 1. August, wenn Sie gerade keine Ansprache halten?
Wir feiern seit 14 Jahren tagsüber in Lauenen und verbringen den Abend bei Nik und Simon Buchs auf dem Wasserngrat. Die Talfahrt um Mitternacht mit Blick auf die ausglimmenden Höhenfeuer ist immer wieder ein unbeschreiblich schöner Moment.

Was bedeutet für Sie der 1. August?
Viel. Genau wie Weihnachten und Neujahr ist der 1. August ein Datum, das unser Familienleben strukturiert. Am 1. August feiern wir auch mit meinem in Neuseeland lebenden Bruder und seiner Familie. Ich finde es schön, dass in der Schweiz der Nationalfeiertag meistens im Familienkreis gefeiert wird.

Könnte übertriebener Patriotismus oder Nationalismus Ihrer Meinung nach problematisch sein?
Selbstverständlich, die Geschichtsbücher sind voll von solchen Fehlentwicklungen und den daraus folgenden Tragödien. Davon sind wir – das hat mir auch die heutige Feier in Saanen gezeigt – weit entfernt. Ich finde es überaus positiv, dass wir uns am 1. August grundsätzliche Fragen dazu stellen, was unser Land zusammenhält und wie wir unsere Verantwortung in der Welt wahrnehmen können.

Sind Sie für oder gegen 1.-August-Feuerwerke?
Für mich gehört das Feuerwerk genauso zu Gstaad wie die Saanengeiss zu Saanen.

INTERVIEW: MARTIN GURTNER-DUPERREX


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