«Die Gäste erwarten nicht nur ein perfektes Essen …»

  10.09.2019 Interview

Robert Speth hat in der Chesery 35 Jahre lang gezaubert. Doch das ist bald vorbei. Ende September übergibt er den Kochlöffel an Spitzenkoch Marcus G. Lindner vom Le Grand Bellevue. Im Interview erzählt er von Nerven wie Drahtseile und davon, wie man misslungene Menüs rettet.

BLANCA BURRI

Das Gastgewerbe braucht Neven wie Drahtseile. Sind die angeboren?
Die hast du oder nicht. Ohne ginge es in dieser nervenaufreibenden Branche nicht. Allerdings nehmen sie im Alter zugegebenermassen ab. Heute frage ich mich manchmal, wie ich das mit so vielen Betrieben gleichzeitig gemacht habe.

Weshalb haben Sie neben dem Restaurant Chesery noch so viel gemacht?
Ein Restaurant in dieser Kategorie kann man fast nicht wirtschaftlich führen. Es brauchte eine Erweiterung, um tote Zeiten zu füllen und um die Chesery zu befruchten. Wir haben in jedem Restaurant eine andere Karte angeboten, es hat gut funktioniert.

Die Gäste sind in den letzen Jahren immer anspruchsvoller geworden. Auch in der Chesery?
Wir hatten immer anspruchsvolle Gäste. Aber es ist schon so, dass sich immer mehr Gäste auf dem Gebiet auskennen. Andererseits haben sie immer öfter Intoleranzen, ich finde, das macht das Kochen anspruchsvoller. 90 Prozent unserer Gäste sind nämlich Stammgäste. Wenn sie in den drei Wochen, die sie zum Beispiel in Gstaad verbringen, zehnmal bei uns essen, gehen mir manchmal fast die Ideen aus. Natürlich möchte ich sie immer wieder überraschen, das Angebot ist aufgrund der Intoleranz aber eingeschränkt.

Sie sind kein Koch, der sich hinter dem Herd versteckt …
Die Gäste erwarten nicht nur ein perfektes Essen und eine tolle Atmosphäre, sondern auch Präsenz. Je länger ich aber bei den Gästen weile, desto länger bleibt die Arbeit in der Küche liegen.

Es beeindruckt mich zutiefst, dass Sie den Betrieb während 35 Jahren auf diesem Spitzenniveau gehalten haben. Wie haben Sie das geschafft?
Es braucht natürlich ein Team dazu und man muss es vorleben. Jeden Mittag und jeden Abend stehe ich selbst in der Küche. Die Gäste haben das Anrecht darauf, immer dieselbe Qualität zu geniessen. Wenn ein Restaurant in den Gastroführern gut bewertet ist, ist die Erwartungshaltung noch grösser. Es gibt Gäste, die ein Restaurant deshalb auswählen. Sie erwarten ein Menü von sechs bis acht Gängen und möchten den Abend in vollen Zügen geniessen, dazu gehören auch ausgiebige Pausen zwischen den Gängen. Der Gstaad-Gast, der täglich irgendwo eingeladen ist, möchte im Gegensatz dazu relativ schnell essen. Zwei, drei Vorspeisen und ein Grosse pièce wie ein Fisch in der Salzkruste oder Ähnliches. Deshalb haben wir eine grosse A-lacarte-Karte, das ist für Gourmetrestaurants eher unüblich. Wichtig ist es, dass die Servicemitarbeitenden herausspüren, was situativ gefragt ist.

Wie hat sich die Küche in den letzten Jahren verändert?
Es gibt eine Gratwanderung zwischen Tradition und Innovation. Als ich begonnen habe, war die französische Küche in, die ich zelebriert habe. Heute möchten die Gäste aber leichter essen. Das spricht auch für asiatische Aromen, sie sollen aber so verwendet werden, dass sie mit europäischem Wein harmonieren.

Sie sind sich trotz Trends immer treu geblieben …
Ich habe immer das gekocht, was ich selbst gerne esse. Ich habe die Trends zwar beobachtet, aber nicht jeden verfolgt. Sonst verändert sich die Seele des Restaurants. Das habe ich auch meinem Nachfolger Marcus Lindner empfohlen. Es ist wichig, einen Teil unserer Klassiker auf der Karte zu lassen. Wenn es das Überraschungei mit Kaviar oder den Loup de mer in der Salzkruste nicht mehr gibt, werden viele enttäuscht sein.

Haben Sie die Inspirationen beim Reisen oder beim Meditieren geholt?
(Susanne Speth, welche mitten in den Vorbereitungen fürs Bankett steckt, hüstelt und lacht) Meditieren?
Robert Speth: (lacht auch) Meditieren tue ich noch nicht. Aber wenn man jeden Tag mit dem Produkt zu tun hat, kommt das automatisch. Natürlich gaben mir die Reisen Anregungen, die habe ich zwar nie zu 100 Prozent übernommen, doch sie galten als Inspirationsquelle.

Sie sind bekannt für die Freiluftküche auf der Alp: Sie bereiten grosse Fleischstücke gerne im Erdofen zu. Weshalb stellen Sie sich der Herausforderung, bei Schnee und Regen draussen zu kochen?
Wenn ich immer am Herd stehe, empfinde ich das Kochen als relativ einfach und es wird deshalb langweilig. Wenn man aber immer wieder etwas Neues kocht und oft auf dem offenen Feuer experimentiert, braucht das schon eine gewisse Kenntnis vom Produkt. Es ist eine willkommene Abwechslung und Herausforderung. Das kommt auch bei den Gästen sehr gut an. So wie heute, wir wollten eigentlich ein Fest für die vier Kochfreunde machen, die Gäste brauchen wir dazu nur als Statisten. Das ist natürlich nicht ernst gemeint, aber es soll ja ein bisschen lustig sein – auch für die Gäste. Es gibt wenige Gäste, die vier Stunden lang ohne Unterhaltung am Tisch sitzen möchten.

Wenn Sie ganz ehrlich sind: Wann ist Ihnen ein Menü misslungen?
(Überlegt lange und kratzt sich am Kopf) Wahrscheinlich ist so viel «abverreckt», dass ich es gar nicht mehr weiss (lacht). Aber wenn man das Menü dank geübter Wortwahl gut verkaufen kann, ist es auch nicht schlecht.

Ein konkretes Beispiel, bitte.
Es war Ende Oktober. Wir hatten wieder einmal geplant, ein Tier zu vergraben. Um gerüstet zu sein, brachten wir das Lamm bereits am Vortag auf die ungeheizte Alp. Wir hatten nicht einberechnet, dass es stark abkühlte. Wir gruben es, wie geplant, um 5 Uhr in der Früh ein und als wir es am Mittag servieren wollten, war es noch halb roh. Uns blieb nichts anderes übrig, als es auf dem mitgebrachten Grill, den wir als Back-up mitgebracht hatten, fertigzubraten. Das ging gut, wahrscheinlich haben die Gäste die Änderung der Garart nicht einmal bemerkt, aber im ersten Moment sind wir schon erschrocken.

Welchen Teil Ihres Berufes machen Sie am liebsten?
Kochen! Manchmal bleibt mir dafür fast zu wenig Zeit. Vor allem in diesem Sommer, als sich viele von uns verabschieden wollten.

Was war das schönste Erlebnis?
Das schönste war immer, wenn wir grosse Caterings in für uns fremden Locations machen konnten. Zum Beispiel die Eröffnung des Geschäfts Hermès, das ganz in weiss daherkam. Es war zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt zwischen Weihnachten und Neujahr, wenn wir sowieso viel los haben. Die Gäste wussten erst 14 Tage vor dem Anlass, was sie machen wollten. Eine grosse Herausforderung in allen Bereichen also. Schliesslich gelang alles perfekt, alles sah toll aus, es machte grossen Spass und weil es so gut ging, macht es auch zufrieden.

Der grösste Flopp?
Ein saudischer Prinz bestellte einmal für zwei Uhr nachts für 40 Personen ein Menü. Wir bereiteten alles vor. Erst um fünf Uhr früh tauchten schliesslich ein paar wenige Gäste auf, das war schon mühsam.

Was machen Sie nach der Chesery?
Ich unterstütze das Le Grand Bellevue, das unsere Firma übernommen hat, im Bereich Catering. Ich möchte mich aber auch den Hobbys widmen: Reisen, Golf spielen, Fischen, Zeit mit Freunden verbringen, für befreundete Köche tätig sein und Restaurants in Strategiefragen beraten. Die Herausforderung wird sein, mir Freiräume zu reservieren, damit ich nicht wieder 365 Tage im Jahr arbeite.


ZUR PERSON

Robert Speth ist 1956 in Ravensburg geboren. Er ist mit Susanne Speth verheiratet, welche in der Chesery für den Service und die Administration zuständig ist. Sie haben zwei erwachsene Kinder.

Nach der Konditor-Confiseur-Lehre hat Speth die Kochlehre im Waldhorn in Ravensburg abgeschlossen. Ab 1979 folgten die Wanderjahre unter anderem bei Louis Outhier, Restaurant L’Oasis in La Napoule (Frankreich), bei Heinz Winkler im Restaurant Tantris in München und im Steigenberger Gourmet-Partyservice im Frankfurter Hof in Frankfurt. Seit 1984 wirkt er im Restaurant Chesery in Gstaad, seit 1989 ist er selbständig. Später kam der Cateringservice dazu und das Restaurant Golfclub in Saanenmöser, das er diese Sommersaison abgegeben hat. Zudem führte er das Restaurant des privaten Gstaad Yacht Clubs. Seit 1998 hat die Chesery einen Michelin-Stern und ist mit 18 Gault&Millau-Punkten bewertet. Speth wurde 2001 von Gault&Millau als «Aufsteiger des Jahres» und 2005 als «Koch des Jahres» ausgezeichnet.

QUELLE: CUISINE PURE, WEBER VERLAG

 


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