Man ist, was man isst: Nachhaltigkeit ist angesagt

  13.09.2019 Gstaad

In der Spitzengastronomie ist Achtsamkeit das Gebot der Stunde. Weniger ist mehr. Dies erlebten am vergangenen Wochenende 80 Teilnehmer der ersten «Achtsamen kulinarischen Reise» im The Alpina Gstaad. Top-Küchenchefs der Region kooperierten dabei mit der Initiative «Less Saves the Planet».

Mit einer Reihe von Veranstaltungen in diesem Jahr untermauert das The Alpina Gstaad seine Vorreiterrolle zum Thema Nachhaltigkeit. Nun wurde das Luxushotel zur Bühne für vier Spitzenköche der Region, die Achtsamkeit und Nachhaltigkeit in ihrer Sprache der Kulinarik interpretierten. Und zwar auf Anregung einer Initiative, die sich einem grossen Ziel verschrieben hat. «Weniger rettet unseren Planeten – Less Saves the Planet», das ist das Credo der beiden Gründer Fadi Joseph Abou und Flavio Bucciarelli, die sich in Gastronomie und Hotellerie einen Namen gemacht haben. Tim Weiland, General Manager des The Alpina Gstaad, beobachtet Trends im Luxussegment genau: «Wir denken, dass weniger mehr sein kann. Das Prinzip ‹mehr ist mehr› ist passé. Wir wollen uns auf Qualität konzentrieren, und genau das suchen auch unsere Gäste.»

Gleich zum Einstieg des Anlasses erzählte der in Paris lebende Fadi Joseph Abou seine Lieblingsgeschichte. Wohl jeder hat sie schon als Kind gehört, die biblische Erzählung von Josef in Ägypten. Als begabter Traumdeuter wurde er zum Pharao gerufen. Dieser hatte von fetten und von mageren Kühen geträumt. Josef prophezeite, dass nach sieben fetten nun sieben magere Jahre folgen würden. So liess man vorausschauend Kornspeicher anlegen. Als rundum die Dürre zuschlug, hatte nur Ägypten genügend Vorräte. Und Josef, von seinen Brüdern einst als Sklave an den Nil verkauft, stieg zum Stellvertreter des Pharaos auf.

Konzentration aufs Wesentliche
Abou, der libanesische Wurzeln hat und die gehobene Gastronomie in 14 Nationen mit Biolebensmitteln beliefert, ist davon überzeugt, dass wir heute in einer ähnlichen Situation wie einst Josef leben. Unser Planet wird überstrapaziert: Klimawandel, enorme Waldbrände, Wassermangel, Überfischung, Artensterben, Pestizide und eine Mülllawine setzen unserer Erde ordentlich zu. Auch die Nahrungsmittelindustrie trägt ihren Anteil an dieser Entwicklung. Um dies zu ändern, wurde «Less Saves the Planet» gegründet. Reduzierter und korrekter Konsum soll zur Rettung des Planeten beitragen.

Man will aber nicht mit erhobenem Zeigefinger dastehen, sondern mit gutem Beispiel und mit konkreten Alternativen vorangehen. Küchenchefs werden etwa ermutigt, ihr eigenes «Less Saves the Planet»-Menü zu kreieren, mit individueller Handschrift. Das muss nun nicht totalen Fleischverzicht bedeuten, erklärt Flavio Bucciarelli, der u.a. in der Starwood Hotelgruppe ein Programm für Ressourcenschonung realisierte: «Statt ein Steak von 250 Gramm auf den Teller zu legen, ist es möglich, eines von 130 Gramm zu verwenden und stattdessen die nötigen Proteine auf pflanzlicher Basis anzubieten. Genau hier kommt die Kreativität der Küchenchefs ins Spiel.» Er sieht eine steigende Nachfrage nach bewusster Ernährung in der Spitzengastronomie. Immer mehr Gäste bezeichnen sich etwa als Flexitarier. Dieser Trend verzichtet zwar nicht gänzlich auf Fleisch, konzentriert sich aber auf pflanzliche Produkte.

Genuss neu definiert
Dass dies in der Praxis hervorragend funktioniert, zeigten die vier Küchenchefs der Region mit ihren Kreationen, die beim fünfgängigen Galamenü am Samstagabend serviert wurden (siehe Kasten). So zauberte beispielsweise Nik Buchs, Eigentümer und Küchenchef des 16 Art Bar Restaurants, ein zauberhaftes Cassoulet von Pilzen aus der Region auf den Teller. «Reduce to the max», könnte man sagen, reduziere bis aufs Maximum.

Nach wie vor geht es darum, dem Leib etwas Gutes zu tun, damit die Seele gerne darin wohnt. Aber alles bewusst und im rechten Mass. Schon Cicero sagte: «Der Geist kann nicht mehr richtig arbeiten, wenn wir von Speise und Trank zu vollgestopft sind.» Weniger bedeutet nun nicht, hungrig durch den Tag zu gehen. Das bewiesen die beiden Macher von «Less Saves the Planet» mit einem sogenannten Yoga-Lunch, gleich als die Teilnehmer von einer gemeinsamen Wanderung zu Doug Aitkens Spiegelhaus «Mirage Gstaad» zurückgekehrt waren. Dieses Yoga-Lunch erforderte keine Verrenkungen, auch nicht des Magens. Es ging dabei vielmehr um die innere Haltung, um Achtsamkeit, Bewusstsein und Verlangsamung. Fadi Joseph Abou forderte die Teilnehmer auf, die Handys auf stumm zu schalten und sie in einen Korb in der Mitte des Tisches zu legen. Dann sprach er davon, mit welcher Konzentration und Geisteshaltung in Japan die traditionelle Teezeremonie zelebriert wird. Und davon, wie Babys beim Stillen automatisch die Augen schliessen, weil sie ganz im Genuss des Hier und Jetzt aufgehen.

Nun wurden die Teilnehmer eingeladen, die Leckerbissen «gaaaanz laaaangsam» und mit geschlossenen Augen zu geniessen. Der Raum versank in meditativer Stille. Es ging nicht nur darum, sich unmittelbar von den intensiven Aromen überraschen zu lassen. Vielmehr sollte man auf die inneren Bilder und Gefühle achten. Da kamen Kindheitserinnerungen an die Küche der Grossmutter hoch, oder ein neuartiges, tiefes Genussgefühl, das Teilnehmer fast schon orgiastisch nannten. Denn nach jedem Gang tauschte man sich am Tisch über die eben gemachten Erfahrungen aus, angeleitet von einem Achtsamkeits-Guide. Wo sich alle einig waren: Eine kleinere Portion, langsam gekaut und bewusst genossen, macht genauso satt.

Trendsetter für Achtsamkeit
Das Credo der Initiatoren heisst «Low and Slow». Soll heissen: Bei dieser Art von Essen und verlangsamtem Geniessen werden nachweislich die Gehirnströme auf eine niedrigere Frequenz abgesenkt, was in einen tiefenentspannten und beglückten Zustand führt. Oder wie Fadi Joseph Abou es ausdrückt: «Ich möchte Freude in meinem Mund haben, wenn ich diese herrlichen regionalen Produkte geniesse.» Da verbieten sich Massentierhaltung oder industriell hochgepushte Nahrungsmittel von selbst – Lebensmittel kann man sie ja oft nicht mehr guten Gewissens nennen. Und Flavio Bucciarelli ergänzte: «Lasst uns einfach lernen, wie man gut isst, aber gleichzeitig die Umwelt schützt.»

Um sich darin zu vertiefen, wie dies konkret geht, bekam jeder Teilnehmer ein Buch, in dem die beiden Initiatoren detailliert schildern, was verantwortungsvolles Essen konkret ausmacht. Geschrieben ist es einerseits für Küchenchefs, aber genauso für jeden wachen Konsumenten, der Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sein möchte. Im Buch geht es z.B. darum, wie man Foodwaste, also die wachsende Nahrungsmittelverschwendung, vorbeugt. Wie man mit intelligenter Gebäudeund Küchentechnik Energie spart. Oder es wird detailliert geschildert, auf welche Fischarten man verzichten sollte, um deren bedrohte Bestände nicht unnötig zu vermindern. Das Buch kann auch gratis als E-Book von der Website der Organisation heruntergeladen werden, . Eines Tages soll es auch einen Guide geben, in dem die nachhaltigsten Restaurants und Hotels jedes Landes verzeichnet sind. «Sicherlich ist der Weg bis zu unserem Ziel eines rundum verantwortungsvollen Konsums noch weit», betonte Abou, «aber jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt.»

Teil der Lösung werden
Die anwesenden Teilnehmer waren rundum begeistert, vom Anlass und vom Ambiente des Luxushotels. So sagte etwa Leka Anwar Zogu Reza, der Kronprinz von Albanien: «Das Hotel ist unglaublich, ein Juwel in dieser Region. Wir haben neue Freunde gewonnen – aber vor allem haben wir uns ja für einen wichtigen und guten Zweck hier eingefunden.» Eines ist nach diesem erfolgreichen Wochenende gewiss: Brenda Zimmermann, die ambitionierte Marketing-Chefin des The Alpina Gstaad, wird mit dem Hotel und mit den Küchenchefs der Region noch weitere wichtige Schritte hin zu mehr Achtsamkeit und Nachhaltigkeit machen. Denn wie heisst es so schön? Es gibt nichts Gutes – ausser man tut es.

PD


TOP-KÜCHENCHEFS DER REGION GEHEN NEUE WEGE

Welche Region der Welt wäre prädestinierter als das Saanenland, wenn es darum geht, Nachhaltigkeit mit möglichst regionalen Produkten auf den Speisenkarten zu verankern? So betonte Martin Göschel, Executive Chef des The Alpina Gstaad: «Die Schweiz hat ein Portfolio an Produkten, das ganz hervorragend ist: Käse, Fleisch, Fisch, ein super Gemüse und jede erdenkliche Art von Milchprodukten, alles von regionalen Bauern hergestellt – genau solche Produkte beziehen wir. Und wir gehen auch auf die Wiese, um Wildkräuter zu sammeln.» Der Gang, den er beim Galamenü servierte, bestand aus Poulardenbrust mit schwarzem Trüffel, gerösteten Zwiebeln, Kartoffelpüree und Trüffeljus.
Es kommt nicht oft vor, dass vier Spitzenküchenchefs gemeinsam werken. Doch sie schätzen einander und arbeiten gerne zusammen, betonten alle vier. Die Vorgaben für das «Less Saves the Planet»-Menü wurden konsequent umgesetzt. «Wir haben uns aber genau abgestimmt, damit es nichts doppelt gibt – so läuft das bei uns», betonte Marcus G. Linder, Chef de Cuisine des Le Grand Bellevue.
Und Franz W. Faeh, Culinary Director des Gstaad Palace, ergänzte: «Bei uns vieren gibt es keinen Wettbewerb. Wir helfen einander, dafür sind wir da. Es gibt nur Freundschaft und Zusammenhalt wie in einer kleinen Familie.» Und was bedeutet das Thema Nachhaltigkeit in der Gstaader Spitzengastronomie? Nik Buchs, Besitzer und Küchenchef des 16 Art Bar Restaurants kommentierte: «Das ist für uns nicht kompliziert. Das leben wir ja bereits jeden Tag aufs Neue!»

PD

 


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