Zur SVP-Wahlwerbung

  13.09.2019 Leserbriefe

Wird es nicht langsam peinlich, mitansehen zu müssen, wie unsere wählerstärkste Partei – die für sich stets in Anspruch nimmt, als einzige noch den gesunden Schweizergeist zu repräsentieren – sich, um im Volk mehr Aufsehen zu erregen, dazu versteigt, Symbole und Bilder zu verwenden, die für das wohl gravierendste Verbrechen der Menschheit stehen? Bereits 2015 hatte sich das weltweit bekannte verkappte Nazi-Zeichen «88» (natürlich «unwissentlich», wie der damalige Fraktionschef Adrian Amstutz behauptete) in ihr Wahlkampfvideo «eingeschlichen». Und jetzt präsentiert uns dieser inzwischen zum Wahlkampfleiter ernannte A. A. auch noch ein Werbeplakat, das inhaltlich faktisch deckungsgleich ist mit dem berüchtigten Stürmer-Plakat der nationalsozialistischen Propaganda 1931.

Im «Sonntalk» von TeleZüri (18. August) stellte der Moderator dieses Stürmer-Plakat demjenigen der SVP-Wahlkampagne 2019 gegenüber und forderte den dort anwesenden SVP-Fraktionspräsidenten Thomas Aeschi auf, dazu Stellung zu nehmen. Dieser reagierte ziemlich verdattert: «Das habe ich nicht gewusst.» Als ihn der Moderator daraufhin fragte, ob er sich nun, in Kenntnis dieser Sachlage, dafür einsetzen würde, diese an die Nazi-Verbrechen erinnernde SVP-Werbung «aus dem Verkehr zu ziehen», antwortete Aeschi, das würde er in seiner Partei wohl nicht durchbringen.

Sicher darf man von einem Politiker nicht verlangen, dass er jedes Bild oder Plakat der Geschichte im Detail kennt. Art und Stil der Nazi-Propaganda in Wort, Bild und Tat sind jedoch heute dermassen bekannt, dass es wenig glaubwürdig wirkt, wenn ein Akademiker behauptet, davon kaum Kenntnis zu haben. Selbst wenn man diesen Parteistrategen noch grosszügig attestiert, ihre pietätlosen Fehltritte wegen mangelnder (Geschichts-)Kenntnis begangen zu haben, ist es doch höchst bedenklich und wenig vertrauenerweckend, realisieren zu müssen, wie die grösste politische Partei unseres Landes heute von Leuten «geführt» wird, die offensichtlich weder über politische Sensibilität noch über die Fähigkeit verfügen, sachlich und sauber zu recherchieren.

Als dieses anrüchige Werbeplakat den von der Parteileitung wohl erhofften «Medienwirbel» entfachte, meldeten sich aus der Nordostschweiz sofort gemässigtere SVP-Stimmen, welche das Vorgehen ihrer Parteileitung als inakzeptables «Überspannen des Bogens» verurteilten. Unter den parteilinientreuen Berner Parlamentariern und Kandidierenden blieb es jedoch still. Offenbar wollte keine/r durch «Aufmucksen» beim Partei-Grosspapi in Ungnade fallen und auf seinen Wahlsegen verzichten.

Als immer noch stark dem Saanenland Verbundener schäme ich mich in diesem Zusammenhang u.a. auch für die diesbezügliche Mutlosigkeit unseres Saaner Nationalrats, der sich gerne in «christlichen» Medien als überzeugter, bekennender Christ gibt, es aber offensichtlich nicht wagt, gegen diese Art Menschenentwürdigung ein Zeichen setzen zu helfen. Schade! Ich möchte nicht passive Sonntagschristen als Parlamentarier wählen, sondern Menschen, die mit Entschlossenheit den Kampf gegen die weltweit wieder zunehmende Diskriminierung und Ausgrenzung Andersdenkender aufzunehmen wagen. Sicher sind unsere SVP- «Führer» noch längst keine Nazis. Aber die Grundmechanismen ihrer Werbemethoden sind praktisch dieselben. Es nagte ziemlich an meinem Schweizerstolz, als ich letzthin zu Kenntnis nehmen musste, dass unsere grösste Volkspartei in der internationalen Parteienvergleichsliste noch rechts von der deutschen AFD eingestuft wurde. Seit ich ihre neue Wahlkampagne kenne, wundert mich dies aber kaum noch.

Die Geschichte zeigt uns in tragischster Art und Weise, wie Millionen von anständigen und unbescholtenen Menschen zu mordenden Bestien werden konnten, weil sie in ihren Köpfen und Herzen dem entwürdigenden Ausgrenzungsdenken Raum zu geben begannen. Darum: Wehret solchen Anfängen! Wahrscheinlich sind sich unsere SVP-Strategen, die sich in jüngster Vergangenheit nicht gerade durch sonderlich hohes Wahrnehmungsvermögen ausgezeichnet haben, gar nicht bewusst, wie stark sie sich selber in eine Brandstifterrolle manövriert haben. Und da werden sie sich nun wohl zunehmend damit abfinden müssen, dass ihre Partei auf nationaler Ebene für verantwortungsbewusste, sich auch der Ethik verpflichtet wissende Bürgerinnen und Bürger kaum noch wählbar ist.

GOTTFRIED VON SIEBENTHAL, AESCHIRIED


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