Braucht es in der Alpwirtschaft erneut eine «Lawine»?

  15.10.2019 Nachbarschaft

Am Wochenende fand in Les Diablerets der «Salon des alpages» statt. Der Waadtländer Landwirtschaftsdirektor hielt ein spannendes Referat zur jüngeren Geschichte und der Zukunft der Alpwirtschaft in der Region. In der anschliessenden Diskussionsrunde debattierten Expertinnen und Experten über die klimatischen, sozialen und technischen Herausforderungen der nächsten 20 Jahre.

MARTIN GURTNER-DUPERREX
1984 gingen zwischen Les Diablerets und Vers-L’Eglise mehrere grosse Lawinen nieder und zerstörten Bauernbetriebe und Alpchalets. Diese Naturkatastrophe vereinigte die Bergbevölkerung des Ormonttales und bedeutete einen Neuanfang für die stagnierende lokale Alpwirtschaft. Am diesjährigen «Salon des alpages» in Les Diablerets fragte sich der Direktor des Landwirtschaftsamtes des Kantons Waadt, Frédéric Brand, in seinem Referat «Welche Alpwirtschaft in 20 Jahren?», ob es wohl eine erneut «Lawine» brauche, damit die Bauern und Bäuerinnen gegenüber den Herausforderungen der Zukunft die nötigen Schritte unternehmen. Die Grundvoraussetzungen dafür seien alle da: die Produkte, gute Qualität, Innovation und eine entsprechende Nachfrage bei den Kunden.

Ein gescheitertes Entwicklungsprojekt
Frédéric Brand berichtete einführend vom Entwicklungsprojekt «Zone témoin», welches zwischen 1958 und 1970 zum Ziel hatte, die Alpwirtschaft des Ormonttales zu reformieren. Die Bergbauern der frühen Fünfzigerjahre waren verschuldet, entmutigt und resigniert. Der Kanton Waadt hatte die Absicht, ihr Einkommen durch Produktionssteigerung zu verbessern, anstatt durch grössere staatliche Hilfe. Mechanisierung, Einsatz von mineralischem Dünger und fast zinslose Kredite waren der Grundansatz dieses Projekts. Eine kollektive Käserei und ein Schlachthaus sollten ebenfalls verwirklicht werden. Gemäss den Worten von Brand, der dieses Projekt 1991 zum Thema seiner Diplomarbeit als Agraringenieur machte, waren die Resultate jedoch ernüchternd: Die sinkenden Preise für Agrarprodukte hatten verhindert, dass die Familien durch Produktionssteigerung ihren Lebensunterhalt besser decken konnten, und weder die Käserei noch das Schlachthaus kamen zustande. Wenigstens konnte die alpwirtschaftliche Entwicklung jener Zeit trotzdem mit denen der Nachbartäler mithalten. Dies war der falsche Lösungsansatz zum falschen Zeitpunkt.

Beunruhigende Perspektiven
Frédéric Brand nannte eine geeignete, breite Berufsausbildung für das Alppersonal als eine wichtige Voraussetzung, um sich besser den Herausforderungen der Alpwirtschaft der nächsten 20 Jahre zu stellen: Administration, Logistik, Bewirtschaftung der Alpen, Viehzucht, Verarbeitung von Agrarprodukten, Tourismus … Besonders die kundennahe Kommerzialisierung der Agrarprodukte werde immer wichtiger. So nannte er das Beispiel der «ethischen» Fleischesser, die heute wissen wollten, wo und unter welchen Bedingungen das Fleisch produziert wurde sowie das Nischenprodukt Etivaz-Käse. Das Familienmodell werde immer mehr von bezahltem Alppersonal abgelöst. Gleichzeitig prognostizierte er eine Verminderung der staatlichen Unterstützung und Subventionen.

«Der Klimawandel wird spätestens ab 2050 die Alpwirtschaft stärker beeinträchtigen», so Brand weiter. Er erläuterte, dass das Klima auf 1000 Metern dann etwa dem Klima auf 500 bis 600 Metern gleiche und warnte vor den Folgen für Vieh und Vegetation bei Hitzewellen. Ob jetzt Präventionsmassnahmen angesagt sind, darüber wurde in der anschliessenden Diskussionsrunde lebhaft diskutiert (siehe unten).


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