Der Fisch im Bundeshaus

  26.11.2019 Schweiz

Staatskunde zum Anfassen, ein Besuch bei Bundesrätin Simonetta Sommaruga und ein Lunchpaket. Die Schüler der 3. und 4. Klasse aus Gstaad erlebten einen interessanten Tag und nutzten die Gelegenheit, der Vizepräsidentin des Bundesrates einige Fragen zu stellen.

KEREM S. MAURER
Eingeladen zu diesem Ausflug der Extraklasse hat Swissaid (siehe Kasten). Jedes Jahr werden vier Schulklassen aus der ganzen Schweiz in die Bundeshauptstadt eingeladen, wo sie durchs Bundeshaus geführt werden und Gelegenheit bekommen, dem amtierenden Bundespräsidenten auf den Zahn zu fühlen. Allerdings konnte heuer Bundespräsident Ueli Maurer nicht persönlich anwesend sein. Simonetta Sommaruga, Vizepräsidentin des Bundesrates, erwies sich als würdige Vertretung. Kriterien für diese Einladung nach Bern sind gemäss Markus Allemann, Geschäftsleiter Swissaid, der regelmässige und erfolgreiche Verkauf von Swissaid-Abzeichen. «Es soll eine Belohnung für den guten Einsatz sein», so Allemann.

Seit 41 Jahren aktiv
Renate Bach, seit 37 Jahren Primarlehrerin im Schulhaus Rütti in Gstaad, macht seit 41 Jahren mit ihren Schulkindern beim Abzeichenverkauf von Swissaid mit. «Vieles, was im Lehrplan verlangt wird, deckt der Abzeichenverkauf ab», sagt sie im «Spiegel», dem Swissaid-Magazin. Dabei lernten die Schüler und Schülerinnen den Umgang mit Zahlen und Geld. Auch sei es eine «wunderbare Lektion in Sozialkompetenz», weil die Kinder auf Fremde zugingen und aktiv etwas für Menschen täten, denen es schlechter gehe als ihnen selbst, was ihr Bewusstsein stärke, etwas auf der Welt verändern zu können. Renate Bach versammelte sich am letzten Donnerstagmorgen mit ihren 16 Dritt- und Viertklässlern auf dem Bundesplatz und wartete zusammen mit drei anderen Klassen (aus Neuenburg, Wangen SZ und Hinwil) auf eine Führung durchs Bundeshaus. Die Kinder waren aufgeregt, die Stimmung ausgelassen. «Es gibt Tage im Leben jedes Schulkindes, an den es sich sein Leben lang erinnern wird», sinnierte die Lehrerin, «der heutige Tag ist gewiss ein solcher!»

Alle für einen und einer für alle
Nach beeindruckenden Sicherheitskontrollen, durchgeführt von bis an die Zähne bewaffneten Beamten der Fed-Pol (Bundesamt für Polizei), bestaunten die Kinder den Kuppelraum des Bundeshauses, wo sich 33 Meter über dem Boden die Kuppel mit den Wappen aller Kantone der Schweiz wölbt. Wieviele waren es nochmal und wo ist das Wappen des Kantons Jura? Die Führerin Valeria, die lachend feststellte, dass sie in etwa gleich gross war wie die Gstaader Schulkinder, verstand es von Beginn weg, die Kinder spielerisch miteinzubeziehen. Liess sie teilhaben an der Gründungsgeschichte der Eidgenossenschaft und beantwortete geduldig ihre Fragen. Die Kinder erfuhren staunend, dass die Statue der drei Urschweizer beim Rütlischwur gesamthaft 24 Tonnen wiegt, dass Winkelried sich für den Sieg der Eidgenossen in Sempach selbstlos in die Speere der Habsburger warf und dass die Musketier-Losung «Einer für alle und alle für einen» in lateinischer Sprache an der Bundeshauskuppel prangt und eigentlich ein urschweizerischer Gedanke ist.

Wo ist der Fisch?
Im Ständeratssaal ging es um die Entstehung von Gesetzen. Anhand eines praktischen Beispiels – man diskutierte lebhaft über die Abschaffung von Hausaufgaben – lernten die Kinder vieles über Abstimmungen, Diskussionen und eidgenössischer Kompromissfindung. Schliesslich muss nach dem Ständerat auch der Nationalrat gleicher Meinung sein. Die Kinder waren engagiert dabei, argumentierten für die Wichtigkeit des Lernens und gegen die freizeitraubenden Hausaufgaben und staunten über die nummerierte Sitzordnung und den überdimensionierten Kronleuchter. «Darf ich auf diesen Knopf drücken?», fragte ein Junge, der den Ratssaal mit seinem Tastsinn erkundete. «Nein, besser nicht», wollte ihn Valeria noch davon abhalten. «Ups ...» Im Nationalratssaal lenkte Valeria die Aufmerksamkeit der Kinder auf das bekannte Bild «Die Wiege der Eidgenossenschaft» des Genfer Künstlers Charles Girond. Weil das Parlamentsgebäude am 1. April 1902 eröffnet worden war und der 1.-April-Scherz in Französisch «poisson d’avril» heisst, versteckte der Maler im Bild eine Forelle. Diese sollten die Kinder ausfindig machen. Mit einem Wandel durch die Wandelhalle, wo sich normalerweise unzählige Lobbyisten tummeln, um das politische Geschehen in unserem Land zugunsten ihrer Geldgeber zu beeinflussen, fand der Staatskundeunterricht sein Ende.

«Was Kinder brauchen»
War die Gstaader Schulklasse bei der Führung durch das Regierungsgebäude als Letzte dran, durfte sie bei Frau Bundesrätin Sommaruga bereits als Zweite ihre Darbietungen vorführen. Im Gebäude namens Bernerhof, wo die Räumlichkeiten des Finanzministeriums untergebracht sind, sangen die nun sichtlich nervösen Kinder das Saanelandlied (Text: Gottfried Matti, Melodie: John Denver), begleitet von drei Flöten. Danach interpretierten sie die Gedichte «Was ein Kind braucht» von Irmela Brender und «Wir», dessen Herkunft Renate Bach nicht angeben konnte. In den Versen ging es darum, dass Kinder gute Schulen, Freunde und Zeit zum Spielen brauchen und dass man vieles nur gemeinsam erreichen kann, indem man zusammenarbeitet. «Wir haben diese Gedichte im Rahmen der Sparte ‹Literatur im Fokus› besprochen», erklärte Renate Bach. «Ich finde, sie passen gut zum heutigen Anlass.»

«Was tun Sie gegen die Klimaerwärmung?»
Die Gstaader Schulkinder lagen mit ihren Fragen im Trend der Zeit und wollten von der Bundesrätin unter anderem wissen, was die offizielle Schweiz gegen die Klimakrise mache. Simonetta Sommaruga deutete an, dass die Häuser besser isoliert werden müssten und gab praktische Tipps, die jeder bei sich zu Hause gleich umsetzen kann. «Die Fenster nur kurz öffnen, dann wieder schliessen und nicht stundenlang offen stehen lassen», sagte sie und drehte den Spiess geschickt um, indem sie den Fragenden selber fragte, ob er diese Frage auch schon seinen Eltern gestellt habe. «Ja, habe ich!» – «Und was haben die Eltern geantwortet?» – «Das weiss ich nicht mehr!» Am Ende war der Tag in Bern recht schnell vorübergegangen. Vor allem der Besuch im Bundeshaus hat die Kinder begeistert und natürlich das Lunchpaket, das sie am Ende von Swissaid bekommen haben.


SWISSAID

Ziel und Motivation von Swissaid ist eine gerechte, friedliche und vielfältige Welt, eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder und Enkel in einer Welt ohne Hunger, Armut, Gewalt und Krieg. Seit über 70 Jahren engagiert sich Swissaid für die Hilfe zur Selbsthilfe. Vorab als «Schweizer Auslandhilfe» im kriegszerstörten Europa und seit den 60er-Jahren als Swissaid auch in den Ländern des Südens. Im vergangenen Jahr konnte Swissaid für die neun Länder des Südprogramms (Nicaragua, Ecuador, Kolumbien, Guinea-Bissau, Niger, Tschad, Tasmanien, Indien und Myanmar) Projekte im Umfang von 10,7 Millionen Franken genehmigen und zusammen mit den lokalen Swissaid-Büros und Partnerorganisationen zugunsten der ärmsten Bevölkerungsschichten realisieren.

PD
www.swissaid.ch


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