«Tourismus ist People-Business»

  08.11.2019 Interview, Gstaad

Seit 1. Juli ist Flurin Riedi Geschäftsführer von Gstaad Saanenland Tourismus. Kommunikation, dazu gehört auch ein regelmässiger Austausch mit sämtlichen Leistungsträgern der Region, ist ihm wichtig. «Wenn du kommunikativ bist und auf die Leute zugehst, kommt auch viel zurück.»

ANITA MOSER

Flurin Riedi, Sie sind seit gut vier Monaten im Amt als Geschäftsführer von Gstaad Saanenland Tourismus. Vorher waren Sie Tourismusdirektor in Andermatt. Wer ist engstirniger, die Innerschweizer oder die Saaner?
Weder noch. Aus meiner Sicht sind die Bergler eigentlich viel offener als die Menschen anderswo. Man schätzt und kennt sich und wenn es darauf ankommt, steht man zusammen. Was mich hier sehr positiv überrascht, sind der Qualitätsanspruch und der Servicegedanke, welche im Tourismus in vielen Bereichen spürbar sind. Ebenso haben das Landschaftsbild, das Image und die Traditionen einen hohen Stellenwert. Das hat sicher auch damit zu tun, dass viele Landwirte Skilehrer oder bei den Bergbahnen angestellt sind.

Das ist in anderen Tourismusorten auch so.
Ja, aber mir scheint, hier hat man eine ganz andere Einstellung: Man weiss, wovon man lebt und was alles für einen erfolgreichen Tourismus wichtig ist. Das hat sicher auch historische Gründe. Im Saanenland existiert der Tourismus seit über 100 Jahren. Das spürt man.

Sie haben Ihre Arbeit mitten in der Hochsaison aufgenommen. Ein intensiver Start mit all den Topevents.
Es war ein idealer Zeitpunkt. Ich durfte die verschiedenen Topevents besuchen, wurde zu Partner- und Sponsoranlässen eingeladen, habe aber auch verschiedene Leistungsträger und Partner besucht und konnte so bereits viele Leute kennenlernen und mich gut vernetzen.

Sie sind gerne unter den Leuten, an der Front. Das bedeutet auch, oft an den Wochenenden unterwegs zu sein.
Ich mache das gerne, das gehört zu meinem Job. Als Tourismusdirektor ist es wichtig, auch an Veranstaltungen präsent zu sein und sich mit den Leuten auszutauschen, da spürst du, wo der Schuh drückt. Mir ist es wichtig, dass ich mich nicht nur mit den Leistungsträgern, der Politik und Partnern, sondern auch mit der Bevölkerung austauschen kann. Als Tourismusorganisation verantworten wir die Destinationsstrategie respektive sind für die touristische Führung der Destination Gstaad zuständig. Um dies erfolgreich gewährleisten zu können, ist es unabdingbar, sich mit den verschiedenen Anspruchsgruppen auszutauschen, diese aber auch aktiv einzubinden.

Fühlen Sie sich ernst genommen?
Ich bin gut aufgenommen worden und fühle mich definitiv auch ernst genommen. Vertrauen und Kommunikation sind zwei Schlüsselfaktoren und sie beruhen auf Gegenseitigkeit: Wenn du kommunikativ bist und auf die Leute zugehst, kommt auch viel zurück. Als Tourismusorganisation ist es wichtig, dass wir mit den Behörden, dem Gewerbe, der Hotellerie, der Landwirtschaft, den Bergbahnen usw. in engem Austausch stehen und diese wie schon erwähnt aktiv ins Destinationsmanagement miteinbeziehen.

Was war Ihre Motivation, sich für den Posten zu bewerben und ins Saanenland zu ziehen?
Ich bin mit Herzblut Touristiker und fühle mich im Berg-Destinationsmanagement zu Hause. Andermatt war spannend, aber nach rund zehn Jahren spürte ich, dass ich mich weiterentwickeln will. Als Tourismusdirektor stand die Destination Gstaad natürlich auf meiner Wunschliste – für mich eine der faszinierendsten und spannendsten Destinationen. Der Wechsel war aber auch ein familiärer Entscheid. Wir wollten als Familie ins Berner Oberland ziehen – in die Heimat meiner Frau. Es ist ein fantastischer Lebensraum mit einer riesigen Vielfalt. Wer selber gerne in der Natur unterwegs ist, muss sich in einer solchen Gegend wohlfühlen.

Welches sind die Ziele – wohin geht die Reise der Destination?
Im Kern ist es immer ein Gemeinschaftswerk. In der Destinationsstrategie sind in meinen Augen die wichtigen Themen abgebildet. Das heisst aber nicht, dass wir alle Themen schon bespielen, respektive dass wir schon in einer Projektphase, in einem Umsetzungsprozess sind. Im Moment gibt es verschiedene Themen, die man versucht, an die Hand zu nehmen, zu intensivieren, damit sie nicht ein Papiertiger in Form einer Planung bleiben.

Welche sind die wichtigsten Themen?
Ein Thema ist der ganze Bereich Infrastruktur und Projekte. GST ist im Winter unter anderem zuständig für den Betrieb der Langlaufloipen, der Winterwanderwege, der Picknickplätze, der Ruhe- und Liegebänke usw. Für die Wanderwege im Sommer liegt die Verantwortung bei den Gemeinden. Wir möchten die Zusammenarbeit jedoch weiter optimieren, damit man effizienter und strategisch zielgerichteter agieren kann. Weitere wichtige Projekte sind die Spielplätze, die Erlebniswege, die Qualitätsmassnahmen beim Wegnetz in der gesamten Destination – dabei geht es auch um das Wander- und Bikeangebot – oder die neuen geplanten Familienangebote rund um das «Saaniland».

Sie legen viel Wert auf Zusammenarbeit und direkten Kontakt.
Wenn man erfolgreiches Destinationsmanagement betreiben und Projekte umsetzen will, muss man zusammenarbeiten, Synergien nutzen, ausdiskutieren, was priorisiert werden soll oder wie man vorgehen will. Wir arbeiten sehr gut mit der Bergbahnen Destination Gstaad, mit Gstaad Marketing, mit den Gemeinden und den weiteren Leistungsträgern zusammen. GST ist im Lead, was das Destinationsmanagement betrifft – wir müssen diese Rolle aber stärker wahrnehmen und wollen da auch Zeichen setzen. Aus diesem Grund arbeiten wir verstärkt im Bereich der Tourismussensibilisierung und haben dafür zum Beispiel als eine der Massnahmen den «TourismusSpot» lanciert. Ich motiviere zudem unsere Leute, hinauszugehen, Themen nicht nur per Mail oder Telefon zu besprechen, sondern persönlich und direkt. Die Leute schätzen es, wenn man sie abholt, einbindet, mit ihnen kommuniziert. Tourismus ist People-Business.

Gstaad-Saanenland soll sich gemäss Destinationsstrategie zur Ganzjahresdestination entwickeln. Wie weit ist man?
Ganzjahresdestination heisst, während zwölf Monaten «Saison» zu haben. Davon sind wir weit entfernt. Wenn wir mittelfristig zu einer Acht-Monate-Saison werden, wäre das schon ein grosser Schritt. Aber um das zu erreichen, braucht es alle Leistungsträger und Partner. Die Boutiquen werden nicht offen haben, so lange die Fünfsternhäuser geschlossen sind. Die Fünfsternhäuser werden die Saison nicht eröffnen, so lange ihre Kundschaft – dazu gehören auch die Chaletbesitzer – nicht vor Ort ist usw. Es gibt viele Ideen und Massnahmen, aber die sind nicht alle von heute auf morgen umgesetzt. Wichtig ist, dass wir gemeinsam das Ziel verfolgen und es nicht nur beim Wollen belassen, sondern auch umsetzen. Ich bin überzeugt, dass wir im Herbst ein grosses Potenzial haben, und diesen wollen wir stärken und ausbauen. Sei es mit gezielten Marketingaktivitäten, neuen Angeboten rund um das Thema Wandern und Familien oder auch mit bestehenden und neuen Eventformaten.

Bezieht man die Klimaszenarien in die Destinationsstrategie mit ein?
Fakt ist: Wir haben eine Wintersaison sowie eine Sommersaison, die gut läuft. Die grosse Chance ist sicher das milde Klima, was den Sommertourismus betrifft, was aber zugleich auch eine Herausforderung für den Winter ist. In hochalpinen Regionen wie z.B. dem Engadin oder in meiner ehemaligen Destination Andermatt ist der Sommer viel kürzer. Hier hat der Sommertourismus grosses Potenzial. Mittel- bis langfristig können wir sicher davon profitieren. Ganz allgemein müssen wir uns klar bewusst sein, dass sich die Klimaerwärmung auch auf das Gästeverhalten respektive auf die Gästenachfrage auswirken wird.

Laut Studien wird es in unseren Höhenlagen in den kommenden Jahren immer weniger Schnee geben. Kann es das Ziel sein, weiter auf Beschneiung zu setzen?
Den Fünfer und das Weggli kann man nicht haben. Man muss sich bewusst sein, dass Veränderungen im Gang sind. Beschneiung ist ein teures, aber ein wichtiges Thema. So lange man mit einem vernünftigen Aufwand gewährleisten kann, dass man Wintersport anbieten/betreiben kann, ist es sicher ein Muss. Der Skifahrer erwartet heute qualitativ Top-Pisten und diese können wir bieten. Dafür braucht es entsprechende Investitionen und die konnten wir zum Glück bereits tätigen. Aber man muss auch in Zukunft weiter investieren können. Wir haben Ja gesagt zum Wintersport, zu den Bergbahnen. Wenn man Ja sagt, muss man konsequent sein. Allerdings haben wir auch schon jetzt im Winter viele Gäste, die nicht zum Skifahren kommen. Auch für sie muss die Destination attraktiv sein – da müssen wir uns Überlegungen machen, welche Angebote wir für diese Gäste künftig realisieren müssen.

Gibt es Ideen?
Ja, die gibt es. Beispielsweise überlegen wir, wie wir das Winterwanderangebote kurz- bis mittelfristig in die Höhe verlegen können. Der Gast läuft nicht gerne durch Pflotsch und Dreck.

Für grosse Diskussionen sorgen die Betriebszeiten der Bergbahnen respektive die Schliessung einzelner Berge wie des Rellerlis.
Die Bergbahnen sind ein wichtiger Destinationsmotor – daher ist es natürlich nicht unwesentlich, wie die entsprechenden Betriebszeiten aussehen. Wir haben das grosse Glück, dass wir viele Bergbahnen auch im Sommer nutzen können. Man darf aber den betriebswirtschaftlichen Aspekt nicht vernachlässigen. Grundsätzlich kann man fast jeden Berg bespielen, inszenieren. Die Frage ist, was man will und was es braucht. Wichtig ist, dass wir über die ganze Destination ein gutes Angebot bieten und dieses auch nachhaltig gewährleisten können. Und dafür braucht es auch immer wieder Anpassungen und Veränderungen. Und daraus ergeben sich vielleicht auch neue Chancen.

Beispielsweise für Schönried?
Das Gebiet Schönried-Saanenmöser hat ebenfalls ein grosses Potenzial und eine spannende Entwicklung vor sich: mit der neuen Gondelbahnanlage, den ganzen Erlebnis- und Themenwegen für Familien, den Langlaufloipen, den Schlittelpisten oder dem Bikeangebot, das am Horneggli geplant ist. Über das Ganze gesehen hat die Region ein fantastisches Angebot. Ich war vor kurzem mit einem befreundeten Paar aus dem Kanton Uri mit dem E-Bike unterwegs. Die beiden haben geschwärmt, es sei wunderschön, sensationell, ein Paradies. Wer nur sein Gärtli sieht, vergisst das manchmal.

Die Topevents konzentrieren sich auf die Hochsaisons. Sie sprachen davon, auch im Herbst neue Eventformate zu realisieren.
Wir möchten zum Beispiel das Thema Wandern entwickeln und prüfen ein entsprechendes Format, welches wir jeweils im Herbst durchführen möchten – dies als Beispiel einer Massnahme, wie wir den Herbst stärken wollen.

In einigen Regionen gilt all-inclusive. Das heisst, wer Hotelübernachtungen bucht, kann gratis die Bergbahnen nutzen usw. Ist das ein Thema für GST?
Persönlich bin ich skeptisch. Der Gast schätzt das zwar, aber man muss sich die Frage nach der nachhaltigen Finanzierbarkeit des Systems stellen. Davos als Beispiel hat es nach fast zehn Jahren aufgegeben, weil es schlichtweg nicht finanzierbar ist. Man führt dort nun ein ähnliches Modell ein wie die Destination Gstaad mit der «Gstaad Card».

Kommt ÖV inklusive?
Diesbezüglich sehen wir – zusammen mit den weiteren touristischen Leistungsträgern sowie den Gemeinden – ein grosses Potenzial. Nicht nur als Mehrwehrt für den Gast, sondern auch in den Bereichen Nachhaltigkeit, Umwelt, Parkplätze, Verkehr, lokaler Pendelverkehr. Die Destination verfügt mit den kurzen Wegen, mit der MOB und den Postautoverbindungen über beste Voraussetzungen. Wir sind intensiv daran, ÖV inklusive – vorerst für Gäste – zu prüfen und hoffentlich auch einzuführen. Zusammen mit den Gemeinden prüfen wir aber auch, wie weit man das Angebot auch für die Bevölkerung umsetzen kann. Bisher ist Gratis-ÖV ja gekoppelt an den Skipass. Ich bin überzeugt, dass wir uns als Destination mit ÖV inklusive von anderen Destinationen zumindest teilweise abheben und differenzieren können.

Was steht sonst noch auf Ihrer Agenda?
Die Digitalisierung. Wir stehen vor der grossen Herausforderung, die verschiedene Systeme aller Anspruchsgruppen so zu optimieren, dass sie schlussendlich für den Gast bedienerfreundlich sind. Der Gast erwartet heute, dass er sämtliche Angebote – vom Hotel über den Skipass bis zum Hallenbad- oder Museumseintritt – zentral aus einer Hand buchen kann. Weiter wollen wir den Bereich MICE (Anm: Meetings, Incentives, Conferences und Events) optimieren und vor allem im Bereich Infrastruktur und Projekte von der Planung in die Umsetzung gehen.

Gstaad 2020+ wurde aufgelöst – braucht es wieder ein ähnliches Gefäss?
Wie schon erwähnt, ist Kommunikation für mich der Schlüssel zum Erfolg. Ich sitze beispielsweise regelmässig mit Vertretern aus Politik, der Hotellerie, der Landwirtschaft und weiteren, die bei 2020+ involviert waren, zusammen. Und die Gemeinde Saanen hat das Kontaktgremium Volkswirtschaft initiiert. Es macht aus meiner Sicht keinen Sinn, zwei ähnliche Gefässe zu haben, wo man plus-minus die gleichen Themen diskutiert. Wir müssen Hand in Hand arbeiten. Wenn es um das Destinationsmanagement geht, sind sich Gemeinden und Tourismus sehr nahe. Es gibt nicht immer eine klare Abgrenzung, es hat sehr viele Schnittstellen und Themen, die wir gemeinsamen angehen müssen. Wichtig ist, dass wir gemeinsam am Ziel arbeiten – nämlich die Destination nachhaltig weiterzuentwickeln – und gemeinsam Visionen zu haben.


FLURIN RIEDI

Flurin Riedi wuchs in Wassen im Kanton Uri auf. Nach einer Lehre als Elektromonteur setzte er ein paar Jahre auf Sport. Während dieser Zeit wurde das Projekt von Samih Sawiris publik. «Ich wollte unbedingt dort dabei sein, es hat mich fasziniert», erklärt der 37-Jährige. Als Skilehrer arbeitete er drei Winter lang in Andermatt, bevor er das Angebot annahm, beim Verkehrsverein ein Praktikum zu absolvieren.

«Es hat mich gepackt», erzählt er. Er wollte im Tourismus Fuss fassen und zielstrebig wie er ist, setzte er sich ein ehrgeiziges Ziel: «Ich will einmal Tourismusdirektor werden.» Er eignete sich das KV-Handwerk an und absolvierte die Vorprüfungen, damit er die Tourismusfachschule besuchen konnte. Ein Jahr darauf begann er ein Studium an der HSG St. Gallen.

So lernte er bei Andermatt-Urserntal-Tourismus das Handwerk von der Pike auf. Er arbeitete im Tourismusbüro an der Front, zeichnete verantwortlich für Produktmanagement und Marketing und hatte später auch den Bereich Infrastrukturen unter sich. Er sei dann relativ kurzfristig angefragt worden für den Job als Tourismusdirektor und habe – ohne Erfahrung auf diesem Gebiet – zugesagt. «Ich habe mich selber ins kalte Wasser verfrachtet.» Er habe in dieser Zeit sehr viel gelernt. Während fast zehn Jahren hat er das ganze Projekt sehr eng begleiten und mitaufbauen dürfen. «Es war spannend, eine Destination auf der grünen Wiese aufbauen zu können.»

Er habe sich in den zehn Jahren in Andermatt ein gutes Rüstzeug holen können, das ihm jetzt entgegenkomme, so Riedi. Für ihn sei es spannend gewesen, aber wenn er die beiden Regionen vergleicht, zieht er heute das Saanenland vor: «Ich bevorzuge die liebliche Landschaft des Saanenlands, das milde Klima und die kulturelle Vielfalt.»

Flurin Riedi ist verheiratet und Vater von zwei kleinen Kindern.

ANITA MOSER

 


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