Die gesamte Volkswirtschaft ist betroffen

  31.12.2019 Region

Der Wintertourismus macht einen beachtlichen Teil der Wirtschaftskraft Gstaads aus. Wie reagieren die hiesigen Institutionen auf die extremen Voraussagen der Klimatologie?

SARA TRAILOVIC
Wie lange sich der Unterhalt der Gstaader Pisten und Lifte noch lohnt, ist schwer einzuschätzen, wenn die gesamte Volkswirtschaft einer Region vom Wintertourismus abhängt. Der Wintertourismus schafft unzählige Arbeitsplätze und kurbelt die Wertschöpfung der Dienstleistungen und Waren Gstaads an. Dies betont auch Matthias In-Albon, Geschäftsführer der Bergbahnen Destination Gstaad AG, wenn er davon spricht, dass «alleine die Weihnachtszeit 25 Prozent des Jahresumsatzes ausmacht.» Hätten sie vor drei Jahren nicht in die Beschneiungsanlagen investiert, wäre nun kein lückenloser Betrieb um diese Zeit möglich. Und dies sei unausweichlich, um in der Branche heutzutage konkurrenzfähig zu bleiben.

Wertschöpfungsstarker Winter
Die Gemeindeversammlung Saanen hat der Bergbahnen der Destination Gstaad (BDG) im April 2018 gut 19 Millionen Franken für die Jahre 2018 bis 2022 zugesprochen (3,8 Millionen pro Jahr). 1,8 Millionen des Geldes fliessen jährlich in die Winterinfrastruktur, darunter die künstliche Beschneiung und der Unterhalt der Pistenmaschinen. Der Wintertourismus soll damit attraktiv bleiben, denn die Bergbahnen der BDG erzielen fast ihren ganzen Umsatz im Winter – im Geschäftsjahr 2017/18 waren es 90 Prozent. Dass Gstaad finanziell unterstützt wird, ist keine Ausnahme: Die grosse Mehrheit der Schweizer Skigebiete kann mittlerweile nur noch mit Hilfe von Leistungsbeiträgen überleben. Dabei tragen auch Bund und Kantone einen beachtlichen Beitrag zum «Erhalt von Strukturen in Berggebieten» bei.

Nicht nur im Bergtourismus, sondern auch in der Hotellerie zeigen sich saisonale Differenzen. «Die Zahlen der Logiernächte im Sommer und Winter sind zwar relativ ausgeglichen», informiert Flurin Riedi, Geschäftsführer von Gstaad Saanenland Tourismus (GST), «allerdings sind im Sommer die Preise eher tiefer und die Wertschöpfung daher kleiner.» Einer der Gründe dafür ist, dass anspruchsvolle und konsumfreudige Gäste eher während der kalten Saison ins Saanenland reisen, um die romantische Winterlandschaft zu geniessen. Mit dieser Absicht mietet oder kauft die Klientel auch Chalets und Ferienwohnungen, was den hiesigen Immobilienmarkt prosperieren lässt. Dies könnte sich bald ändern …

Strategie Ganzjahrestourismus
Dass sich der Klimawandel auf das Gästeverhalten auswirken wird, dessen ist sich auch Flurin Riedi bewusst. «Ich sehe die Zukunft im Ganzjahrestourismus», sagt er im Gespräch mit dem «Anzeiger von Saanen». «Der Winter bleibt aber bis auf Weiteres unentbehrlich.» Er ist jedoch der Meinung, dass schneesichere Angebote für Nichtskifahrer ausgebaut werden sollten. Das macht nicht nur aus klimatologischer Sicht Sinn. Laut der Denkfabrik Avenir Suisse machen nämlich auch die Digitalisierung und die Überalterung der Gesellschaft dem Wintersport zu schaffen. Riedi: «Wir überlegen uns, gewisse Winterwanderwege in die Höhe zu verschieben.»

Nach den Einschätzungen des Tourismusexperten werde das Thema Klimawandel strategisch noch zu wenig aktiv angegangen. «Wir müssen visionär denken und uns überlegen, wo wir in 20, 30 Jahren stehen und was es dazu braucht», betont er. «Bei der Überarbeitung der Destinationsstrategie, welche 2020 ansteht, werden wir konkrete Massnahmen definieren. Ausserdem wollen wir neue Messsysteme einführen, durch welche die Wertschöpfung des Tourismus – auch in Bezug auf Sommer und Winter – genauer analysiert werden können.»

Auf dem Gletscher bleibt der Schnee
Gletschergebieten wie dem Glacier 3000 wird es in absehbarer Zeit nicht an Schnee mangeln. Bernhard Tschannen, CEO des Glacier 3000: «Unser Gebiet hat schon immer von Schneesicherheit profitiert, deshalb dauert der Winterbetrieb auch von November bis Mai.» Dies soll laut Tschannen auch so bleiben. «Wir finden es wichtig, dass der Region ein Gletschergebiet zur Verfügung steht.» Die Besucherzahlen seien in den letzten Jahren stabil geblieben. «Wie viele Leute in unser Gebiet kommen, hängt stark von den Schneebedingungen und dem Wetter in den tieferen Gebieten ab.»

Da sich das Skigebiet auf über 3000 Metern befindet, könnten die durchschnittlichen Schneemengen hinsichtlich der Klimaszenarien sogar grösser werden. Welche Richtung schlägt der Glacier 3000 ein? «Wir möchten unser Angebot weiter ausbauen», so Tschannen. Nach der Eröffnung der Piste Red Run befindet sich nun «Pierres Pointes» in Planung. Durch einen Verbindungstunnel unterhalb der SAC Hütte Cabane des Diablerets soll eine Piste bis zur Talstation Col du Pillon entstehen. Da Pro Natura Einsprache erhoben hat, befinde sich der Glacier 3000 momentan noch in Verhandlungen, informiert CEO Tschannen. Es ist zu vermuten, dass dem Gletschergebiet längerfristig weniger Skitage zur Verfügung stehen werden, da die Klimaveränderungen das ohnehin schon raue Wetter dort verstärken könnten.

Vom Winter- zum Sommertourismus
Während im Unterland bald deutlich mehr Wetterextreme wie Hitzetage auftreten werden, darf die Destination Gstaad mit mehr angenehm warmen Sommertagen rechnen. Von Tropennächten geplagte Menschen dürften die kühleren Temperaturen sowie Badegewässer in den Bergen vermehrt aufsuchen. «Im Sommer war die tiefe Lage des Saanenlandes schon immer ein Vorteil, die Abende sind mild», so Flurin Riedi, «und anders als im Engadin kann man auch am späten Nachmittag im T-Shirt auf der Terrasse sitzen». Mit den steigenden Temperaturen werde sich die Sommersaison in Zukunft bis in den Oktober verlängern.

Das tönt an sich vielversprechend. Allerdings gibt es ein Problem dabei: die (volks)wirtschaftliche Lage. «Der Sommerbetrieb alleine ist ein Minusgeschäft und wird durch die Einnahmen des Winters finanziert», informiert Matthias In-Albon. Um den Ganzjahrestourismus trotzdem voranzutreiben, werden 2 Millionen Franken, also mehr als 50 Prozent der Leistungsbeiträge, für den Sommerbetrieb eingesetzt, speziell für die Finanzierung von neuen Anlagen und verlängerten Öffnungszeiten im Frühling und Herbst. «Der letzte Sommer war viel besser. Im Sinne des Leistungsauftrags von der Gemeinde haben wir unsere Aufgabe wahrgenommen und mit der Inszenierung des Rinderberges und der Wispile Schritte gemacht, mehr Leute auf den Berg zu bringen», betonte In-Albon im April dieses Jahres. Allerdings seien dadurch auch die Ausgaben höher gewesen. «Ziel muss ein kostendeckender Betrieb auch im Sommer sein», sagte Heinz Brand, Verwaltungsratspräsident der BDG AG, vergangenen Juli gegenüber dieser Zeitung, «aber das ist noch Zukunftsmusik.»

Anders sieht es beim Glacier 3000 aus. Bernhard Tschannen: «Die Fussgänger machen heute auf das ganze Jahr bezogen 70 Prozent gegenüber 30 Prozent Skifahrern aus.» Den erfolgreichen Ausbau des Ganzjahrestourismus innerhalb von ungefähr zehn Jahren führt der CEO auf neue Angebote wie den Peak Walk by Tissot und die Rodelbahn sowie auf die grossen Werbe- und Verkaufsanstrengungen zurück, welche unter anderem in Asien unternommen werden.

Verantwortung übernehmen
Trotz aller Anpassungen bleibt auch die Verantwortung, aktiv gegen den Klimawandel anzugehen. Laax hat 2017 einen Sieben-Punkte-Plan mit ehrgeizigen Zielen vorgelegt. Die Bündner Destination will durch umfassenden Naturschutz und 100 Prozent nachhaltige Ressourcen zum ersten CO2-neutralen Skiresort der Welt werden.

Die BDG habe Nachhaltigkeit ebenfalls in ihrer Strategie verankert, mache aber keine Marketinggeschichte daraus, so In-Albon. «Bei der Pistenpräparierung können wir den Wasserund Dieselverbrauch durch das Schneehöhenmesssystem kontinuierlich reduzieren.» Ausserdem wurden bei den neuen Eggli- und Saanerslochbahnen Fotovoltaikanlagen gebaut. «Es geht aber nicht nur um Umweltschutz, wir arbeiten nach dem CSR-Konzept.» Bei «Corporate Social Responsibility» handelt es sich um ein weltweit verbreitetes Konzept zur Unternehmensführung, wobei Nachhaltigkeit unter den drei Aspekten Soziales, Ökologie und Ökonomie betrachtet wird. In-Albon: «Das Wirtschaften soll die Bedürfnisse der Gegenwart und der kommenden Generationen befriedigen können.» Als Beispiele nennt er, dass die BDG dieses Jahr seit langer Zeit wieder eine Lohnerhöhung für die Mitarbeitenden durchführen konnte und in guter Qualität gebaut wird.

Auch der Glacier 3000 hat in Sachen Nachhaltigkeit kein mit Laax vergleichbares Konzept. «Wir versuchen aber, möglichst effizient zu arbeiten, um Maschinenstunden einzusparen», so Betriebsleiter Bernhard Tschannen und fügt ein Beispiel an: «Dadurch, dass wir die schwarzen Pisten nach Schneefall nicht gleich präparieren, sparen wir uns einen Tag Pistenarbeit.» Gleichzeitig erfreuten sich Skifahrer/innen an den sicheren Tiefschneepisten. Andererseits sei das Einebnen der Pisten nicht immer einfach. «Durch Planieren könnten wir viel CO2 sparen, aber das ist im felsigen Schutzgebiet kaum möglich», informiert Tschannen.

Wintertourismus bleibt unentbehrlich
Bergbahn- und Tourismusmanager wollen und müssen innerhalb ihrer Amtsperiode für zufriedene Gäste und schwarze Zahlen sorgen. «Wir beziehen die Temperaturerhöhung klar in unsere Strategien ein, aber Bergbahnen werden für Perioden von 30 bis 40 Jahren gebaut und bewilligt», sagt Matthias In-Albon. «Wir können nicht den gesamten Betrieb auf Klimaszenarien ausrichten, die in hundert Jahren mehr oder weniger eintreffen werden.»

In Anbetracht der enormen Wichtigkeit der Branche für das gesamte Saanenland ist also anzunehmen, dass die Institutionen und Gemeinden den Wintersport trotz prekärer Aussichten weiterhin unterstützen und aufrechterhalten. Wie lange sich das noch lohnt, muss immer wieder überprüft werden.


TEMPERATURANSTIEG

Das Saanenland liegt an der Grenze von Voralpen- und Alpen, gehört aber grundsätzlich zu Ersteren. Laut aktuellsten Voraussagen von MeteoSchweiz steigt die Durchschnittstemperatur in diesem Gebiet bis Mitte Jahrhundert im Sommer um rund dreieinhalb und im Winter um ca. zwei Grad. Dabei rechnen die Forschenden mit dem pessimistischen Emissionsszenario RCP 8.5, also damit, dass das Pariser Klimaabkommen nicht eingehalten werden kann und keine weltweiten Klimaschutzmassnahmen ergriffen werden. Gelingt es jedoch, den Anstieg der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre bis in 20 Jahren zu stoppen (Emissionsszenario RCP 2.6), würde sich der Temperaturanstieg auf 0,6 bis zwei Grad beschränken.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote