Gstaader Wintertourismus gerät ins Schwitzen

  31.12.2019 Region

Welche konkreten Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Tourismusdestination Gstaad? Der laufende Temperaturanstieg wird die Bedingungen für den Wintersportbetrieb deutlich verschlechtern. Gleichzeitig könnte der Sommer für Gäste attraktiver werden.

SARA TRAILOVIC
Wie zeigt sich der Klimawandel im Saanenland? Grundsätzlich gleich wie in der ganzen Schweiz: trockene, heisse Sommer und wärmere Winter mit mehr Niederschlägen in Form von Regen. Für Gstaad als Tourismusdestination könnten diese Szenarien spezifisch die Wintersaison beeinflussen: «Falls es nicht gelingt, die klimaschädlichen Emissionen zu reduzieren, dürfte die natürliche Schneedecke bis Ende des Jahrhunderts um bis zu 70 Prozent abnehmen und die Skisaison einen halben bis einen Monat später beginnen als heute. Nur noch oberhalb von 2500m ü. M. wird genügend Naturschnee für den rentablen Betrieb eines Skigebietes vorhanden sein», steht auf der Webseite des Schweizer Instituts für Schneeund Lawinenforschung (SLF). Schlechte Aussichten für die Tourismusdestination Gstaad, welche den Grossteil ihrer Einnahmen während der Wintersaison erwirtschaftet. Doch vorauf basieren die Klimaszenarien und wie wird sich der Klimawandel in der Region im Detail zeigen?

Mehr Niederschlag, weniger Schnee
Wie in der ganzen Schweiz wird auch hier mit niederschlagsreicheren Wintern gerechnet. Gleichzeitig soll die Nullgradgrenze bis Mitte Jahrhundert von 850 auf 1250 bis 1500 Meter ansteigen, wie das National Center for Climate Services (NCCS) prognostiziert. Das würde für Gstaad bedeuten, dass immerhin rund die Hälfte der Skigebiete mit mehr Neuschneetagen rechnen dürfte – richtig? Christoph Marty verneint: «Die Erwärmung ist insgesamt stärker als die Niederschlagszunahme.» Der Wissenschaftler arbeitet beim Schweizer Institut für Schnee- und Lawinenforschung und ist auf die Bereiche Schnee und Permafrost sowie Wintersport und Klima spezialisiert. «Nur Gebiete ab 3000 Metern dürfen im Verlauf des Jahrhunderts mit mehr Schnee rechnen.» Was dabei zu berücksichtigen sei, sind die raueren Wetterbedingungen in solchen Höhen.

«Auf 1000 bis 2000 Metern ist heute in Sachen Schnee noch keine grosse Veränderung bemerkbar», so Marty. Anders sieht es im Mittelland und dem unteren Teil der Voralpen aus. «Unterhalb von 800 Metern gibt es bereits heute sehr wenige Neuschneetage.» Das heisst Tage, an denen mindestens ein Zentimeter Neuschnee fällt. Doch in Anbetracht der steigenden Nullgradgrenze würden im Verlaufe des Jahrhunderts Gebiete zwischen 1500 und 2500 Metern – darunter auch die Destination Gstaad – die grössten Veränderung zu spüren bekommen, erklärt Marty. Bald bedeute für ihn Ende Jahrhundert – als Klimatologe müsse er langfristig denken. «Denn das Klimasystem ist träge und die politischen Entscheidungen noch träger.»

«Prekäre Winteraussichten»
Das hiesige Wintersportgebiet erstreckt sich von der tiefsten Talstation in Rougemont (973 Meter) bis zur höchstgelegenen Bergstation La Videmanette (2157 Meter). Bereits heute zählt Gstaad zu den weniger schneesicheren Gebieten, und dies könnte sich verschärfen. «Die Destination Gstaad zählt zu den Gebieten mit prekären Winteraussichten», schreibt die «Republik» Anfang dieses Jahres und zeigt in einer umfassenden Studie, welche Skilifte zukünftig noch rentieren werden (siehe Grafik). Um das Jahr 2060 dürfte nur noch der Lift Les Grouilles oberhalb von Rougemont auf rund 2000 Metern mit reinem Naturschnee befahrbar sein. Skifahrer müssten zwingend in das höher gelegene Les-Diablerets-Massiv ausweichen, schreibt die Republik und meint damit den Glacier 3000.

Kunstschnee schafft Abhilfe
«Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht sind Skigebiete mit Bergstationen auf rund 1600 Metern bereits heute bestenfalls ein Null-Summen-Geschäft – auch mit Kunstschnee.» Trotzdem geht der Experte für Klima und Wintersport davon aus, dass die künstliche Beschneiung weiterhin ausgebaut wird, denn «für Destinationen wie Gstaad ist der Wintersport Ankerpunkt für die gesamte Volkswirtschaft». Christoph Marty schätzt, dass die Beschneiung den Schneemangel mittelfristig gut auffangen kann. «Aber es werden immer grössere Kosten anfallen, um den Skibetrieb zu gewährleisten.» Für weisse Pisten würden dicke Wasserleitungen und grosse Speicherbecken nötig. «Solche Investitionen sind im Verhältnis zum zusätzlichen Stromverbrauch sehr teuer.»

Schnee als sensibles Phänomen
Im Vergleich zu gleich hohen Gebieten im Osten der Schweiz ist Gstaad weniger schneesicher. Und das obwohl die mittleren Schneemengen nicht stark variieren. Christoph Marty nennt als Grund dafür regionale Unterschiede: «Skigebiete auf ähnlicher Höhe wie Gstaad liegen in der Ostschweiz praktisch alle in den östlichen Voralpen, wo es im Winter normalerweise mehr Niederschlag gibt als im Saanenland.» Auf der anderen Seite könne das Saanenland tendenziell mit mehr Sonnenstunden rechnen.

Die Schneesituation ist nicht nur von der Temperatur, der Höhenlage und Niederschlagsmenge abhängig, sondern auch davon, ob sich die Pisten in Kaltluftseen befinden oder ob sie an Nord- oder Südhängen angelegt sind. Solche lokalen Phänomene führen in den Skigebieten Gstaad und Adelboden-Lenk regelmässig zu unterschiedlichen Schneeverhältnissen.

Veränderungen für die Natur
Der Klimawandel bringt nicht nur für den Tourismus viele Veränderungen mit sich, sondern vor allem auch für Natur und Landwirtschaft. Schon heute sind solche Einflüsse bemerkbar. So provoziert die Gletscherschmelze Bergstürze, Murgänge und Überschwemmungen. Auch mehren sich heftige Niederschläge im Sommer, da die wärmere Luft mehr Feuchtigkeit halten kann. Die anhaltende Hitze und Trockenheit machen den Agrarbetrieben schwer zu schaffen, obschon die steigenden Vegetationszonen den Ertrag in den Voralpen erhöhen könnten. Bachläufe trocknen aus und die Produktions- und Schutzfunktion der Voralpenwälder leidet unter dem Befall von Schädlingen wie Borkenkäfern, die an den wärmeren Temperaturen Gefallen finden.

Der Gstaader Wintertourismus kommt mit höchster Wahrscheinlichkeit ins Schwitzen. Allerdings wird sich dies nicht mit einem grossen Knall zeigen. Denn die Schneemengen unterliegen starken Schwankungen und sind sehr schwer abzuschätzen. «Einzelne Schneereiche Wintermonate sind auch in Zukunft möglich», so Christoph Marty. «Die Veränderungen geschehen nicht linear.» Es bleibt ausserdem zu hoffen, dass das Pariser Abkommen immerhin zum Teil eingehalten wird. In diesem Fall würden zwar trotzdem Veränderungen auf das Saanenland zukommen, allerdings stünde besonders der Wintertourismus vor deutlich weniger Herausforderungen.


NÄCHSTE MESSSTATION

Die nächste Klimastation liegt in Château-d’Oex. Obwohl das Dorf nur 12 Kilometer Luftlinie von Gstaad entfernt und auf ähnlicher Höhe liegt, zeigen sich in der Realität klare Unterschiede im lokalen Klima. So war beispielsweise Anfang November im Pays-d’Enhaut noch alles grün, als sich Gstaad schon tageweise im weissen Kleid präsentierte. Diese spezifischen Unterschiede im lokalen Klima bleiben auch in einem zukünftig veränderten Klima erhalten. Auf Klimakarten von MeteoSchweiz werden beispielsweise für Gstaad Mitte Jahrhundert 30 bis 40 Tage vorausgesehen, an denen mindestens ein Zentimeter Neuschnee zu erwarten ist. Für Château-d’Oex sind es hingegen nur 20 bis 30 Tage. Zu beachten bleibt aber, dass die Klimazukunft gerade auf der lokalen Skala mit grossen Unschärfen verbunden sind.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote