Wandergrüsse aus Chile

  31.12.2019 Serie

Martina Haller und Ivo Paroni aus Saanen sind im Abenteuerfieber. Sie starteten am 9. November im chilenischen Santiago und wandern südwärts. Die Route führt entlang des Greater Patagonian Trails, eines Fernwanderweges ab Santiago bis ganz in den Süden Patagoniens. Das Wanderwegnetz in Chile ist nicht systematisch ausgeschildert wie die Spazierund Wanderwege in der Schweiz. Das Paar orientiert sich anhand von GPS-Daten. Bisher sind sie 645 km gewandert und haben 30’658 Höhenmeter zurückgelegt. Einmal im Monat melden sie sich beim «Anzeiger von Saanen» per Whatsapp-Nachricht (siehe auch Ausgabe vom 6. Dezember).

Heute nehmen uns die beiden mit auf einen Wandertag. «Wir sitzen nach einer langen Etappe von sieben Tagen und 155 Kilometern gemütlich in einer Cabaña», sagt Ivo und übermittelt auch gleich noch Weihnachtsgrüsse.

Der Tag beginnt bei Sonnenaufgang
Tagwache ist bei Sonnenaufgang – in der Regel um etwa 6 Uhr. Martina macht Feuer. Zum Zmorge gibt es Tee mit Zucker, Tortilla-Fladen mit Manjar, einem süssen Brotaufstrich, einer Art Melasse. «Dulce de leche, wie man es in Spanien kennt, und karamelisierter Zucker», erklärt Martina. «Hueresüess und sehr nahrhaft», ergänzt Ivo. Bis sie abmarschbereit sind, dauert es eine bis eineinhalb Stunden. Alles muss wieder im Rucksack verstaut werden. Mittlerweile haben sie Routine. «Zuerst kommt das Mätteli, dann der Schlafsack, dann die Esswaren und die Kleider obendrauf.» Zwischen 7 und 7.30 Uhr geht es los. Dann wird marschiert und so alle eineinhalb bis zwei Stunden gibt es eine kurze Pause.
«Bei einfachem Gelände kannst du gut zwei Stunden am Stück gehen, wenn es von Anfang an bergauf geht, steinig ist oder du navigieren musst, bist du schon nach einer Stunde froh um ein Päusi», meint Ivo. In den Pausen trinken sie Wasser, Süssgetränke und essen kleine – ebenfalls süsse – Snacks. Nüsse, Güezi, Krackers. Ivo: «So Grümschelisachen halt.» – «Tagsüber essen wir alles, was wir in den kleineren oder grösseren Lädeli kaufen können», erzählt Martina. Ab und zu können sie in einem grossen Supermercado eine Trockenwurst, eine Delikatesse für zwischendurch kaufen. «Und wir gönnen uns den Luxus einer Frucht täglich.» Das sei bei achttägigen Etappen gar nicht so einfach. «Aber wir ziehen das durch.» Sie teilen sich meistens einen Apfel oder eine Orange. Mittagessen gekocht wird nicht. Das brauche zuviel Zeit und mit einem vollen Magen laufe es sich am Nachmittag weniger ring, erklärt Ivo. Es komme aber auch vor, dass sie von Hirten eingeladen würden «zu einem selber gemachten, lustigen Brötli, zu Wasser mit geröstetem Mehl und Zucker oder Mate-Tee mit sehr viel Zucker», erzählt Martina. «Das sind tolle Überraschungen, wenn man tagsüber gleichwohl etwas ‹Anständiges› essen kann.» Langsam würden die Früchte reif und so könnten sie auch mal von einem Kirschbaum oder wie kürzlich von einem Pflaumenbaum naschen, freut sich Ivo.

Jeden Tag ein anderes Haus …
Grundsätzlich sei von etwa 8 Uhr morgens bis ca. 16 Uhr Marschieren angesagt mit kleineren Pausen von 10 bis 15 Minuten, manchmal einer halben Stunde. Zwischen 17 und 18 Uhr erreichen sie in der Regel ihr Tagesziel. Manchmal früher, manchmal aber auch später. «Man findet nicht immer und überall schöne Nachtlager, aber wir haben auch recht hohe Ansprüche ans Lager», erklärt Martina. «Wir wollen in der Nähe eines Gewässers sein, damit wir uns waschen können und Wasser zum Kochen haben.»

Das Aufschlagen des Nachtlagers haben sie «fin e chly im Griff», so Ivo. «Unsere Nachtlager sind immer wunderschön», betont er. «Top», ergänzt seine Partnerin. «Wenn wir ankommen, ist die Prozedur immer in etwa die gleiche», so Ivo. «Es greift eine strenge Routine», schmunzelt sie. Ivo: «Ich baue das Haus respektive das Zelt auf. Martina geht in die Küche. Das ist auch jedes Mal spannend. Wir haben nicht nur jeden Tag ein anderes Haus, sondern auch eine andere Küche. Manchmal ist der Stein, worauf es gäbig geht, die Pfanne zu stellen, schon vorhanden, manchmal müssen wir uns etwas bauen. Manchmal gibt es schon Holz, manchmal müssen wir es noch suchen.» Martina: «Ist man auf vulkanischem Gestein, hat es gar kein Holz.» Dann kommt der Kocher zum Einsatz, der mit Kerosen oder Benzin betrieben wird.

Ein Drei-Gänger zum Znacht
Sie gönnten sich immer einen Drei-Gänger, erklärt Ivo. «Wir sind schon die Luxuscamper, wir sind aber auch in einem gewissen Alter – emel iech», grinst er. 43 sei er grad geworden, verrät er und bedankt sich für die Glückwünsche … «Es gibt stets eine Vorspeise, einen Hauptgang und ein Dessert. Und das ist high quality …», sagt Ivo mit einer gewissen Ironie. Zur Vorspeise gibt es Avocado-Brötli. Für jeden Tag Chiles Nationalfrucht mitzutragen, sei ebenfalls «e chly» Luxus, meint Martina. Möglichst leicht (Gewicht) und kurze Kochzeit ist für die Wahl des Hauptgangs ausschlaggebend. «Es gibt entweder Stock oder so fein-grusige Chinanudeln oder halbfertigen Reis.» Auch Couscous eigne sich gut oder Polenta – wenn möglich mit Parmesankäse. «Und zum Dessert gibt es immer die chilenischen Nationalgüezi», so Ivo. Die seien «cheibe fein» und es gebe sie in x Sorten. «Aber wir kaufen sie im Original. Das sind die Besten.»

Frühe Nachtruhe
«Wir gehen meistens früh zu Bett», verrät Ivo. «21 Uhr ist im Hiker-Leben schon Mitternacht.» Seine Partnerin schmunzelt: «Ämel bi de alte Hikers …» Ivo: «Meistens pennen wir sofort ein und wenn die Sonne aufgeht, erwachen wir, stehen auf und das Spili geht von vorne los …»

PD/ANITA MOSER


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