Zur Planung eines neuen Spitals Zweisimmen

  17.12.2019 Leserbriefe

Es ist mir als ehemaligem Mitglied der sogenannten Resonanzgruppe der grossen Projektorganisation GSS («Gesundheit Simme-Saane») nach Abschluss der Arbeiten ein Anliegen, Stellung zu beziehen. Dies war ja während des laufenden Prozesses nicht möglich, weil wir uns alle zum Stillschweigen verpflichtet hatten. Jetzt entfällt diese Verpflichtung, sodass ich Folgendes beitragen möchte:

Ausgangslage: Das vorliegende Projekt geht davon aus, dass das Spital Zweisimmen erhalten werden kann, was schon einmal eine gute Grundlage darstellt. Das passt zur Beurteilung der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern (GEF), welche das Spital als «versorgungsnotwendig» einstuft. Indessen hat das Projekt bei hoffnungsvollen Ansätzen erhebliche Mängel, welche die Umsetzung in Frage stellen. Die Hauptkritik besteht darin, dass momentan kein Projekt vorliegt, hinter das sich die Bevölkerung engagiert und vertrauensvoll stellen könnte.

Das Defizit des Spitals Zweisimmen – hausgemacht oder Schicksal?
Fürs Erste fällt auf, dass das Spital Zweisimmen unter Führung der Spital Thun Simmental AG (STS AG) seit 10 Jahren zunehmend unrentabel wurde und immer weiter in die roten Zahlen rutschte. Geschah das trotz oder wegen der Führung durch die STS AG? Schliesslich resultierte ein jährliches Defizit von rund sechs Millionen Franken. Wie ist das zu verstehen? Eigenartigerweise wurde dieses Defizit während der vorliegenden Planung nie näher untersucht. Es wurde im Gegenteil als gegeben hingenommen. Dabei hätten durchaus berechtigte Fragestellungen bestanden, wie beispielsweise:
– Wie hoch sind die Belastungen, welche durch die aufwendige Verwaltung der STS AG dem Spital Zweisimmen verrechnet werden? Vor Jahren kostete die Spitalführung in Zweisimmen samt Informatik und Personaladministration einen Bruchteil des jetzigen Aufwandes.
– Wie sieht die Rechnung der STS AG aus? Offensichtlich will sie ihre Zahlen nicht offen legen. Was bedeutet das? In der Planung hätte die einmalige Chance bestanden, Transparenz zu schaffen. Es wäre zu erwarten gewesen, dass im Laufe der doch sehr intensiven Arbeiten gewiefte Finanzexperten die Rechnung der STS AG gesichtet und auf ihre Plausibilität überprüft hätten. Indem dies nicht geschah, bleibt ein schaler Nachgeschmack. Immerhin profitierte die STS AG während Jahren massiv von der Zugehörigkeit des Spitals Zweisimmen zur Spitalgruppe, ohne dass der Gewinn in Zweisimmen reinvestiert worden wäre.
– Welche rentablen Leistungen gingen dem Spital Zweisimmen verloren, weil sie von Thun beansprucht und in Zweisimmen gezielt abgebaut wurden?
– Wem gehört das Land im Umkreis des Spitals Zweisimmen? Der entsprechenden Rosa-Haueter-Stiftung, dem Kanton oder der STS AG? Werden die Gemeinden allenfalls entschädigt, wenn jetzt «Alterswohnen Thun» das Land überbauen will?
– Wie ist es zu verstehen, dass das Spital Schuls, das in einer ähnlichen Umgebung mit einer vergleichbaren Bevölkerung angesiedelt ist und in der Jahresrechnung eine schwarze Null ausweist, nie als Referenzgrösse beigezogen wurde? Das wäre doch erhellend gewesen und hätte allenfalls einen grossen Erkenntnisgewinn bringen können. Schliesslich verfügte vor Jahren auch das Spital Zweisimmen über ein ausgeglichenes Budget. Was ist denn in der Zwischenzeit passiert?

Leistungsabbau in Zweisimmen – zugunsten des Spitals Thun
Auch das künftige Leistungsangebot des Spitals Zweisimmen wurde nie näher diskutiert. Man ging im Gegenteil davon aus, dass das in den letzten Jahren gängige Muster beibehalten würde, wonach das Spital Zweisimmen durch die STS AG weiterhin behindert werden sollte, eine bevölkerungszentrierte, allenfalls sogar finanziell interessante Versorgung aufzubauen. Das Spital Zweisimmen wurde vielmehr als Steinbruch benützt, aus dem man die kostbarsten Steine nach Thun abschleppte. Man könnte auch von «Ausnützung oder gar Missbrauch einer Schutzbefohlenen» sprechen. Im Einzelnen heisst dies beispielsweise:
– Ein Teil der Orthopädie wie z.B. die Endoprothetik wurde nach Thun verschoben. Damit wurde es verunmöglicht, in Zweisimmen künstliche Hüft- oder Kniegelenke einzusetzen.
– Desgleichen wurden gastroenterologische Untersuchungen wie Magenund Darmspiegelungen, die noch vor wenigen Jahren in Zweisimmen angeboten worden waren, unterbunden und nach Thun verlagert.
– Dem Urologen, der in Zweisimmen Prostataoperationen vorgenommen hatte, wurde von Thun aus die Zusammenarbeit verweigert, womit dieses Angebot entfiel.
Das Resultat dieser Art von zentralisierter Führung liegt jetzt offen zu Tage. Die Leistungen im Spital Zweisimmen wurden von der STS AG zugunsten des Spitals Thun systematisch abgebaut. Dementsprechend stiegen die Fallzahlen im Spital Thun, so gut wie der Ertrag in Zweisimmen abnahm. An eine unternehmerische Freiheit war in Zweisimmen schon längere Zeit nicht mehr zu denken. Auch war im Projekt nie die Rede davon, was die STS AG im Sinne einer «Rückführung von Raubkunst» wieder in Zweisimmen anzusiedeln bereit wäre. Die Bedürfnisse der Bevölkerung waren nie ein Thema. Die Finanzen allein bestimmten den Takt.

Die leidige Geschichte der Geburtshilfe/Gynäkologie im Spital Zweisimmen
Ein spezielles Thema ist die Geburtshilfe/Gynäkologe im Spital Zweisimmen, die vor Jahren gegen den massiven Widerstand der Bevölkerung geschlossen wurde. Zwar kann eine entsprechende Abteilung nicht kostendeckend betrieben werden, doch ist im Interesse einer bevölkerungsnahen geburtshilflichen Versorgung im Saanenland und Simmental im Spital Zweisimmen ein spitalzentriertes Angebot ergänzend zur Maternité Alpine unerlässlich, weil Thun zu weit entfernt ist. Die vorliegende Projektierung hätte sich dieser Problematik annehmen müssen. Das ist trotz mehrerer Interventionen nicht passiert, sodass jetzt keine belastbaren Zahlen vorliegen und nur das Bauchgefühl von «zu hohen Kosten» bleibt. Dabei hätten im Saanenland zwei Gynäkologinnen in eigener Praxis mit Zugang zu einer operativen Tätigkeit im Spital Zweisimmen bei vertretbarer Belastung durch den Notfalldienst ein durchaus gesichertes Einkommen. Es wäre auf jeden Fall keine Utopie, ein entsprechendes Angebot im Spital Zweisimmen neu aufzubauen. Das Ziel einer Planung kann ja nicht darin bestehen zu beweisen, dass es in Zweisimmen unmöglich sein soll, eine geburtshilflich/gynäkologische Abteilung zu betreiben, sondern darum, zu zeigen, wie man das bewerkstelligen möchte. Ob sich entsprechende Fachkräfte auch finden liessen, stünde allerdings auf einem anderen Blatt. Auch diese Frage hätte die Planung jedoch beantworten müssen.

Ist die Bevölkerung für das Spital Zweisimmen da oder das Spital für die Bevölkerung? Eine Vertrauensfrage
Für das vorliegende Projekt soll die Bevölkerung der Region jetzt pro Jahr und Person 100 Franken im Sinne eines Betriebsbeitrages oder einer Defizitgarantie an das Spital Zweisimmen bezahlen. Das wäre im Kanton eine einzigartige Ausnahme, die nur durch die Tatsache gemildert würde, dass man beispielsweise in Bern erheblich höhere Krankenkassenprämiewn bezahlt als im Simmental und Saanenland. Zusätzlich werden den Gemeinden die Aufwendungen für die GSS AG verrechnet, die im Moment nur ansatzweise bekannt sind. Vielleicht könnte man mit diesen Beträgen leben, wenn die Bevölkerung wenigstens Klarheit über die finanziellen Verhältnisse der STS AG hätte und ausserdem etwas dazu zu sagen hätte, was im Spital Zweisimmen neu angeboten werden sollte. Es kann doch nicht sein, dass an einem Bürotisch in Thun oder Bern an der zahlenden Bevölkerung vorbei abschliessend über das Leistungsangebot in Zweisimmen entschieden wird. Deshalb bleibt das Projekt bis jetzt ungenügend, weil es nicht darauf abzielt, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Es gilt eben ganz allgemein auch hier: Die Bevölkerung ist nicht für das Spital da, das Spital ist für die Bevölkerung da. Also soll die Bevölkerung mitreden können, welches Spital sie zu welchem Preis will.

Der Verwaltungsrat der GSS AG als Vorkämpfer für eine bevölkerungszentrierte Versorgung?
Schliesslich bleibt die Frage nach dem Verwaltungsrat der GSS AG. Es könnte einem angst und bang werden, was dieser alles zu regeln und zu klären hat, um schliesslich im Interesse einer bevölkerungszentrierten Versorgung gerüstet und gewappnet und allenfalls mit Haaren an den Zähnen in die bevorstehenden Auseinandersetzungen mit der STS AG zu ziehen.

UELI CORRODI, DR. MED., LENK UND HINTERKAPPELEN

Mitglied Vereinigung Stammgäste Lenk (VSL), ehemals Chefarzt Psychiatrie fmi-Spital Interlaken, Psychiatrischer Fachrichter am Obergericht des Kantons Bern.


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