Die Begründung gibt sehr zu denken

  10.01.2020 Leserbriefe

Der Verwaltungsrat des Menuhin Festivals verzichtet auf die Spende von Frau T. Sackler und stösst damit einen langjährigen Gast von Gstaad und begeisterte Unterstützerin des Festivals vor den Kopf. Die Begründung, öffentliche Kritik lasse eine weitere Partnerschaft nicht zu, gibt sehr zu denken, passt aber in die gut schweizerische Tradition des Anpassens und des Lavierens. Ebenso zu denken gibt, dass es Verwaltunsratsentscheide auf die Titelseite des «Anzeigers von Saanen» schaffen. So wird leider transparent, dass der oder die Antragsteller dem Gremium wohl nicht alle relevanten Informationen zur Entscheidfindung präsentiert haben. Tatsache ist, dass das von der Sackler-Firma Purdue hergestellte Produkt Oxycontin Millionen von Menschen in aller Welt geholfen hat, mit schweren und schwersten Schmerzzuständen leben zu können. Tatsache ist ferner, dass Oxycontin auf der ganzen Welt streng rezeptpflichtig ist (in der Produkteinformation wird auf das Suchtpotenzial hingewiesen), daher nur über Medizinalpersonen vermarktet werden darf und deshalb auch nur über diesen Kanal bei Patienten landen kann. Und Tatsache ist auch, dass letztlich jeder Mensch für sich selber verantwortlich ist. Auch wenn der Tod von 400’000 Süchtigen in der Tat tragisch ist, sie alle haben die Eigenverantwortung nicht wahrgenommen und sind auf illegalem Weg an Oxycontin gelangt. Soll man dafür die Herstellerfirma tadeln? Vielleicht ist es auch interessant zu wissen, dass zum Sackler-Imperium auch ein namhaftes medizinisches Verlagshaus gehört, dessen Publikationen nicht müde werden, über Chancen, aber auch Risiken von Pharmazeutika zu berichten. Zur aktuellen Situation: Im September 2019 hat Purdue aufgrund des immensen öffentlichen Druckes – der so nur in Amerika möglich ist – Insolvenz angemeldet und soll in eine Stiftung der öffentlichen Hand überführt werden. Damit ist die im Artikel genannte juristische Situation weitgehend geklärt; inwieweit die Familien Sackler von der amerikanischen Justiz belangt werden, ist noch offen. Wenn die Schlussbemerkung im Artikel stimmt, dass auch «die Politik» in dieser Angelegenheit Druck gemacht haben soll, ist das der Gipfel der Doppelmoral: Die Familien Sackler haben an bester Lage in Gstaad Dutzende von Millionen in Liegenschaften investiert. Dieses Geld wurde von der lokalen Bauindustrie, von der Gemeinde, von «der Politik» dankbar und klaglos entgegengenommen! Und letztlich: Sowohl im Metropolitan Museum in New York wie auch im Louvre wurden ganze Flügel nach der grosszügigen Spenderfamilie Sackler benannt. Und da ging es wohl um mehr als um 25’000 Franken. Einem Gstaader Gast aufgrund einer noch laufenden Angelegenheit in fernen Landen das Odium der Unredlichkeit anzuhängen, steht niemandem zu.

JÜRG MORANT, GSTEIG


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