Wer bin ich? Lassen Sie sich mit mir auf eine Erzählung ein?

  28.02.2020 Kirche

Eben noch war alles eitel Sonnenschein: Wo Jesus hinkommt, strömen die Massen zusammen, um ihn zu sehen und zu hören. Wunder werden von ihm erzählt: Vor ein paar Tagen hat er 5000 Menschen mit Brot versorgt; einen Gehörlosen hat er geheilt und jemanden, der blind war. Seine Anhänger sind begeistert. «Du bist der Christus», sagt Petrus zu Jesus. «Du bist der Messias, der, den Gott eingesetzt hat als König über die Welt.»

Petrus sieht wohl in diesem Augenblick die Zukunft schon vor sich: Zusammen werden sie durch das Heilige Land ziehen und die Welt verändern. Sie werden die Kranken gesund machen, die Gefangenen befreien. Sie werden alle Menschen davon überzeugen, dass ein Leben voller Liebe möglich ist. Die Menschen werden lernen, so zusammenzuleben, wie Gott es will. Der Triumphzug des Guten hat begonnen.

Bisweilen wird Menschen, die glauben, vorgeworfen, sie seien naiv. Der Glaube verführe dazu, vor der Realität zu flüchten. Verschliesst auch Petrus die Augen davor, wie die Welt funktioniert? Jesus holt ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Er sagt: «Ich muss vieles erleiden.» Jesus ist sehr realistisch. Er schätzt die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse richtig ein und ahnt, was geschehen wird: Er wird getötet werden.

Die Geschichte hat ihm recht gegeben. Und die Geschichte zeigt auch, dass das, was mit Jesus geschehen ist, bis heute unsere Wirklichkeit ist. Noch immer ist es an vielen Orten auf der Welt gefährlich, die Massen zu mobilisieren. Es kann das Leben kosten, Brot und Freiheit für das Volk zu fordern. Wer anderen Menschen die Augen öffnet und sie dazu befähigt, ihre Situation klar zu sehen, läuft oftmals Gefahr, sich Todfeinde zu machen. Jesus besteht darauf, dass wir die Realität richtig einschätzen. Die Welt wird sich nicht plötzlich völlig verändern.

Was mag in Petrus vorgehen in diesem Augenblick? Dem Christus nachzulaufen, dem Gesandten Gottes, der die Welt endlich wieder auf den rechten Weg bringen wird – das ist eine Sache. Mag sein, dass dies schon schwer genug ist. Mag sein, dass Petrus noch die Worte seines Vaters im Ohr klingen: «Das ist doch nur ein Idealist. Wie will ein einzelner Mann, der ständig von Liebe redet, die Welt retten? Bleib hier und hilf mir mit den Fischen!»

Aber eine ganz andere, noch viel schwierigere Sache ist es, mit jemandem auf dem Weg zu sein, der aufzugeben scheint. Der sich offenbar den Behörden stellen und sich sein sicheres Todesurteil abholen will.

Petrus nimmt Jesus beiseite und versucht, ihn zum Schweigen zu bringen. Manchmal kann uns die Realität beinahe gänzlich erdrücken. Das ist ganz und gar menschlich.

Jesus spürt, wie gross die Versuchung für seine Jünger ist, es genauso zu machen. Die Versuchung, sich die Welt schön zu reden; die Versuchung, sich an Hoffnungen zu klammern, von denen man eigentlich wissen müsste, dass sie unrealistisch sind. Diese Versuchung ist so gross, dass sie fast wie eine eigene Macht erscheint. Der Name für sie ist Satan, «Verführer». Aber Jesus lässt nicht zu, dass sie von Petrus Besitz ergreift. «Fort mit dir, Satan, hinter mich! Denn nicht Göttliches, sondern Menschliches hast du im Sinn.» So ringt Jesus mit Petrus um die Wahrheit.

Jesus ruft das Volk zusammen und beginnt – auch dem Petrus – zu erklären, was es bedeutet, mit Gott auf dem Weg zu sein. Dass dieser Weg nicht einfach ein Triumphzug ist. «Wenn einer mir auf meinem Weg folgen will», sagt Jesus, «verleugne er sich und nehme sein Kreuz auf sich.»

Wer Jesus nachfolgen will, der soll nicht mehr seine eigene Person in den Mittelpunkt stellen. Auch Jesus kennt sich selbst nicht mehr, seit er mit Gott auf dem Weg ist. Eigentlich ist er ja einfach ein Zimmermann, ein Mensch wie alle anderen, der sich so seine Gedanken macht. Der Sohn der Maria und eines gewissen Josef, ein guter, doch – wie es manchmal scheint – etwas altkluger junger Mann.

Gott aber hat mehr in ihm gesehen, er hat ihn ausgewählt: «Du gehörst zu mir. Du Stallkind, du Zimmermann, du verletzlicher, sterblicher Mensch – so wie du bist, bist du mein Christus.» Und Jesu Sicht auf sich selbst hat sich verändert, er hat sein Kreuz auf sich genommen, er weiss, dass der menschengemachte Tod am Kreuz zu seinem gottgewollten Leben gehört.

Und jetzt, wo Jesus sich an die Menschen wendet, ist er sich sicher: Auch all die anderen tragen das Kreuz. Gott sieht mehr und etwas anderes in ihnen als sie selbst. Er sagt: «Wenn einer mir nachfolgen will, nehme er sein Kreuz auf sich. So folge er mir.»

Wer sich so auf den Weg mit Gott macht, der wird sich selbst fragen: «Wer bin ich? Wohin läuft mein Leben? Bin ich vor allem von den Verpflichtungen gegenüber meinen Angehörigen gezeichnet? Bestimmt mich meine Arbeit? Bin ich meinen Ängsten unterworfen? Was ist das Wichtigste in meinem Leben? Wen sehe ich in mir und wen sieht Gott in mir?»

Das sind Fragen nach der Wahrheit über uns selbst. Genauso wie die Fragen nach der Wahrheit über die Welt können sie einen ganz schön durcheinanderbringen. Man kann das Gefühl bekommen, sich selbst gar nicht mehr zu kennen. Das Leben, das man bisher geführt hat, wird in Frage gestellt; das kann einen Menschen ängstigen.

Auch Petrus ergeht es kaum anders. Vielleicht hat er sich in diesem Moment gefragt, ob er nicht nach Hause zurückkehren und sein altes Leben weiterführen sollte. Das mit Jesus wäre dann nur eine Unterbrechung, eine Irritation allenfalls, gewesen, um dann doch jeden Tag mit seinem Vater auf den See hinauszufahren und Fische zu fangen, sich um seine Verwandtschaft zu kümmern und sicher und überschaubar zu leben.

Vielleicht denkt Petrus auch: «Wenn Jesus wirklich hingerichtet wird, dann werden die Leute über mich lachen, weil ich ihm nachgelaufen bin. Besser ich kehre in mein altes Leben zurück, bevor es zu spät ist.»

Aber Jesus redet schon weiter: «Wer sein Leben retten will, wird es verlieren, wer aber sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, wird es retten.»

Petrus wägt ab: Kehrt er wieder nach Hause zurück, hat er nichts mehr auszustehen. Und dann braucht er nicht mehr darüber nachzudenken, wer er eigentlich ist. Er kann sein Leben so weiterführen, wie es immer war und dann ist er wer: Petrus, der Sohn seiner Eltern, der Ehemann, Petrus, der Fischer und so weiter.


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