«Es ging nur um 70 oder 77 Prozent»

  24.03.2020 Saanenland

Im Steuerjahr 2020 werden im Kanton Bern die amtlichen Werte für nichtlandwirtschaftliche Gebäude erhöht. Mit zum Teil massiven Auswirkungen, speziell im Saanenland. Der Grosse Rat habe die Erhöhung nicht verhindern können, sondern höchstens abschwächen, sagt Grossrat Hans Schär.

ANITA MOSER
In der Märzsession 2017 hat der Grosse Rat per Dekret eine Allgemeine Neubewertung der nichtlandwirtschaftlichen Grundstücke und Wasserkräfte per 2020 angeordnet. Er legte dabei einen Ziel-Medianwert von 70 Prozent fest (amtlicher Wert in Prozenten des Verkehrswertes). Das Bundesgericht hat die entsprechende Bestimmung mit Entscheid vom 9. August 2019 aufgehoben, weil es für die Bestimmung dieses Zielwertes im Dekret keine genügende gesetzliche Grundlage im Steuergesetz gab. Der Grosse Rat hat deshalb in der Wintersession 2019 in erster Lesung den Artikel 182 Absatz 1 des Steuergesetzes angepasst und damit die geforderte gesetzliche Grundlage geschaffen. Neu darf der Grosse Rat im Dekret zur Allgemeinen Neubewertung 2020 auch den Ziel-Medianwert festlegen. In der Frühlingssession hat er diesen auf 70 Prozent festgelegt. Und zwar äusserst knapp mit 77 zu 74 Stimmen und gegen den Willen des Regierungsrates, der am Ziel-Medianwert von 77 Prozent festgehalten hatte.

Umstrittene Höhe der Neubewertung
Der Regierungsrat befürchtet, gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts, dass ein Ziel-Medianwert von 70 Prozent nicht verfassungskonform wäre, weil damit Grundstücke gegenüber beweglichem Vermögen steuerlich zu stark bevorzugt würden.

Beschlossene Sache
Für das Saanenland hat die Erhöhung der amtlichen Bewertung massive Folgen. Im Durchschnitt rechnet man mit einer Erhöhung um den Faktor 2,5 bis 2,7. In zwei Leserbriefen wurde der Grosse Rat aufgefordert, die Entscheidung zu überdenken und den amtlichen Wert im Saanenland nicht so übermässig zu erhöhen.

Hans Schär, man hat von Ihnen erwartet, dass Sie sich für die einheimischen Eigenheimbesitzerinnen und -besitzer einsetzen in Bern.
Ich verstehe den Unmut. Aber der Grosse Rat hatte keine Handhabe, die Erhöhung rückgängig zu machen oder tiefer anzusetzen.

Weshalb nicht?
Der Grosse Rat hatte die Neubewertung 2017 beschlossen. Es ging in der Märzsession 2020 nur um die Höhe des Ziel-Medianwertes. Der Regierungsrat wollte 77 Prozent, der Grosse Rat hat sich gegen dessen Willen für 70 Prozent ausgesprochen.

Weshalb sind die Auswirkungen im Saanenland so massiv?
Der Kanton Bern hat die Amtlichen Werte seit 1999 nicht nachgeschätzt und die Steuerverwaltung musste einen Weg suchen, einen Medianwert von 70 Prozent zu erreichen. Als Berechnungsgrundlage dienten alle Liegenschaftshändel in den Jahren 2013 bis 2016. Alle anderen Liegenschaften wurden nicht miteinbezogen. Deshalb sind die Auswirkungen im Saanenland so massiv. Man darf aber nicht vergessen: Viele haben auch davon profitiert, dass die Amtlichen Werte seit mehr als 20 Jahren nicht angepasst wurden.

Wie haben Sie persönlich gestimmt?
Wie gesagt, es ging nur um 70 oder 77 Prozent. Ich habe für 70 Prozent votiert und dies auch am Rednerpult vertreten.

Mit welchen Argumenten?
Ich bin mit der Berechnungsformel für die neuen Bewertungen nicht einverstanden. Es kann doch nicht sein, dass eine Liegenschaft eines «normalen» Bürgers, der neben einem Milliardär wohnt oder in derselben Gemeinde, so unverhältnismässig hoch eingeschätz wird. Nach Rücksprache mit dem Steuerexperten der Steuerverwaltung wurde mir jedoch versichert, dass alle Liegenschaften im Saanenland genau angeschaut und individuell bewertet wurden. Ich bin gespannt.

Was raten Sie den Liegenschaftsbesitzern?
Zurzeit können wir nur abwarten. Sobald wir eine neue Schätzung verfügt bekommen, können wir abwägen, ob diese angemessen ist oder nicht. Falls nicht, kann man innerhalb 30 Tagen Einsprache erheben.

Anmerkung der Redaktion: Die neuen amtlichen Werte werden den Eigentümerinnen und Eigentümern im Zeitraum von Mai bis September 2020 eröffnet. Wir werden in einer der nächsten Ausgaben das Thema vertieft beleuchten.


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