«Man fühlt sich als Täter …»

  27.03.2020 Interview

Zahlen dazu, wie viele Personen im Saanenland sich mit dem Coronavirus infiziert haben oder wie viele positiv auf das neue Virus getestet wurden, sind keine bekannt. Der «Anzeiger von Saanen» durfte sich aber mit einer einheimischen Person, die vor knapp zwei Wochen das positive Testergebnis erhalten hatte, unterhalten. Zum Schutz dieser Person wird deren Name nicht genannt.

ANJA MOOSMANN

Wie geht es Ihnen? Gelten Sie als geheilt?
Es geht mir sehr gut. Ich befinde mich nun seit gut zehn Tagen in Selbstisolation und halte mich in meinen vier Wänden sehr aktiv. Nebst einem Yogakurs versuche ich, jeden Tag auf dem Hometrainer Rad zu fahren. Die zweite Frage ist für mich viel schwieriger zu beantworten! Ich fühle mich geheilt und gemäss BAG ist man zehn Tage nach dem positiven Testergebnis und 48 Stunden, nachdem man symptomfrei ist, wieder aus der Isolation entlassen. Bislang wird nicht getestet, ob man geheilt ist. Man kann wohl davon ausgehen, dass man nach der Genesung resistent gegen den Coronavirus ist. Gerüchte über Wiederansteckungen wurden meist widerlegt.

Wissen Sie, wie und wo Sie sich mit dem Coronavirus angesteckt haben?
Keine Ahnung! Wie die meisten Leute habe ich in den Wochen zuvor versucht, die Regeln des BAG zu befolgen, hatte auf das Händeschütteln verzichtet und nur im nahen Umfeld engen Kontakt gehabt. Am Freitag vor Ausbruch – als klar war, dass nun auch die Schulen schliessen würden – hatte ich einen Termin sogar mit Maske wahrgenommen. Einen Tag danach kam es dann zu den ersten Symptomen.

Welche Symptome hatten Sie?
Das eindeutige Zeichen scheint derzeit der Verlust des Geschmacks. Das war auch bei mir so. Und daraufhin Fieber und Husten.

Weshalb haben Sie sich testen lassen? Gehören Sie zur Risikogruppe?
Als mein Fieber auf über 39,5 Grad stieg, durchlief meine Partnerin die Anweisungen des BAG auf dessen Webseite. Ich konnte nicht ausschliessen, dass ich unter Bluthochdruck leide, und so ging es weiter in einer Telefonschlaufe bis zum anschliessendem Termin im Spital.

Wie war das Testvorgehen? Waren Sie beim Arzt oder im Spital zum Testen?
Es lief genau gemäss Schema des BAG ab. Der Test wurde in der Garage des Spitals Zweisimmen gemacht. Die Überprüfung des Blutdrucks mit der Bestätigung, dass dieser normal sei, half mir über die erste Angst und Ungewissheit hinweg.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie das Testergebnis hatten?
Das Testresultat wurde mir nach eineinhalb Tagen telefonisch bestätigt. Da befand ich mich bereits in Selbstisolation.

Als Sie vernommen hatten, dass Sie positiv sind, was mussten Sie tun?
Ein Merkblatt des Arztes auf der Webseite des BAG beschreibt die Selbstisolation. Meine Partnerin und mein Sohn haben sich ebenfalls selber isoliert und die Zeit symptomfrei durchgehalten. Ich habe von mir aus aber auch andere Leute informiert, damit der Ernst der Lage erkannt wird. Dies hatte ich aber brutal unterschätzt! Sofort wusste es das ganze Dorf und reagierte mit allem anderen als mit Mitleid. Man fühlt sich als Täter und die Leute reagieren beängstigt. Dabei sollte sich doch jeder so verhalten, als ob er Träger des Virus ist, denn niemand ist vor ihm gefeit!

Wurden die Personen, welche Kontakt mit Ihnen hatten, ebenfalls informiert und getestet?
Der Arzt hat nur mich informiert. Längst ist die Zeit vorbei, wo man die Infektionsketten überwachen kann. Und es sollten sich nur Risikopatienten mit Symptomen testen lassen.

Gab es gesundheitliche Komplikationen?
Bei mir kaum. Ich bin fit und halte mich mit viel Sport gesund. Ich hatte nie Atemprobleme und fühle mich wieder gesund und bin wohl immun …

Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert, dass Sie positiv getestet wurden?
Meine Familie und Freunde mit Trost und Zuversicht.

Wie fühlt man sich als einer der – glücklicherweise noch – wenigen in der Schweiz, die sich mit dem neuen Virus infiziert haben?
Zuerst sehr alleine! Aber derzeit sehr zuversichtlich. Es ist ein gutes Gefühl, es hinter sich zu haben, keine Angst mehr haben zu müssen. Man geht davon aus, dass man als Immuner auch nicht mehr Überträger ist, was wichtig ist. Woher will man heute wissen, wie viele den Virus in sich tragen? Es kann sich nur ein ganz kleiner Prozentsatz testen lassen. Infizierte Kinder sind anscheinend fast symptomfrei, junge Erwachsene ebenfalls. Wer weiss, ob die kurze Erkältung, die ein Jugendlicher letzte Woche hatte, nicht doch das Virus war?

Welche Auswirkungen oder Konsequenzen hat die Infektion für Sie beruflich oder auch privat?
Keine. Ich bin glücklicherweise gesund und immun. Seit einer Woche arbeite ich – wie es derzeit ein jeder tun sollte – isoliert und mit viel Telefonieren und Skype. Homeoffice ist kein Problem.

Was wünschen Sie sich?
Ich hoffe, dass bald wieder Normalität einkehrt. Die Menschen wissen nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Ich hoffe, dass der nun gefundene genetische Bluttest bald ausreichend vorhanden sein wird, um flächendeckend testen zu können, und dass er viele positive Resultate mit sich bringt. Denn nur wenn wir eine breite Resistenz – mit einer Impfung oder einer Durchseuchung – haben, können wir zur Normalität zurückkehren.


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