Kinder wollen kindgerecht betreut werden

  17.03.2020 Saanen

Seit dem 1. August 2019 obliegt die Vermittlung von Tageseltern der Gemeinde Saanen und nicht mehr dem Chinderhuus Ebnit. Wer Tagesmutter oder -vater werden will, kann auf die Unterstützung der Gemeinde zählen.

KEREM S. MAURER
Berufstätige Eltern oder Alleinerziehende mit vorschulpflichtigen Kindern können ihren Nachwuchs tagsüber in der Kindertagesstätte (Kita) oder auch von Tageseltern betreuen lassen. Die familienergänzende Kinderbetreuung durch Tageseltern steht allen Kindern der Gemeinden Saanen, Gsteig und Lauenen offen. Als Voraussetzung gilt, dass die abgebenden Eltern in einer der drei Gemeinden steuerpflichtig sind und dass das Betreuungsangebot bei der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) gemeldet ist. Im Saanenland bietet das Chinderhuus Ebnit mit seinen Standorten Saanen und Gstaad ab Sommer 2021 insgesamt 25 Betreuungsplätze sowie 12 stationäre Notfallplätze für Schulkinder an. Hat es im Chinderhuus keine freien Plätze mehr, kommt das Kind auf eine Warteliste und hat gute Chancen, zum nächsten Schulbeginn in der Kita aufgenommen zu werden. Patric Bill, Institutionsleiter des Chinderhuus Ebnit, betont die Wichtigkeit dieser Warteliste. «Das Chinderhuus ist eine Non-Profit-Organisation, muss aber dennoch wirtschaftlich geführt werden», so Bill. Jedes Jahr im Sommer verliere die Kita infolge des Schulbeginns rund 30 Prozent ihrer Kinder. Diese Lücke könne durch die Kinder auf der Warteliste ausgeglichen werden. «Hätten wir keine Warteliste, wäre der Betrieb kaum finanzierbar.» Wir brauchen diese, damit wir vernünftig planen können», hält Bill fest. Wer als Eltern keine Wartezeiten in Kauf nehmen möchte, kann die Dienste von Tageseltern in Anspruch nehmen, sofern genügend Tagesmütter verfügbar sind. Diese werden seit letztem Sommer vom Sozialsekretariat Saanen rekrutiert und vermittelt.

Bürokratischer Aufwand ist keine Schikane
Nicht nur Frauen, sondern auch Männer können Tagesmutter bzw. Tagesvater werden. Der Einfachheit halber spricht man von Tageseltern. Wer seine Dienste dahingehend anbieten will, meldet sich bei der Tagesfamilienorgansiation (TFO) bei der Gemeinde Saanen und füllt ein entsprechendes Bewerbungsgesuch für Betreuungspersonen aus. Danach folgt ein Erstgespräch auf dem Sozialsekretariat der Gemeinde. Ebenfalls zum Bewerbungsdossier gehören Strafregisterauszüge aller im Haushalt der betreuungswilligen Person wohnhaften Personen über 18 Jahre sowie ein Meldeformular für die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde KESB. Diese registriert den Betreuungsplatz, damit er offiziell anerkannt ist. Was auf den ersten Blick wie ein grosser bürokratischer Aufwand aussieht, sei relativ einfach zu bewerkstelligen, sagt Daniel Bühler, Fachleiter Soziales bei der Einwohnergemeinde Saanen, und betont: «Wir bieten Hand beim Ausfüllen der Bewerbungsunterlagen.» Auch weist er ausdrücklich darauf hin, dass aufgrund der gesetzlichen Grundlagen dieser bürokratische Aufwand nötig sei. Eine TFO müsse die Wirkungsziele gemäss der kantonalen Verordnung über die Angebote zur sozialen Integration (ASIV) erreichen, damit die Betreuungsstunden subventioniert werden. «Diese Bürokratie verlangen nicht nur wir von der Gemeinde, und wir tun das auch nicht, um betreuungswillige Personen zu schikanieren. Wir wollen lediglich ein gutes Produkt anbieten, welches zum Wohl des Kindes ausgerichtet ist, den abgebenden Eltern einen guten Rahmen bietet und den Tageseltern eine Sicherheit gibt.»

Wie viel kosten Tageseltern?
In der Regel hat eine Betreuungsperson alle drei Kurse der TFO (Grundkurs Tageskinderbetreuung, Notfälle bei Kleinkindern und Weiterbildungskurs) absolviert. In dem Fall wird ihr von der TFO eine Betreuungsstunde mit 7.10 Franken vergütet. Ohne Kurse sind es 6.10 Franken. Dabei gilt, dass eine Betreuungsperson inklusive ihrer eigenen Kinder insgesamt maximal fünf Kinder betreuen darf. Wer auf der anderen Seite seinen Nachwuchs von Tageseltern betreuen lassen will, bezahlt je nach Einkommen und Familiengrösse zwischen 78 Rappen (Eltern mit geringem Einkommen) und 9.41 Franken (Eltern mit hohem Einkommen) pro Stunde. Zuzüglich die Kosten der Mahlzeiten, deren Preise sich nach dem Alter des zu betreuenden Kindes und Art der Verpflegung (Znüni, Zmittag etc.) richten. Auch müssen Kilometerentschädigungen für notwendige Fahrten mit dem Kind, welche die Tageseltern tätigen, vergütet werden. Allfällige Aufenthalte über Nacht werden pauschal verrechnet. Diese noch bis am dritten Juli 2020 gültigen Tarife können beim Sozialsekretariat Saanen angefordert werden.

Übernachten ist schwierig
Sobald es um Übernachtungen in Kitas geht, wird es schwierig. Die Nachfrage dazu sei nicht wirklich gross, aber vorhanden, weiss Patric Bill. Gerade für Elternpaare, die beide in der Gastronomie arbeiten und erst nach Mitternacht Arbeitsschluss haben oder in der Nachtschicht arbeiten. Dasselbe gilt auch für Pflegepersonal und im Nachtleben beschäftigte Personen. Das Übernachten in Kitas birgt für Patric Bill grosse Herausforderungen. Er nennt das Beispiel eines Ehepaars, bei dem beide erst nach Mitternacht Feierabend haben. Denn: Man spricht bei Kindern, welche eine Kita besuchen, von Kleinkindern. Ein zweijähriges Kind würde laut Bill normalerweise abends um 20 Uhr schlafen gehen und braucht für eine gesunde Entwicklung rund zwölf Stunden Schlaf. Es sei für ein Kleinkind entwicklungspsychologisch nicht empfehlenswert, dieses nach Mitternacht aus dem Schlaf zu nehmen, nur um es nach Hause zu bringen. Diese Kinder sollten die ganze Nacht und bis nach dem Frühstück in der Kita bleiben. Eine weitere Schwierigkeit sieht Bill in der Saisonalität des Übernachtungsbedürfnisses, das sich oftmals auf Hauptsaisons beschränke. «Wollten wir ein entsprechendes Angebot aufrechterhalten, müssten wir unsere Personalressourcen ebenfalls saisonal erhöhen. Ob dies gelingen würde, stellen wir in Frage. Ein Übernachtungsangebot ganzjährig zu betreiben, wäre wohl kaum finanzierbar.» Was rät Patric Bill denn Eltern, die in dieser Situation stecken? Diese sollten das Gespräch mit den Arbeitgebern suchen. Erfahrungsgemäss gebe es für die meisten Fälle eine kindgerechte Lösung. Kindgerecht auch in dem Sinne, sich frühzeitig mit der sich ändernden Situation auseinanderzusetzen. Tageseltern sind in dieser Hinsicht meist flexibler. Dort sind Übernachtungen nach Absprache und gegen eine Übernachtungspauschale möglich.

Chancengleichheit ist wichtig
Oft werde beim Thema Kinderbetreuung den Bedürfnissen der Kinder zu wenig Beachtung geschenkt, gibt Patric Bill in Anlehnung an geforderte Übernachtungen in der Kita zu bedenken. Eher gehe es vorwiegend um die Bedürfnisse der Eltern und deren Arbeitgeber. Wichtig und oberster Grundsatz der Kita sei es, den Kindern die selben Chancen zu ermöglichen, wie sie Kinder haben, die zu Hause aufwachsen und von den eigenen Eltern betreut werden, bis sie in den Kindergarten gehen. Das heisst auch, dass sie Deutsch sprechen können, weil dies eine wichtige Grundvoraussetzung sei, den Stoff in Kindergarten und Schule bewältigen zu können. Patric Bill nimmt auch die Tageseltern in die Pflicht, wenn es um fremdsprachige Eltern und Kinder geht. Natürlich sei es praktisch, wenn fremdsprachige Eltern eine Tagesmutter finden, die auch ihre Herkunftssprache spricht, räumt er ein, aber: «Wenn die Tagesmutter mit den zu betreuenden Kindern ausschliesslich in deren Landessprache spricht, haben die Kinder bei der Einschulung in den Kindergarten bereits einen nicht zu unterschätzenden sprachlichen Nachteil und damit nicht die gleichen Chancen, wie ihre Deutsch sprechenden ‹Gspändli›.»

Betreuungsgutscheine kommen im Sommer
Das Thema der Kinderbetreuung wird betroffene Eltern, Kinder, Tagesstätten und Tageseltern auch in Zukunft noch beschäftigten. Ab Sommer 2020 werden auch im Saanenland die sogenannten Betreuungsgutscheine eingeführt. Dann dürfen Eltern die Kita für ihre Kinder frei wählen und sind damit nicht mehr nur an lokale Angebote gebunden. Derzeit sind laut Daniel Bühler im Saanenland über die TFO drei Tagesmütter aktiv, die neun Kinder betreuen. Ausserhalb der TFO betreuen weitere Frauen über 20 Kinder. Das klingt jetzt nicht nach wahnsinnig viel Tagesmüttern? Bühler sieht diese Anzahl im Verhältnis zu der demografischen Entwicklung im «normalen Rahmen». Da es auch in den Schulen nicht stetig mehr Kinder gebe – die Schülerzahlen sind seit Jahren rückläufig – , gehe er nicht davon aus, dass es in naher Zukunft ein grosser Anstieg an Tageseltern geben werde. Ausser bei der Betreuung von Babys: Da wäre es laut Bühler wünschenswert, wenn noch mehr Tageseltern rekrutiert werden könnten. Neben Kita und Tageseltern gibt es im Saanenland noch die Waldspielgruppe und die Spielgruppe Spatzennest der reformierten Kirche mit Betreuungsangeboten für Kinder.


BETREUUNGSGUTSCHEINE FÜR KINDERTAGESSTÄTTEN UND TAGESFAMILIEN

Ab August 2020 können die Gemeinden Eltern Betreuungsgutscheine für Kindertagesstätten oder Tagesfamilien abgeben. Der Regierungsrat des Kantons Bern hat eine entsprechende Revision der Verordnung über die Angebote der sozialen Integration (ASIV) genehmigt. Die Betreuungsgutscheine ermöglichen einen effizienten Einsatz der Mittel und eine bedarfsgerechte Finanzierung der familienergänzenden Kinderbetreuung ohne Kontingente auf kantonaler Stufe. Indem der Kanton jeden Gutschein mitfinanziert, setzt er einen massgeblichen Anreiz zur Entwicklung eines bedarfsgerechten Angebots und der Gleichbehandlung der Eltern. Auch die Institutionen werden neu gleichbehandelt, indem die Eltern die Gutscheine im ganzen Kanton im zum System zugelassenen Angebot einlösen können. Soweit eine Medienmitteilung aus dem Regierungsrat. Die Einführung dieser Betreuungsgutscheine im Saanenland ist auf den Sommer 2020 geplant.

 


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