Neues Kranichgeld: auch für das Saanenland eine Chance?

  10.03.2020 Interview

Die Regionalwährung Kranich wird am 21. März offiziell lanciert. Der Präsident des Vereins «Der Kranich», Simon Rauber aus Jaun, beantwortet im Interview Fragen zur Funktion, dem Bedürfnis und den Erfolgsaussichten der neuen Regioscheine und erklärt, warum sie auch für das Saanenland eine Chance darstellen.

MARTIN GURTNER-DUPERREX
Offiziel wird sie am 21. März in Bulle lanciert: die neue Kranich-Regionalwährung. Es werden 1er-, 2er- 3er-, 5er-, 10er-, 20er- und 50er-Scheine herausgegeben, die von Bulle über das Pays-d’Enhaut bis ins Saanenland gültig sind. Ein Kranich wird zum Kurs von einem Schweizer Franken gehandelt. Der Trägerverein «Der Kranich» zählt 170 Mitglieder, die aus allen Sprachregionen, sozialen Schichten, Generationen und politischen Lagern stammen. Darunter sind 60 Unternehmen und sieben Gemeinden – wovon Rougemont und Château-d’Oex –, 300 Privatpersonen sind potenziell daran interessiert. Darüber hinaus unterstützen zahlreiche Vereine und Organisationen die Idee. Die Finanzierung wurde mit einem Crowdfunding gesichert. Auch der Bund unterstützt das Projekt im Rahmen des Förderprogrammes für nachhaltige Entwicklung auf lokaler Ebene.

Herr Rauber, wollen Sie den Schweizer Franken mit dem Kranich ersetzen?
(lacht) Nein, sicher nicht! Der Kranich soll komplementär und unterstützend zum Franken existieren, denn wir müssen wieder lokaler werden und bewusster zusammenarbeiten. Die Idee ist, den Kranich nur in der historischen Grafschaft Greyerz in Umlauf zu bringen, das heisst im Greyerzerland, im Pays-d’Enhaut und Saanenland. Im Übrigen ist der Kranich legal gesehen gar kein Geld, sondern ein Geschenkgutschein, der nicht nur in einem Geschäft gültig ist, sondern in einer ganzen Region.

Was möchten Sie denn mit dem Kranich bewirken?
Gerade in der aktuellen Lage sehen wir unsere Abhängigkeit von einer globalisierten Welt sehr deutlich. In solchen Zeiten kann eine Lokalwährung ein sicherer Anker sein. So wie die Biodiversität eine widerstandsfähigere Natur schafft, braucht unsere Finanzwelt eine Diversifizierung – im Gegensatz zum Euro als Beispiel einer Monokultur. Experten bestätigen, dass es eine Lokalwährung für Produkte und Leistungen des täglichen Lebens braucht und die nationale Währung für die restlichen, grossen Transaktionen.

Welche Ziele verfolgen Sie?
Wir haben drei Hauptziele: Wirtschaftlich sollen lokale Produkte, kurze Kreisläufe sowie das Handwerk, die einheimischen Geschäfte und Dienstleistungen gefördert werden. Sozial wollen wir den Zusammenhalt der Bevölkerung stärken, die Menschen zu einem nachhaltigen Konsum anregen und das Bewusstsein für unsere Verantwortung fördern. Schliesslich sollen saisonale und umweltfreundliche Produkte, Abfallreduzierung und Respekt vor der Natur im Vordergrund stehen.

Ende Jahr hat die Walliser Regiowährung Farinet Schiffbruch erlitten. Ein schlechtes Omen?
Natürlich ist dies enttäuschend. Der Farinet hatte jedoch ein zu grosses Einzugsgebiet, von Martigny bis Siders. Er konnte die Region nicht abdecken und hatte nicht genügend Ressourcen, dabei ist jedoch niemand ein Risiko eingegangen oder hat Geld verloren. Ich bin sicher, dass auch im Oberland das Bewusstsein steigt, dass es eine Änderung in unserem Finanzsystem und Verhalten braucht. Ähnliche Systeme wie Rekaschecks, Geschenkgutscheine oder Kumuluskarten funktionieren seit vielen Jahren sehr gut. Schliesslich binden auch die Grossverteiler ihre Kunden mit Gutscheinsystemen.

Stösst der Kranich auf viel Interesse?
Wir sind uns bewusst, dass die Nachfrage für ein Lokalgeld noch nicht da ist. Es braucht viel Sensibilisierungsarbeit, um die Bevölkerung zu überzeugen. Daher organisieren wir öffentliche Infoabende und praktische Ateliers. Auch im Saanenland warten die Leute noch ab. Sie beobachten die Entwicklung erst einmal kritisch – und das ist gut so. Gemäss einer Umfrage der Hochschule für Wirtschaft ist knapp jeder zweite Bürger bereit, Lokalgeld zu benutzen, wenn er den Nutzen dafür sieht. Wenn wir die Idee gründlich erklären, erwärmen sich sogar sehr skeptische Leute.

Sind schon Kraniche gedruckt und in Umlauf gebracht worden?
Ja, die Scheine sind frisch ab Druckerpresse eingetroffen und werden am 21. März in Umlauf gebracht. Je mehr Konsumenten die Kraniche benutzen, umso mehr wird in Umlauf gebracht werden – der Kunde entscheidet. Wir schätzen, dass im ersten Jahr etwa 50’000 Kraniche im Umlauf sein werden.

Wo kann man die Kranichscheine erwerben?
Bei den lokalen Tourismusbüros und einigen Geschäften. Die Liste der Unternehmen ist auf unserer Internetseite ersichtlich. Im Saanenland hat sich bis heute noch kein Geschäft eingeschrieben, auch das Tourismusbüro wartet noch ab. Ich bin trotzdem optimistisch, dass auch das Saanenland diese Chance zur regionalen Zusammenarbeit packen wird.

Akzeptieren trotzdem alle Geschäfte den Kranich?
Jedes Geschäft kann selber entscheiden, ob es Kraniche annehmen möchte oder nicht. Der Kunde kann auch mit Franken bezahlen und Kraniche als Rückgeld annehmen oder umgekehrt. Übrigens liegt bei einer gut laufenden Wirtschaft der Umsatz mit Lokalgeld nur bei etwa zwei bis fünf Prozent. Die Geschäfte müssen sich also keine Sorgen machen, auf den Kranichen sitzenzubleiben.

Wie sicher sind diese Scheine?
Ein unabhängiger Treuhänder sowie die Generalversammlung des Vereins werden den Umlauf des Kranichs kontrollieren. Für Fälschung besteht wenig Anreiz, da der Kranich ja nur lokal zirkuliert. Trotzdem weisen die Scheine fünf Sicherheitsstufen auf. Die Geschäfte haben die Möglichkeit, jederzeit selbständig Kontrollen durchführen.

Wie geht es nach der Lancierung weiter?
Das Projekt startet am 21. März erst richtig. Wir geben uns drei Jahre und ziehen danach Bilanz. Wir brauchen etwas Zeit, um das Netz aufzubauen und die kritische Masse zu erreichen. Unser natürlicher Wirtschaftsraum, das Einzugsgebiet der Saane, ist geradezu prädestiniert für eine Zusammenarbeit über die Kantons- und Sprachgrenzen hinaus.

www.derkranich-rg.ch

Der Kranich wird am Samstag, 21. März in Bulle offiziell lanciert. Am Mittwoch, 15. April um 19 Uhr finden auf dem Camping Heiti in Gsteig ein Workshop und am Donnerstag, 30. April um 19.30 Uhr die GV des Vereins in Château-d’Oex statt.


SIMON RAUBER UND DAS LIEBE GELD

Simon Rauber ist 35 Jahre alt, stammt aus Jaun und ist verheiratet. Er ist gelernter Zimmermann und Baumeister. Aufgrund negativer Erfahrungen hat er sich gefragt, welches eigentlich die Rolle des Geldes ist. Er hat gemäss seinen Worten entdeckt, dass Geld ein «bien public», also ein Allgemeingut ist und dem Menschen dienen sollte. Heute ist aber das Gegenteil der Fall: «Das Geld regiert die Welt – aber wer regiert eigentlich das Geld? Gleichzeitig muss die Transition zu einer nachhaltigeren Welt vollzogen werden. Sicherlich ist das Lokalgeld nicht die Lösung für alle unsere Probleme, man kann nicht alles auf einmal ändern, aber jeder kann nach seinem besten Willen und Gewissen handeln», kommentiert er. Die Idee, den Kranich zu kreieren, kam ihm 2016 nach der Ausstrahlung des Films «Tomorrow», in dem interessante und nachhaltige Projekte vorgestellt werden. Ende 2017 rief er zusammen mit einer Arbeitsgruppe den Verein «Der Kranich» ins Leben, dessen Präsident er ist.

 

 

 


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