Unterricht am Küchentisch statt im Schulzimmer

  31.03.2020 Schule

Ein überfülltes E-Mail-Postfach und Erklärungen per Live stream – zu Hause zur Schule zu gehen bringt nicht nur Ausschlafen und mehr Verantwortung mit sich.

SOLVEI TRUMMER
Donnerstag, 8.20 Uhr: Wie jeden Tag klappe ich meinen Laptop auf, logge mich ein und begrüsse meinen Musiklehrer, welcher bereits einen Videoanruf gestartet hat, um uns Akkorde auf der Gitarre zu zeigen. Was sich in den ersten Tagen befremdlich angefühlt hat, ist nach eineinhalb Wochen schon fast zur Normalität geworden.

Teams, E-Mail, SharePoint, OneNote – auch das Zurechtfinden zwischen den verschiedenen Konzepten meiner Lehrer war anfangs gar nicht so einfach. Doch ich habe sehr schnell Gefallen an der Selbstständigkeit und dem eigenen Einteilen der Aufgaben gefunden. Ich kann selbst Schwerpunkte legen, für welchen Auftrag ich mehr Zeit einsetzen möchte, wofür weniger.

Eine Menge Disziplin gefragt …
Unterricht wird normal nach Stundenplan geführt – nur eben zu Hause am Schreibtisch statt im Schulzimmer. Dieser basiert auf der Microsoft-App Teams, wo die Lehrkräfte Dokumente, Instruktionen und Videos hochladen können und welche ebenfalls Kommunikation in Form von Chat, Sprach- und Videoanrufen ermöglicht. Ausserdem können Upload-Fristen für Dokumente festgelegt und Punkte vergeben werden, um das zeitnahe Erledigen der Aufträge sicherzustellen. Eine Besprechung am Anfang der Lektionen, danach werden selbstständig die Aufträge erledigt und eventuell sogar korrigiert. Was sich erst einmal ziemlich entspannt anhört, bringt doch auch ein paar Probleme mit sich. Ohne Lehrkraft direkt vor Ort, welche eine automatische Kontrolle der Arbeitshaltung mit sich bringen würde, kann die Selbstdisziplin doch ziemlich schnell flöten gehen.

Aus einem kurzen Blick aufs Handy werden schnell mal 10 Minuten Scrollen auf Instagram, aus einer nicht verstandenen Aufgabe, deren Erklärung zwar nur einen Klick von einem Anruf an einen Lehrer entfernt wäre, das Überspringen dieser. So sehr ich die Selbstständigkeit auch mag – fast so sehr wie der physische Kontakt zu meinen Mitschülerinnen und Mitschülern fehlt mir der direkte Austausch mit den Lehrkräften. Mag ich vielleicht ab und zu in der Schule sitzen, während meine Gedanken sich an einem ganz anderen Ort befinden, ist es doch um einiges attraktiver, das Chemieexperiment live von meiner Lehrerin vorgeführt zu bekommen, als es in Form eines Videoclips im Internet anzuschauen.

Mehr Freizeit
Täglich sitze ich sechs bis acht Stunden vor dem Bildschirm, viel Zeit für Bewegung bleibt über den Tag hinweg nicht. Sobald die Schule beendet ist, dafür umso mehr. Durch den viel kürzer ausfallenden Schulweg, welcher sonst fast eine Stunde beansprucht, bleibt nicht nur morgens, sondern auch abends mehr Freizeit. Dank unseres grossen Gartens und des angrenzenden Waldes ist die Natur nicht weit entfernt. Joggen, biken, Spazieren gehen – nach einem langen Schultag ist es für mich wichtig, noch an die frische Luft zu kommen. Auch die Zeit in der Familie hat durch das viel häufigere Zusammensein paradoxerweise mehr an Bedeutung gewonnen, jeder erzählt mehr von seinem Tag, mehr Zeit zum Zuhören ist da.

Die Zeit nach dem Homeschooling
Zwei Wochen im Homeoffice sind geschafft, eine steht noch bevor. Wie es nach der dreiwöchigen Ferienpause weitergeht, ist noch ungewiss. Das Potenzial der Medien, was Online-Learning angeht, ist unbestritten, und die Form des Homeschoolings, die ich momentan geniessen darf, sicherlich eine privilegierte. Und doch freue ich mich schon darauf, meinen Wecker wieder um 7 Uhr klingeln zu hören und mich, statt zum Schreibtisch, auf den Weg ins Schulhaus zu machen. Nach Unterrichtsende nicht direkt nach Hause, sondern mit meinen Freunden dorthin zu gehen, wo ich will – und ohne schlechtes Gewissen, nicht auf die Abschiedsumarmung verzichten zu müssen.


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