Wandergrüsse aus Chile

  03.03.2020 Leserbeitrag

Martina Haller und Ivo Paroni aus Saanen sind im Abenteuerfieber. Sie starteten am 9. November im chilenischen Santiago und wanderten südwärts. Die Route führte entlang des Greater Patagonian Trails. Bisher sind sie 1561km gewandert und haben 66’032 Höhenmeter zurückgelegt. Einmal pro Monat melden sie sich beim «Anzeiger von Saanen» per Whats app-Nachricht (siehe auch Ausgabe vom 6. und 31. Dezember sowie 4. Februar).

Das Glück auf ihrer Seite
Bereits haben Martina Haller und Ivo Paroni die Hälfte (20 von 40 Etappen) des Patagonian Trails hinter sich. Sie haben beschlossen, dass damit das wilde Abenteuerleben vorbei ist. Nach jüngsten Ereignissen tauschen die beiden die Wildnis gegen normale Wanderwege. Ivo Paroni: «Wir hatten ein paarmal grosses Glück: Vor einem grossen Sturm haben wir es gerade noch in ein Dorf geschafft, vor einem sintflutartigen Regenfall ein Hüttli gefunden, das uns schützte.» Jetzt ist noch ein weiteres Ereignis hinzugekommen.

Erdbeeren und Sand
Vor Kurzem schlugen sie ihr Nachtlager bei einer schönen Lagune auf. Sie hatten genug Proviant dabei und deshalb am Morgen nach dem Aufwachen spontan entschieden, einen Tag länger dort zu bleiben. Rückblickend ist dieser Entscheid für beide aussergewöhnlich. Ivo Paroni: «Die Lagune, der unglaubliche Sonnenaufgang und die Erdbeeren rundherum haben uns bewogen, einen Tag auszuspannen, bevor wir uns an die nächste, sehr anspruchsvolle Tageswanderung machten. Martina Haller: «Das hat es vorher in den ganzen vier Monaten noch nie gegeben. Das eine hat den Vorschlag gemacht und das andere hat sofort zugestimmt – wie ein stilles Einvernehmen. Aus einer Intuition heraus.» Sie genossen den Tag, beobachteten aber in der Ferne ein ungewohntes Wetterphänomen mit braunem Himmel, das sie nicht recht einordnen konnten. Im Verlauf des Tages lagerte sich überall recht viel Sand ab. Am nächsten Tag nahmen sie die Wanderung zu dem Vulkangipfel Casablanca in Angriff. Es gab keinen Weg und überall lag loses Gestein. «Die Aussicht war extrem schön und wir haben gewitzelt, dass wir wohl den einzigen windstillen Tag erwischt haben, den es dort oben gibt.» Wie recht sie hatten, wurde ihnen erst später bewusst. Auf der anderen Bergseite befand sich ein Skiresort, wo die beiden am Abend in ein Hotel eincheckten. Die Rezeptionistin sei ganz besorgt gewesen, als sie erfahren habe, dass die beiden den vorangegangenen Tag in der Wildnis verbracht hatten. «Sie war richtig geschockt und wurde ganz bleich», erinnert sich Ivo Paroni. In der Talstation des Resorts, die wie die Lagune etwa auf 1000 Metern über Meer liegt, habe ein unglaublicher Sandsturm gewütet. Man habe kaum hinausgehen können und durch alle Ritzen und Spalten sei Sand in die Häuser eingedrungen. «Stell dir vor, wir wären an jenem Tag auf den Gipfel gestiegen. Wie hätten wir uns verhalten? Wären wir umgekehrt? Alles war sehr ausgesetzt und gefährlich, was wäre passiert? Würden wir noch leben?», fragt sich Ivo Paroni. Das ist den beiden eingefahren. «Deshalb ist es jetzt gut, wenn wir aufhören. Wir haben unser Glück zwei-, dreimal strapaziert, vielleicht ist unser Vorrat jetzt aufgebraucht», mutmasst der Saaner.

Auf zu neuen Ufern
Dieser Abschluss sei unglaublich gewesen, der schöne Tag an der Lagune, die Gewissheit, alles richtig gemacht zu haben, macht die beiden zufrieden. Obwohl Martina Haller und Ivo Paroni den Greater Patagonian Trail verlassen, sind ihre Abenteuer noch nicht vorbei. Erst erholen sie sich von den mentalen und körperlichen Strapazen und erkunden per Auto die Isla Grande de Chiloé. Danach werden sie nach Argentinien wandern und später einen Sechstausender erklimmen. Welchen, haben sie noch nicht verraten. «Bestimmt werden wir unsere Entscheidung schon bald bereuen», schmunzelt Martina Haller. Spätestens, wenn sie auf den ausgetrampelten Pfaden wandern und zu vielen Touristen begegnen, werden sie wohl etwas Wehmut bekommen. «Die dauernde Ungewissheit, wie die Tage in der Wildnis verlaufen, haben uns mental müde gemacht, deshalb weiss ich, dass dieser Entscheid wichtig und richtig ist», schiebt sie nach.

Traumhafte Aussichten
Den letzten Monat wanderten Martina Haller und Ivo Paroni durch schöne Täler, an Lagunen vorbei und sind jezt im Valdivianischen Regenwald angekommen. Alles unterhalb der Baumgrenze ist dichter, immergrüner Urwald mit Lianen, Bambus und umgestürzten Bäumen. «Wegen des dichten Bambuswuchses kann man nicht rechts oder links an einem umgefallenen Baum vorbei, sondern muss darüber oder unten durch klettern – mit einem 15 Kilogramm schweren Rucksack auf dem Rücken», sagt Ivo Paroni. Über der Baumgrenze auf den Vulkanen gibt es überall eine unglaublich schöne Aussicht auf schneebedeckte Berge. «Dieses lose Vulkangestein ist anstrengend zu bezwingen. Ein Schritt vor, zwei zurück war unser Alltag.» Martina Haller: «Vor allem dort, wo es keine Wege gibt, weil sehr wenig Leute hier vorbeigehen.» Ivo Paroni lacht: «Das heisst, fast überall.» Hinzu gekommen seien viele Gräben und Wasserläufe, die sich im Vulkangestein einen Weg gesucht haben. «Wir sind oft darüber gesprungen, mussten auch oft Umwege machen, bis irgendwo eine gangbare Passage auftauchte.»

PD/BLANCA BURRI


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