«Stay home alert» in Arizona

  09.04.2020 Serie

Praktisch alle Länder sind vom Coronavirus betroffen. Die einen stärker, die anderen schwächer. In loser Folge erzählen Auslandschweizer, wie sie die Situation erleben. Den Anfang macht Walter Jüssen, der mit seiner Frau Michele seit 2005 in Arizona lebt.

Meine Frau und ich leben seit 2005 – nach Erhalt der Greencard und der US-CH-Doppelbürgerschaft – in Scottsdale. Arizona ist sieben Mal grösser als die Schweiz, hat aber ca. 1,6 Millionen Einwohner weniger. Scottsdale ist eine Vorstadt von Phoenix (ca. 4,5 Millionen Einwohner) und hat eine Bevölkerung von ca. 220’000. Die Häuser haben einen relativ grossen Umschwung und fast 80 Prozent haben einen Swimmingpool.

Social Distancing

Aktuell (Anfang April) haben wir in ganz Arizona 2000 infizierte Personen und leider 52 Tote. Es besteht keine Ausgangssperre, nur «stay home alert» – das heisst, man sollte zu Hause bleiben und dieses nur verlassen, um Lebensmittel einzukaufen, für Arztbesuche oder andere wichtige Termine. Draussen sollte man einen Abstand von 1,5 Metern einhalten. Einen Mundschutz zu tragen, wurde erst kürzlich von oberster Stelle in Washington als Empfehlung erlassen. Sonst sieht man noch nicht viele Leute mit Masken. Und wenn, dann hauptsächlich alte – so wie wir. Wir haben Gummihandschuhe und Mundschutze gelagert.

Am letzten Mittwoch hatte ich einen Termin beim Augenarzt. Wegen einer Macula-Erkrankung bekomme ich seit ca. fünf Jahren alle sechs bis zehn Wochen eine Spritze. Beim Eingang wurde Fieber gemessen, im Wartezimmer waren wir ca. fünf Personen und ausser dem Arzt trug niemand eine Maske, auch die Mitarbeitenden nicht. Auf meine Frage, warum die Praxis nicht geschlossen sei, bekam ich zur Antwort, dass man die Patienten mit Krankheiten wie meine behandeln müsse, man könne die Spritzen nicht aufschieben.

Schulen und Geschäfte sind geschlosseen
Hotels, Restaurants, Schulen, Fitnessstudios, Coiffeursalons, Nagelstudios usw. sowie alle Läden, die nicht Artikel für den täglichen Gebrauch anbieten, sind geschlossen. Vorläufig bis zum 30. April. Viele Restaurants offerieren Pick-up- oder Hauslieferdienst an, und zwar vom Top-Restaurant bis zur Pizzeria.

Das gleiche gilt für «grocerys stores» (ca. zehn Mal grösser als die Discounter in Gstaad): Sie nehmen Bestellungen via E-Mail oder Telefon entgegen.

Es gibt keine Beschränkungen, wie viele Personen sich im Laden aufhalten dürfen – Hauptsache, der Abstand wird eingehalten.

Weniger Autoverkehr
Das einzige Mal, als wir Warteschlangen vor Grosswarenhäusern wie Costco oder Walmart sahen, war zu Beginn, während der Toilettenhysterie. In Scottsdale sind solche Situationen kaum noch zu sehen. Eigentlich ist alles wie vor Corona, nur dass es viel weniger Autoverkehr hat. Zu Fuss geht ja hier auch keiner, ausser auf den dafür vorgesehenen Rad-und Spazierwegen. Diese führen meistens entlang von Golfplätzen (wir haben ja «nur» 60+, und fast alle sind geöffnet – gestattet ist eine Person pro Caddy) und in den sogenannten «washes». Diese dienen bei sintflutartigen Regenfällen (diese dauern ca. 45 Minuten und kommen meistens im Juli/August) der Regulierung der Wasserabläufe.

Lieferungen aller Art werden weiterhin sieben Tage die Woche per ups/Fedex oder Post ausgeführt.

Zum Glück haben wir ein grosses Spital. Es ist innerhalb von fünf Minuten erreichbar – man weiss ja nie!

«It is what it is!»
Uns fehlen natürlich die Kontakte, mit Freunden auszugehen oder sie nach Hause einzuladen. Dafür wird halt per Telefon, Internet/Skype kommuniziert.

Michele geht jeden Morgen mit unseren drei Hunden spazieren und hält einen kleinen Schwatz mit den Nachbarn – mit dem gebotenen Abstand.

Ich selber versuche, mein ehemaliges Büro aufzuräumen – zum dritten Mal. Und ich probiere, etwas mehr über Computer herauszufinden – «braintraining»!

Kontakt zu Gstaad haben wir auf regulärer Basis mit zwei, drei Freunden. Da ich keine Angehörigen mehr habe, bleiben noch mein Schwager Ferdi in Bern, die Schwägerin Denise in Australien und der Schwager Kobi, der zurzeit in Scottsdale weilt.

Mein persönliches Fazit: «It is what it is!» Und das Motto: «Hurra, wir leben noch!»

Beste Grüsse und alles Gute aus der Wüste an alle, die sich noch an uns erinnern, von Michele und Walter Jüssen-Hermenjat.

AUFGEZEICHNET VON ANITA MOSER


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