Die Not ist die gleiche

  15.04.2020 Coronavirus

Häusliche Gewalt und sozial instabile Familienkonstellationen sowie finanzielle Notlagen sind auch ausserhalb der Corona-Krise ein Arbeitsfeld für den Sozialdienst Saanenland. Doch verschärft die ausserordentliche Lage, in der sich die Schweizer Bevölkerung seit gut einem Monat befindet, diesen Zustand noch zusätzlich? Béatrice Baeriswyl, Leiterin des Sozialdienstes Saanenland, gibt Auskunft über die momentane Situation.

JENNY STERCHI
«Die Situation müsse nüchtern und sachlich betrachtet werden, ohne dabei weder panisch noch verharmlosend zu agieren», sagt Béatrice Baeriswyl einleitend. Aus heutiger Sicht könne ein Anstieg der Gesuche um Sozialhilfe festgestellt werden. Menschen, denen es durch Kurzarbeit oder Erwerbslosigkeit plötzlich an finanziellen Mitteln fehlt, können sich für diese Vorschüsse als kurzfristige Lösung beim Sozialdienst melden. «Das gilt nicht nur in Corona-Zeiten. Solche kurzfristigen Überbrückungen haben wir schon vor der Pandemie geleistet. Durch die ausserordentliche Lage haben wir einen deutlichen, aber keinen riesigen Anstieg der Antragszahlen beobachtet», fasst die Leiterin des Sozialdienstes Saanenland zusammen. Umfassende Aussagen zu Entwicklungen der Zahlen seien zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht möglich, zu wenige Daten lägen vor und die besondere Situation dauere vermutlich noch etwas an. «Unter dem Aspekt der finanziellen Unterstützung sehen wir vom Sozialdienst auf eine Mehrheit verantwortungsbewusster Bürger, die allfällige kurzfristige Finanzlücken noch schliessen können.»

Hilfe mit Rechten und Pflichten
Die Anträge auf Sozialhilfe müssen in vollem Umfang ausgefüllt und alle nötigen Informationen an den Sozialdienst geleitet werden. «Das Prozedere eines Antrags auf Sozialhilfe bleibt gleich, auch wenn die finanzielle Not durch die aktuelle Krise ausgelöst wurde und längerfristig nicht bestehen wird.» Die Hilfesuchenden übernehmen mit der Unterstützung sowohl Rechte als auch Pflichten. «Wir leisten Unterstützung und versichern uns mittels Kontrollen, dass die Mittel nicht missbräuchlich eingesetzt werden.»

Einige grosszügige Spenden aus dem Saanenland wurden namentlich dem Sozialdienst zugeführt. «Die Spender wollten sicher gehen, dass mit ihrem Geld Hilfe in der Region geleistet wird.» So konnte ein Spendenfond eingerichtet werden, den der Sozialdienst für sehr kurzfristig angezeigten Geldmangel und akute Notsituation in dieser Corona-Krise nutzen kann.

Sozialdienst als Schutzbehörde
Neben finanzieller Unterstützung engagiert sich der Sozialdienst Saanenland auch für den Schutz von Kindern und Erwachsenen. Zwischenmenschliche Notsituationen oder häusliche Gewalt fordern den Sozialdienst in seiner beratenden und vermittelnden Position. «Natürlich geraten die Familien unter Druck durch die Extremsituation, die bedingt durch Homeschooling, Homeoffice und unsichere Berufssituation entstanden ist», ist sich Béatrice Baeriswyl sicher. Dennoch sei derzeit keine Zunahme an Hilfsgesuchen zu beobachten.

«Mit und ohne Corona gelten Zustände häuslicher Gewalt und sexuellen Missbrauchs immer noch als absolutes Tabuthema, sind aber bittere Realität, auch im Saanenland.» Für die Opfer sei die Schande, dass ihnen so etwas widerfährt, grösser als das eigentliche Leid. Daher schweigen viele der Betroffenen. Wenn die Sensibilisierung für diesen Umstand derzeit wachse, könne das auch in der Zeit nach der Pandemie für die Gesellschaft sehr positiv wirken. «Es ist an der Bürgern, sowohl Selbstverantwortung zu übernehmen als auch Zivilcourage zu zeigen. Die Nachbarschaftshilfe gibt dieser Tage mit Einkäufen und Erledigungen für Risikogruppen der Solidarität Ausdruck. Zur Nachbarschaftshilfe gehört aber auch, die Augen offen zu halten und sich für die Lage seiner Mitmenschen zu interessieren», erklärt Baeriswyl. Sie ist überzeugt, dass die Gesellschaft durch den Umgang mit dieser Krise gewachsen ist und mit den sozialen Schwierigkeiten dieser Ausnahmesituation umgehen kann. «Und dabei um Hilfe zu bitten, ist alles andere als eine Schande», so der eindringliche Hinweis der Sozialdienstleiterin. «Die Bürger, die Hilfe, Beratung und Unterstützung brauchen, dürfen sich bei uns melden. Wenn wir keine Lösung parat haben, finden wir gemeinsam den passenden Kontakt, der weiterhelfen kann.»

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