Gemeinsam durch die Krise

  24.04.2020 Coronavirus

Der Lockdown infolge der Corona-Krise betrifft alle. Auch die Schülerinnen und Schüler der Heilpädagogischen Schule Gstaad genauso wie die Bewohnenden der Stiftung Alpenruhe in Saanen. Gerade bei letzteren ist beeindruckend, wie sie mit der Situation umgehen.

KEREM S. MAURER
Die ganze Gesellschaft, sprich jede und jeder von uns, ist in irgendeiner Form von den Auswirkungen der Corona-Pandemie und/oder den einschneidenden Massnahmen des Bundes gegen eine weitere Verbreitung des Covid-19 betroffen. Während normal gesunde Menschen einen Teil ihrer Arbeiten einfach im Homeoffice erledigen können, sind die Anforderungen für die Schülerinnen und Schüler der Heilpädagogischen Schule Gstaad deutlich herausfordernder, wie Schulleiterin Gabrièle Alice Weyermann weiss.

Seit Mitte März ist alles anders
«Als die ersten Informationsplakate in der Schule aufgehängt wurden, übten wir mit den Schülerinnen und Schülern zuerst das richtige Händewaschen», erinnert sich Weyermann und betont, wie schwierig es war, bei Kindern mit verschiedenen Einschränkungen die körperliche Distanz zu halten. Denn viele von ihnen bräuchten sowohl im Schulunterricht wie auch im praktischen Alltag Hilfe und Unterstützung. «Einerseits bedauerten wir die Schliessung der Schule am 13. März, anderseits waren wir erleichtert, weil wir als Lehrpersonen im Alltag die vom Bund geforderten Abstände nicht einhalten konnten», so Weyermann. Auch für die Bewohnenden der Stiftung Alpenruhe habe sich der Alltag seit dem 13. März stark verändert, sagt Institutionsleiter Markus Kindler. «Die Werkstatt, der Laden und die Cafeteria sind geschlossen, ausserdem herrscht ein Besuchsverbot.»

Zwischenmenschliche Kontakte sind wichtig
Um ihnen den Kontakt zu Familien und Freunden trotz Lockdown zu ermöglichen, werden die Bewohnenden bei Bedarf beim Skypen, Telefonieren oder Briefeschreiben von den Betreuenden unterstützt. Für viele der Bewohnenden sei die Alpenruhe zu einer zweiten Familie geworden und der Kontakt untereinander sei, wenn auch mit Einschränkungen, glücklicherweise weiterhin möglich, so Kindler. Ausserdem versuche man natürlich in der Alpenruhe die BAG-Richtlinien einzuhalten. «Wir bauen zusätzliche Hygienemassnahmen wie regelmässiges Händewaschen ein und achten beim Essen auf genügend Abstand zwischen den einzelnen Plätzen.»

Individuelles Lernpaket
Trotz Lockdown besteht auch in der Heilpädagogischen Schule weiterhin die Schulpflicht. «Die Betreuung und Förderung von Schulkindern mit besonderen Bedürfnissen ist derzeit eine echte Herausforderung für die Fachpersonen», erklärt Gabrièle Alice Weyermann und weist auf die grosse Wichtigkeit des direkten Kontaktes im Schulalltag hin. Gerade bei Kindern, die in Gebärdensprache unterrichtet werden, sei es wichtig, diesen in die Augen schauen zu können. Ausserdem seien viele Kinder auf zusätzliche Erklärungen und Hilfsmaterialien angewiesen. Und obschon ein Teil der Kinder mit Computern umgehen könnten, sei eine intensive Begleitung notwendig. «Deshalb haben wir uns entschlossen, jedem Kind ein individuelles Lernpaket mit seinem Wochenplan zusammenzustellen», sagt die Schulleiterin. Dieses können die Eltern jeweils am Montagnachmittag am Eingang der Schule abholen und gleichzeitig die erledigten Arbeiten zurückbringen. Dank Klassenchat wüssten die Lehrpersonen, wie kreativ aufgegebene Bastel-, Zeichnungs- und Backaufgaben umgesetzt werden. Telefonisch werden Rückmeldungen ausgetauscht, anstehende Fragen besprochen und Elterngespräche geführt. Kinder, Eltern und Lehrkräfte mussten sich erst an die neue Situation gewöhnen, wobei insbesondere Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten mehr Mühe bekundeten als andere. Für einige Eltern sei das Homeschooling nicht nur eine echte Herausforderung, sondern eine zusätzliche Belastung, weiss die Schulleiterin und erklärt: «Einige der Schülerinnen und Schüler haben die Unterstützung der Eltern, Zugriff auf neueste Lernmethoden und Technologien. Anderen hingegen fehlt nicht nur dieser Zugang, sondern auch die häusliche Unterstützung.» Um die Chancengleichheit der Kinder zu wahren, müssen Aufgaben gut geplant und vorbereitet werden.

Abwechslungsreicher Alltag
Individualität und damit das Eingehen auf spezielle Bedürfnisse der Einzelnen wird auch in der Stiftung Alpenruhe gross geschrieben. «Grundsätzlich versuchen wir, individuell auf die einzelnen Personen einzugehen. Die Betreuungspersonen begleiten die Bewohnenden so abgestimmt, wie es jede Person nötig hat», sagt Institutionsleiter Markus Kindler und weist darauf hin, dass besondere Programme zusammengestellt werden, um den Alltag der beeinträchtigten Menschen so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. Er hält fest: «Es ist beeindruckend, wie sowohl die Klienten wie auch die Mitarbeitenden in der Alpenruhe mit der Situation umgehen.» Wegen der engen Platzverhältnisse könnten im Arbeitsbereich die Vorgaben des BAG und des Kantons nicht umgesetzt werden, bedauert Kindler, weshalb Menschen, die nicht in der Alpenruhe wohnten, aber dort arbeiteten, zurzeit zu Hause bleiben müssen. Mit diesen stünden sie in regelmässigem Kontakt und wüssten immer, wie es ihnen gehe, versichert Kindler, und: «Für jene unter ihnen, die grosse Mühe haben mit der aktuellen Situation, suchen und finden wir individuelle Lösungen.»

Bau dürfte sich verzögern
Die aktuelle Situation rund um Covid-19 hat auch einen Einfluss auf das Neubauprojekt der Stiftung Alpenruhe. «Wir gehen davon aus, dass es zu einer Bauverzögerung kommt», sagt der Institutionsleiter. Doch wie gross diese am Ende sein werde, könne momentan nicht abschliessend abgeschätzt werden. Dennoch ist die Vorfreude der Bewohnenden auf den Neubau gross, wie dem aktuellen Jahresbericht der Stiftung zu entnehmen ist. Er freue sich auf die grosse neue Terrasse, sagt zum Beispiel Beat S., während sich Beat H. auf die neue Umgebung freut. «Ich freue mich auf den Essbereich», lässt sich Anja R. im Bericht zitieren und der Institutionsleiter freut sich ganz allgemein darauf, wenn ein ungezwungenes Zusammensein wieder möglich ist.

Zusammen durch die Krise
Einen Blick in die Zukunft richtet auch Gabrièle Alice Weyermann, denn am 11. Mai dürfen laut dem BAG die Schulen wieder öffnen. Man warte noch ab, welche Informationen und Vorgaben durch die Bildungs- und Kulturdirektion noch gestellt werden, so Weyermann. Auch seien noch einige Fragen zu klären. So ist zum Beispiel noch nicht klar, wie der Schülertransport zu organisieren ist oder welche Schutzmassnahmen in öffentlichen Schulen umgesetzt werden müssen. Auch habe man bis jetzt von der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion noch keine Vorgaben für Heilpädagogische Schulen erhalten, beispielsweise, was den Einsatz von Schutzmasken betreffe, so Weyermann. Die Zeiten sind hektisch und vieles läuft anders, als man sich das vorgestellt hat. Doch Krisen wie diese haben auch noch eine andere Seite: Sie schweisst Teams zusammen, fördert das Miteinander und den Zusammenhalt. Gabrièle Alice Weyermann wie Markus Kindler möchten die Gelegenheit nutzen, sich an dieser Stelle bei all jenen zu bedanken, die den Betrieb ihrer Institutionen während dieser hektischen Zeit am Laufen hielten. «Sie leisten alle grosse Arbeit! Merci vielmal!», sagen die beiden unisono.


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