Sensibilisieren statt denunzieren

  21.04.2020 Coronavirus, Gesellschaft, Saanenland

Wo es Vorgaben gibt, gibt es Menschen, die sich daran halten und andere, die sich nicht daran halten. Und dann gibt es noch jene, die glauben, dafür sorgen zu müssen, dass sich alle daran halten – und denunzieren, wenn es sein muss, sogar den eigenen Nachbarn.

KEREM S. MAURER
Die Vorgaben des Bundes im Kampf gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus sind mittlerweile hinlänglich bekannt. Die Schweizer Bevölkerung hat die vorösterlichen Tests erfolgreich bestanden, eine Ausgangssperre musste bis heute nicht über unser Land verhängt werden. Die Bevölkerung hat sich laut einigen Medien gar «vorbildlich» verhalten und sogar der von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga geforderte Ruck ging durch die Gesellschaft. Dennoch wurde berichtet, dass an vereinzelten Örtlichkeiten die Polizei einschreiten musste, um Menschenansammlungen aufzulösen. Auch Ausflugsziele, Seeufer und Passstrassen wurden landesweit gesperrt. Im Saanenland wurden die Strassen zum Arnensee, zum Lauenensee und nach Abländschen via Mittelberg gesperrt. Doch um es gleich vorweg zu nehmen: Diese Strassen im Saanenland wurden nicht aufgrund von Hinweisen aus der Bevölkerung gesperrt. Wie die Gemeinden Gsteig auf Anfrage mitteilte, blieb die Arnenseestrasse gesperrt, weil Wiederinstandstellungsarbeiten anstanden. Gemäss der Gemeinde Saanen war der Mittelberg für den Verkehr gesperrt, weil die Verkehrssicherheit nach dem Winter noch nicht wieder gewährleistet war. Nur der Lauenesee wurde – allerdings schon vor Ostern – gesperrt, weil die Gemeinde Lauenen mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen und einer Zunahme von Ausflüglern rechnete. Allerdings sei diese Massnahme bereits im Vorfeld im Gemeinderat besprochen worden, hiess es seitens der Gemeinde Lauenen.

Vermehrte Polizeikontrollen
«Unsere Polizistinnen und Polizisten sind bereits seit Inkrafttreten der Massnahmen des Bundes im ganzen Kanton – so auch im Berner Oberland – verstärkt im öffentlichen Raum präsent», teilt Dominik Jäggi, Mediensprecher der Kantonspolizei Bern, auf Anfrage mit. Hauptsächlich, um Sensibilisierungsarbeit zu leisten, aktiv auf die Vorgaben und Empfehlungen des Bundesrates aufmerksam zu machen und diese durchzusetzen. Dabei habe die Polizei gerade über die Ostertage festgestellt, dass jene Personen, die sich im Freien aufgehalten haben, sich «grossmehrheitlich an die Vorgaben des Bundes gehalten haben». Doch gingen auf den Einsatzzentralen auch Meldungen aus der Bevölkerung ein. Diese betrafen hauptsächlich Hinweise, dass sich zu grosse Gruppen an unterschiedlichen Örtlichkeiten aufhielten oder dass der Mindestabstand zwischen den einzelnen Personen nicht eingehalten werde. «Solchen Hinweisen gehen wir in der Folge nach, da es im Interesse der Bevölkerung ist, dass den notwendig gewordenen Verhaltensvorschriften Folge geleistet wird», so Dominik Jäggi. Primär werde mit zuwiderhandelnden Personen das Gespräch gesucht, die Verhaltensregeln wieder in Erinnerung gerufen und, wenn nötig, auch Bussen ausgesprochen – und dies nicht zuletzt aufgrund von Hinweisen aus der Bevölkerung. «Die genannten Feststellungen haben wir gleichermassen auch in allen Regionen des Kantons Bern – sprich auch im Saanenland – gemacht», betont Doninik Jäggi.

Mitbürger werden zu Denunzianten
Auf die Frage nach den Motivationen, warum einzelne Mitbürger andere bei der Polizei anschwärzen, bezogen die Ordnungshüter des Kantons keine Stellung. Geschieht es aus Angst vor dem Virus? Aus Angst vor einer Infizierung? Oder liegt es daran, dass man sich aufregt, weil man sich selber an die Vorgaben hält und mitansehen muss, wie es andere nicht tun? Geht es dabei einfach darum, anderen eines auszuwischen? Oder kennt man gar die Menschen, die in einer zu grossen Gruppe zu nah beieinanderstehen, und freut sich, diese anzeigen zu können, in der stillen Hoffnung, dass sie gebüsst werden? Viele scheinen sich der kollektiven Gesundheit zuliebe zum Verrat verpflichtet. Vielleicht sind Sie selber in der letzten Zeit auch schon auf der Strasse hinter einem Auto mit ausländischem Kennzeichen hergefahren und haben sich gefragt, warum eine «ausländische Virenschleuder», wie sich eine Automobilistin, die ihren Namen an dieser Stelle nicht lesen möchte, kürzlich geäussert hatte, auf unseren Strassen herumfahren darf? Gerade jetzt, wo doch die Grenzen eigentlich für Touristen geschlossen sein sollten? Sind die Schweizer wirklich so, wie man aktuell in den sozialen Netzwerken lesen kann, dass sie gerade dann unbedingt hinaus müssen, um nachzusehen, ob wirklich alle daheim bleiben, wenn es heisst, alle müssten zu Hause bleiben? Es dürfte gegenwärtig legitim sein, sich alle diese Fragen zu stellen. Die Antworten darauf müsste sich wohl jeder selbst geben – im Sinne einer selbstverantwortlichen Gesellschaft.

«Bleiben Sie zu Hause!»
Laut der Kantonspolizei Bern sei es das Ziel ihrer Arbeit, die Bevölkerung dazu zu bringen, mehr Eigenverantwortlichkeit zu übernehmen. Alle sollten die Massnahmen das Bundes verstehen und die Vorgaben umsetzen. Und der Mediensprecher verspricht: «Wir sind auch noch in den kommenden Tagen und solange die aktuelle Situation Bestand hat weiterhin verstärkt draussen präsent – auch im Saanenland.» Und er ergänzt, dass sich die Polizei auch weiterhin den Aufforderungen des Bundesrates und den kantonalen Behörden anschliesst und wiederholt den dringlichen Aufruf: «Bleiben Sie wenn immer möglich zu Hause und setzen Sie sich und andere keinen Risiken aus.»


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