Was hat Gott mit dem Coronavirus zu tun?

  24.04.2020 Kirche

Das Coronavirus verändert und gefährdet unser Leben. Im Alltag sind wir mit erheblichen Einschränkungen konfrontiert; Menschen, die einer Risikogruppe angehören, fürchten um ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen; kleine und mittlere Unternehmen sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Für Christenmenschen – und wohl nicht nur für sie! – stellen solche Erfahrungen auch eine Anfrage an Gott dar: Wie kann man ihm vertrauen, wenn liebe Menschen aus unserer Mitte weggerissen und ganze Gesellschaften in Angst und Schrecken versetzt werden? Weshalb ereignen sich Krankheit und Not in der Schöpfung eines gnädigen Gottes? Was für ein Gott ist das?

Ähnliche Fragen stellten sich in der jüngeren Vergangenheit durch den Tsunami im Indischen Ozean am zweiten Weihnachtstag 2004. Für einige war die tödliche Flutwelle ein Beweis dafür, dass Gott, ein gütiger zumal, nicht existieren kann. Wie verhält sich ein derart folgenschweres Seebeben zum christlichen Bekenntnis, dass die Schöpfung «sehr gut» geschaffen ist? Möglicherweise ist das Coronavirus ein «Beben» von noch viel grösserer Dimension, denn es betrifft sämtliche Kontinente, bringt tausendfachen Tod und unabsehbare wirtschaftliche Not.

«Und siehe, es war sehr gut!»
Gemäss dem Zeugnis des ersten Schöpfungsberichtes schaute Gott alles an, was er gemacht hatte, «und siehe, es war sehr gut» (Genesis 1,31). Diese Worte wurden und werden von den Kirchen immer wieder ins Feld geführt, um die Zerstörung des Geschaffenen als einen Verstoss gegen den Willen des Schöpfers zu bezeichnen und den Auftrag abzuleiten, sich gegen eben diese Zerstörung zu wenden. Allerdings erhält das Bild einer wohlgeordneten Schöpfung, in der einzig der Mensch verwüstet und stört, durch Naturkatastrophen tiefe Risse. Wir kommen nicht umhin zu fragen: Sind nicht auch Wellen und Viren Teil der Schöpfung Gottes? Wenn das so ist: Inwiefern verdienen diese, «sehr gut» genannt zu werden? Oder gilt diese Bezeichnung nur für einen Teil des Geschaffenen?

Schöpfung und Chaos
Ich halte den Standpunkt der Kirchen und grosser Teile der Umwelt- und Tierschutzbewegung für einseitig und naiv. Denn die Vorgänge in der Natur sind zweideutig: Einerseits bringt sie Leben, Blühen und Gedeihen hervor. Andererseits gilt in ihr das Recht des Stärkeren; das bedeutet, dass jene Lebensformen, die sich anzupassen vermögen und weiterentwickeln, Bestand haben, die Schwachen dagegen verschwinden. Das biblische Reden von der Schöpfung Gottes ist nicht eindimensional, sondern weiss um die Mehrdeutigkeit des Geschaffenen. Unsere Sicht orientiert sich, wie erwähnt, wesentlich an Genesis 1,31 («Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut»), dabei gerät aber Folgendes aus dem Blick: Derselbe Schöpfungsbericht erzählt, dass der Wohlordnung das Chaos bzw. dessen Verdrängung vorangeht; in Vers 2 heisst es: «Die Erde war wüst und öde, und Finsternis lag auf der Urflut.» Erst aus diesem lebensfeindlichen «Tohuwabohu» (hebräisch für «wüst und öde») schafft Gott Leben, Gedeihen und Blühen: durch die Trennung von Licht und Finsternis, durch die Abgrenzung des Landes vom Wasser. Das Leben des Geschaffenen ist also dem todbringenden Chaos abgerungen und dieses Chaos bleibt eine Bedrohung für die Kreatur.

«Der Wolf wird beim Lamm weilen»
Aufschlussreich für das biblische Verständnis der Schöpfung ist auch die prophetische Vision eines kommenden Friedensreiches (vgl. Jesaja 11). Ihr zufolge wird der messianische Herrscher nicht nur für umfassende Gerechtigkeit unter den Menschen sorgen, sondern auch alles Leid in der Natur beseitigen: «Der Wolf wird beim Lamm weilen, und die Raubkatze wird beim Zicklein liegen. Der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind.» (Jesaja 11,6.7) Fressen und gefressen werden wird nicht mehr sein und das Recht des Stärkeren ist ausser Kraft gesetzt. Die prophetische Vision verheisst eine neue Schöpfung, in der kein Leid, keine Ängste und keine Schmerzen mehr sein werden. Damit machen die prophetischen Worte auch deutlich, dass das gegenwärtige Gutsein noch nicht das vollendete und endgültige ist; das jetzige Gutsein ist also verbesserungsbedürftig.

Paulus nimm diesen Gedanken auf und formuliert, dass die Schöpfung «seufzt» und «in Wehen liegt», auf dass sie einmal zu dem werde, was Gott allem Geschaffenen verheisst (Römerbrief 8,22).

Die Freiheit zur Selbstorganisation
Auf diesem breiten biblischen Hintergrund lässt sich neu über das Auftreten von Naturkatastrophen und Krankheiten in der Schöpfung nachdenken. Wie können in der guten Schöpfung qualvolle Irrläufer wie Tuberkulose, Krebs oder Covid-19 auftreten? Dieselbe Frage lässt sich im Blick auf Lawinen, Vulkanausbrüche oder Tsunamis stellen.

Das Chaos, das Tohuwabohu, bedroht die Schöpfung immer wieder, und die wartet auf ihre Vollendung. Offenkundig ist eine solche Schöpfung kein Gebäude, dessen Innenleben bis ins Detail reguliert und getaktet ist. Anders ausgedrückt: Gott hat den Menschen nicht als Marionette geschaffen, sondern als Gegenüber; ebenso verhält es sich mit der Natur: Die ist nicht als genormtes Uhrwerk gestaltet, sondern als komplexes, sowohl von Gesetzen wie auch von Zufälligkeiten bestimmtes, ökologisches Gebilde. Und allem Geschaffenen, dem Menschen und der Natur, eignet die Freiheit zur Selbstorganisation und damit die Freiheit zu Irrwegen, zu Schaden und Zerstörung. Aus der Sicht von uns Menschen können Naturkatastrophen und Krankheiten als solche Irrwege gelten; in der Natur freilich sind die genannten Erscheinungen in vielen Fällen ein Ausdruck für den Kampf ums Überleben und die Regel: Nur der Starke setzt sich durch (vgl. zum Beispiel die Mutation von Viren, welche neuartige Krankheiten zur Folge haben kann).

Kein Puppentheater
Für das Zeugnis der Bibel stellt der Kosmos keine heile Welt voller Harmonie dar, sondern ist durchbrochen von «Hagel und Regenflut» (Hiob 38,22.25) und kann zu einer unwirtlichen und bedrohlichen Gegend werden. Die Schöpfung ist nicht Gottes Puppentheater, sondern eine Arena von Improvisation und Eigendynamik – mit allen Mehrdeutigkeiten. Deshalb kann von Gott nicht als dem direkten Verursacher von allem, was geschieht, gesprochen werden. Es ist theologischer Unsinn, den Schöpfer als die Ursache der Corona-Pandemie zu bezeichnen.

Die Gegenwart Gottes in der Welt
Was können wir darüber wissen, wie Gott in der Welt gegenwärtig und tätig ist? Immerhin sind sowohl seine Gegenwart wie auch sein Handeln verborgen. Aber – und das ist der entscheidende Punkt: Die Bibel gibt Auskunft darüber, wer der Gott ist, mit dessen Wirksamkeit und Gegenwart wir rechnen: der Schöpfer von Himmel und Erde, der Vater Jesu Christi, der tröstende und heilende Geist. Christenmenschen bekennen, dass Gott seiner Schöpfung bis zuletzt die Treue hält und bis dahin mit ihnen, seinen Geschöpfen, zusammenwirkt.

Wer Gott ist und wie er sich verhält, lässt sich noch genauer am Weg Jesu Christi ablesen. Dieser Weg fand sein irdisches Ende am Galgen: Jesus sprach von der Liebe Gottes und einer neuen Welt, in der alle zu ihrem Recht kommen; dafür wurde er von den politischen und religiösen Machthabern zunächst beargwöhnt und schliesslich getötet. Gott wollte diesen Tod nicht und genauso wenig will er das Böse, die Pein und die Qual. Der US-amerikanische Theologe David Bentley Hart sagt: «Von Beginn an bestreitet christliches Denken, dass Leiden, Tod und Böses irgendeinen letzten Wert oder einen geistlichen Sinn haben.»

Aus Bösem entsteht Gutes
Der Weg Jesu freilich ist am Kreuz nicht zu Ende: Durch die Auferweckung zeigt Gott, dass seine Macht der Liebe, der Gerechtigkeit und der Versöhnung stärker ist als der menschliche Drang zu Hass und Gewalt. So wirkt dieser Gott fortwährend in der Schöpfung als derjenige, der aus Zerstörung Frieden und aus Bösem Gutes werden lässt. Der Kern der christlichen Hoffnung ist, um wieder mit David Bentley Hart zu reden, «die Überzeugung, dass der Wille Gottes letztlich nicht besiegt werden kann und dass der Sieg über Böses und Tod bereits gewonnen ist».

Soviel lässt sich meines Erachtens aus evangelischer Sicht zur Corona-Pandemie sagen. Es wäre einfältig zu behaupten, die Krankheit sei in irgendeiner Weise Gottes Wille. Es wäre auch gefährlich zu versichern, Gott werde uns vor dem Schlimmsten bewahren. Wir dürfen und sollen aber bekennen, dass Gott seine Geschöpfe auch in dieser Krise nicht alleine lässt, sondern sie mit Kraft, Kreativität und Besonnenheit ausrüstet. Dietrich Bonhoeffer hat in seinen «Glaubenssätzen über das Walten Gottes in der Geschichte» geschrieben: «Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.»

BRUNO BADER,

(mit Material von refbejuso.ch/ Matthias Zeindler)


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