Wer war Luis Espinal …

  07.04.2020 Leserbeitrag

… und welche Umstände führten zu seinem gewaltsamen Tod am 22. März 1980?

Nicht jedem, der die Bolivienspalte liest, ist obiger Name bekannt. Man muss wissen, dass unser Projekt aus zwei Häusern besteht: Tres Soles, in dem die unter 18-Jährigen leben und das Studenten- und Lehrlingsheim mit Namen Luis Espinal, in dem die jungen Erwachsenen wohnen.

Am Abend des 8. Juli 2015 liess Papst Franziskus, der sich in Bolivien zu einem Besuch aufhielt, seinen Tross auf der Schnellstrasse vom Flughafen nach La Paz in einer Kurve anhalten. An einem schlichten Kreuz, das zum Gedenken an den vor 40 Jahren ermordeten Jesuitenpaters Luis Espinal errichtet worden war, sprach er ein kurzes Gebet. Nur wenig später überreichte der damalige bolivianische Staatspräsident Evo Morales dem Papst die Nachbildung eines Kruzifixes, geformt aus einem Hammer und einer Sichel, das genau jener Espinal Jahrzehnte zuvor selbst geschnitzt hatte.

Espinal wurde am 4. Februar 1932 in Sant Fruitós de Bages, einem kleinen Dorf in der Nähe von Manresa, in der Provinz Barcelona, Katalonien geboren. Als er vier Jahre alt war, brach der spanische Bürgerkrieg aus, in dem einer seiner älteren Brüder ums Leben kam. Zu diesem Zeitpunkt lebte seine Mutter schon nicht mehr. Mit 17 Jahren trat er als Novize in den Jesuitenorden ein, dem er bis zu seinem Lebensende treu bleiben sollte. Im Alter von 30 Jahren (1962) wurde er zum Priester geweiht und studierte unmittelbar darauf in Bergamo, Italien, Medienwissenschaften mit Schwerpunkt Film und Fernsehen. In dieser Zeit verfasste er eine Reihe von Gebeten – nicht unbedingt aussergewöhnlich für einen Geistlichen, könnte man sagen. Aussergewöhnlich waren allerdings Inhalt und Titel. «Gebete hautnah» handelt von den Problemen der Jugend, von Sexualität, von moderner Musik und von einem Gott, der Schulter an Schulter mit den Menschen durch die von Lärm und Autos verseuchten Strassen wandelt; aussergewöhnlich, weil es im vor allem erzkatholischen und konservativen Spanien der Franco-Diktatur geschah.

Nach dem Studium der Medienwissenschaften begann Espinal in Barcelona sowohl als Leiter eines Kino-Clubs als auch als Filmkritiker zu arbeiten. Seine Fernsehsendung «Cuestión urgente» («Drängende Fragen») fiel der Zensur des Franco-Regimes zum Opfer, als er es wagte, über die damaligen Elendsviertel von Barcelona zu berichten. Espinal kündigte umgehend seinen Vertrag mit dem spanischen Fernsehen. Der Zufall wollte es, dass gerade Bischof Genaro Prata zu Besuch war, der sein Heimatland Bolivien im Bereich Medien auf der Bischofskonferenz vertrat. Er lud den streitbaren Priester nach Bolivien ein, wo er ab 1968 eine zweite Heimat fand.

Espinal lehrte als Dozent an der staatlichen sowie an der katholischen Universität in La Paz und schrieb mehrere Bücher, in denen er sich kritisch mit dem Film auseinandersetzte. Seine Filmrezensionen waren fester Bestandteil in den Tageszeitungen. Espinal wurde nie müde, den «kommerziellen Film» in Frage zu stellen und vertrat die Ansicht, dass die Filmkunst unbedingt ein Mittel sein müsse, um soziale Botschaften zu vermitteln. Wie nicht anders zu erwarten, begann er bald, auch in Bolivien anzuecken. Zwischen 1964 und 1982 herrschte in Bolivien, mit wenigen und kurzen Unterbrechungen eine Militärdiktatur, während der sich mehrere Generäle gewaltsam an der Macht ablösten. Die Zeit von 1971 bis 1978 war von der Regierung des deutschstämmigen Generals Hugo Banzer und seinem eisern antikommunistischen Kurs geprägt.

Im Sog des Zweiten Vatikanischen Konzils, insbesondere der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Medellín (1968), wandte sich Espinal ebenfalls der Befreiungstheologie zu. Die Kirche sollte eine «Kirche für die Armen» werden und sich für ihre Rechte und Bedürfnisse einsetzen. Er begann, zum Teil öffentlich und in sehr harten Worten, nicht nur seine Kollegen, sondern auch Bischöfe zu kritisieren. Seiner Meinung nach dürfe sich die Kirche angesichts der Ausgebeuteten und Ausbeutern nicht neutral verhalten. Jesus sei in seinen Ansichten schliesslich auch nicht «neutral» gewesen. Zweifelsfrei habe er für die Armen und Unterdrückten Partei ergriffen und mit seinem Leben dafür bezahlt.

Auf Grund der Tatsache, dass Espinal die Inhalte der Befreiungstheologie mit der Zeit immer konsequenter und unbeugsamer vertrat, wurde er von den Militärs beschuldigt, ein «ausländischer Extremist und Kommunist» zu sein. Dies umso mehr, als er 1976 an der Gründung der Ständigen Versammlung für Menschenrechte beteiligt war. Anfang 1978 nahm er an einem Hungerstreik teil, den eine Gruppe von Minenarbeiterfrauen, deren Männer verhaftet worden waren, begonnen hatte, um ihre Freilassung und eine allgemeine Amnestie für politische Gefangene zu erreichen. Der Streik breitete sich wie ein Lauffeuer über das ganze Land aus. Nach 19 Tagen musste Banzer nachgeben. Es war das Ende seiner Regierung. Espinals ausführlichen Bericht über seine Erfahrungen während des Hungerstreiks bezeichnete man später als sein «politisches und geistiges Testament».

Ein Jahr später gründete er mit einer Gruppe von Journalisten, die auf der Suche nach einer Zeitung waren, in der sie, im Gegensatz zu den traditionellen Zeitungen, frei ihre Meinung äussern konnten, die Wochenzeitung «Aquí» («Hier»). Die Wahl zum Chefredakteur fiel auf ihn, da einzig und allein er von allen Journalisten, die unterschiedliche linke Strömungen vertraten, akzeptiert wurde.

Währenddessen wurde seine Lage immer kritischer. Mehrere Male wurde er mit dem Tode bedroht. Die Kirchenleitung forderte ihn ultimativ auf, diese gefährliche Arbeit aufzugeben, aber der Provinzial der Jesuiten in Bolivien, Pater Víctor Blajot, verteidigte ihn nach Kräften, nachdem ihn Espinal von der Notwendigkeit seiner Arbeit überzeugt hatte. Zu Beginn des Jahres 1980 berichtete er über einige hohe Offiziere, die in den Kokainhandel und andere illegale Geschäfte verwickelt waren, sowie über deren offensichtliche Pläne eines neuerlichen Putschversuchs. Im Februar wurden seine Redaktionsräume durch einen Bombenanschlag zerstört. In der Nacht vom 21. auf den 22. März wurde er von Paramilitärs, unter dem Kommando von Oberst Gómez und des NS-Kriegsverbrechers Klaus Barbie, entführt, brutal gefoltert und ermordet.

STEFAN GURTNER

Stefan Gurtner ist im Saanenland aufgewachsen und lebt seit 1987 in Bolivien in Südamerika, wo er mit Strassenkindern arbeitet. In loser Folge schreibt er im «Anzeiger von Saanen» über das Leben mit den Jugendlichen. Wer mehr über seine Arbeit erfahren oder diese finanziell unterstützen möchte, kann sich beim Verein Tres Soles, Walter Köhli, Seeblickstrasse 29, 9037 Speicherschwendi, E-Mail: walterkoehli@ bluewin.ch erkundigen. Spenden: Tres Soles, 1660 Château-d’Oex, Kto.-Nr. 17-16727-4. www.tres-soles.de


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